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# taz.de -- Rassismus in Görlitz: Der gefallene Retter
> Das Wort „N****“ habe nichts Negatives, beharrt Winfried Stöcker. Die
> Tiraden des Görlitzer Kaufhausbesitzers haben eine ganze Stadt
> aufgeschreckt.
Bild: „Ich bin kein Rassist“ – Winfried Stöcker, Chef der Firma Euroimmu…
GÖRLITZ/LÜBECK taz | „Zài jiàn“, verabschiedet sich Winfried Stöcker am
Telefon von einem Kollegen. „Wissen Sie, meine Frau ist Chinesin“, sagt er
und nimmt auf dem Ledersofa in seinem Büro in Lübeck Platz. Geboren wurde
Stöcker 1947 in der Oberlausitz. 13 Jahre war er alt, als seine Eltern
Ostdeutschland verließen und nach Oberfranken gingen.
1989 gründete er die Firma Euroimmun in Lübeck, die Testsysteme zur
Diagnose von Autoimmun- und Infektionskrankheiten herstellt und mit 14
Niederlassungen international vertreten ist. Im Dezember sagte der Arzt und
Erfinder Stöcker ein Benefizkonzert für Flüchtlinge im Görlitzer Kaufhaus,
dessen Besitzer er ist, ab. Er sagte in einem Interview, dass er den
„Missbrauch des Asylrechts nicht unterstützen“ wolle.
Vonseiten der NPD und Pegida bekam er Applaus. „Ich habe viele sehr
positive und ermutigende Briefe bekommen“, sagt er und nickt. Aber auch die
Welle der Entrüstung hat Spuren hinterlassen. „Ich musste ganz schön Prügel
einstecken“, sagt er mit ernster Miene und seine buschigen Augenbrauen
heben sich ein Stück weit über den Rahmen der Brille. Zu schroff war seine
Ausdrucksweise, zu rechts war der Eindruck, den er hinterließ. Er nannte
Afrikaner „N****“ und „reisefreudig“, sagte, Türken würden gezielt na…
Deutschland heiraten. Er sprach von zehn Prozent Türken in deutschen
Städten und einem Halbmond, der die Spitze des Kölner Doms einnehmen werde.
Nun war aber nicht nur die Empörung groß, die Verwirrung war es auch. Von
anderen hätte man das ja erwartet, aber von Stöcker, der als Wohltäter
galt, von so jemandem hätte man das nicht gedacht. Stöcker passt nicht in
die Schublade. Und auf eine fehlende Abgrenzung zu NPD angesprochen, winkt
er ab. Er müsse sich von denen doch nicht distanzieren, mit denen habe er
doch gar nichts am Hut. „Ich bin kein Rassist“, sagt er.
Er hätte seine Antworten ausführen sollen, das sieht er nun ein, sagt er,
und versucht zu erklären, wie es denn nun tatsächlich um seine Meinung
steht. Die dürfe er ja äußern. Schließlich lebe man in einer Demokratie.
## Ein Bankdirektor ist geschockt
Als Rainer Müller im Dezember von dem Interview erfährt, sitzt er gerade
mit seiner Frau in den alten Gewölben des Görlitzer Restaurants St.
Jonathan. „Haben Sie schon gehört, was der Stöcker gesagt hat“, habe jema…
mit gesenkter Stimme gefragt, erzählt Müller einen Monat später in einem
Café in Görlitz. „Ich war schockiert“, sagt er. Der 74-Jährige ist Münc…
Bankdirektor in Rente und lebt seit 2007 in Görlitz. Pro Jahr zieht es etwa
200 deutsche Rentner in die hübsche kleine Stadt, die nur die Lausitzer
Neiße von Polen trennt.
Müller engagierte sich als Vorstand der „Bürgerinitiative Görlitzer
Kaufhaus“, die Wiederbelebung des Jugendstil-Warenhauses war sein Ziel.
„Dieses Haus war und ist das Herz der Stadt. Dass es plötzlich zu war,
hielt ich für fatal“, sagt Müller.
Einen Investor für das alte Schmuckstück zu finden sei aber gar nicht so
einfach gewesen. Über Jahre hinweg hoffte man, jemand würde sich erbarmen.
Doch die geringe Kaufkraft in Görlitz habe viele abgeschreckt, erklärt er.
„Und dann kam 2013 der Märchenprinz – aus heiterem Himmel kaufte Herr
Stöcker das Haus. Ich fand das wunderbar“, sagt er lächelnd und trinkt von
seinem Bio-Cappuccino. Der Verkaufspreis lag bei etwa 2,6 Millionen Euro,
die Sanierung kostet rund 20 Millionen Euro. Rainer Müller ist nach
Stöckers Äußerungen zurückgetreten. Der Märchenprinz hat ihn enttäuscht.
„Ich verstehe nicht, wie jemand, dessen Erfolg sich auf Globalisierung
gründet, so engstirnige Ansichten haben kann.“
## Ein palastartiger Jugendstilbau
Das Kaufhaus, das Müller so am Herzen liegt, erhebt sich in der Altstadt
von Görlitz, ein palastartiger Jugendstilbau mit Kolonnaden und Rundbögen,
von denen Art-déco-Statuen herabschauen. Die Sanierungsarbeiten ziehen sich
hin. Drinnen ist alles still und leer, durch das gläserne Kuppeldach fällt
Licht auf nackte Wände und Fliesen. Staub hängt in der Luft. Es geht über
breite, geschwungene Treppen hinauf und hinunter. Von oben betrachtet, tut
sich der Innenhof auf, drei Stockwerke tief, eine Weite, die schwindelig
macht.
Im Görlitzer Rathaus führt Oberbürgermeister Siegfried Deinege in sein
Arbeitszimmer. Seit über zwei Jahren regiert er die Stadt, an sein Leben
davor beim Bahnunternehmen Bombardier erinnert noch eine Modelleisenbahn.
Der repräsentative Raum sei nicht geschaffen für die tägliche Arbeit, sagt
er und weist mit einer Handbewegung auf das schummrigen Licht und die lange
Holztafel, zwischen den alten Bücherregalen und den Gemälden. Der Boden
knarrt bei jedem Schritt.
Für Deinege ist die Angelegenheit um das Konzert Schnee von gestern. „Er
hat sich geäußert, Görlitz hat sich positioniert. Wir haben uns von seiner
Haltung und Wortwahl ganz klar distanziert“, sagt er. Als Eigentümer des
Hauses sei diese Entscheidung sein gutes Recht, sagt er. Das Projekt
Kaufhaus wolle man weiterverfolgen. Er schlägt mit der flachen Hand auf die
Sessellehne und schnauft. Natürlich gebe es immer Leute, die sagen:
„Endlich hat es einer gesagt!“ Aber in Görlitz habe man die Unterbringung
der Flüchtlinge gut gelöst, sagt er. In der Stadt leben 134 Asylbewerber,
dezentral untergebracht. Mehr als die Hälfte sind Kinder.
## Ganz egal, was ein Lübecker sagt
Joachim Trauboth, auch ein zugezogener Rentner, engagiert sich im Görlitzer
Willkommensbündnis. „Wir heißen die Flüchtlingsfamilien mit Geschenkkörben
und Blumen willkommen, vermitteln Deutschkurse und zeigen den Weg zur
Schule“, erzählt er. Trauboth strahlt. Für ihn ist Görlitz ein weltoffener
Ort – ganz egal, was ein Lübecker sagt.
Ende Januar ist Görlitz leer. Vereinzelt sieht man Touristen die Altbauten
bestaunen, selten holpert ein Auto durch die Gassen mit den historischen
Straßenlaternen. Junge Leute sieht man hier wenig. Es ist, als wäre die
Zeit stehen geblieben. Görlitz blieb vom Krieg weitgehend verschont. Die
Mietpreise liegen im Zentrum unter fünf Euro pro Quadratmeter.
Auf dem Firmengelände von Euroimmun strahlt im Februar die Sonne auf das
umliegende Naturschutzgebiet und den Blankensee. Die Mitarbeiter grüßen
freundlich mit „Mahlzeit!“, wenn sie vom einen Backsteinhaus zum anderen
spazieren. Winfried Stöcker trägt Hemd, Jackett und Hose in Schwarz und
passende Sportschuhe, mit denen er leichtfüßig immer zwei Schritte voraus
ist, um lächelnd die Tür aufzuhalten. „Mahlzeit Winfried!“, sagt der Koch,
als er Stöcker den Salat über den Spuckschutz reicht. Man duzt sich ohne
Ausnahme.
## Eine türkische Hochzeit
Seine türkischen Mitarbeiter hätten zwar gesagt, dass er recht habe mit
einigen Dingen. Aber dass er es ausgesprochen hätte, habe sie gekränkt,
sagt Stöcker später im Büro. Den Kriegsflüchtlingen müsse man helfen, den
Frauen und Kindern – aber dass es zu viele Ausländer hier gebe, das denkt
er immer noch. Stöcker sieht sich nicht als Rassist, sondern als
weltoffener Realist. „Die Türken sind nett. Wenn sich die Völker
vermischen, finde ich das in Ordnung. Aber sie sollen sich nicht
abschotten.“ Dann erzählt er von einer türkischen Hochzeit. „750 Gäste u…
nur zwanzig waren Deutsche – das zeigt mir doch, dass man unter sich
bleiben möchte.“
Auf die Frage, wovor er so große Angst habe, sagt er: „Vor vielen.“
Inzwischen habe er jedoch gelernt, dass seit mehreren Jahren mehr Türken
gehen als kommen. „N****“ möchte er weiterhin sagen. Für ihn habe das Wort
keine negative Bedeutung.
Man könnte Stöcker als gestrig abstempeln. Doch in anderen Punkten ist er
gar nicht so rückwärtsgewandt. So bietet er Kindern von MitarbeiterInnen im
internen Kindergarten Betreuung an. Schulkinder werden mit dem hauseigenen
Schulbus geholt. Dass Mütter für die Familie ihren Beruf opfern müssen, sei
überholt, sagt Stöcker. Er wolle Eltern vielmehr ermutigen, Kinder in einem
biologisch günstigen Alter zu bekommen, nicht erst wenn sie einen Arzt
dafür brauchen.
Demnächst dürfte Stöcker wieder nach Görlitz reisen. Die Staatsanwaltschaft
bestätigt, dass gegen ihn ermittelt wird, wegen Volksverhetzung. Herr
Stöcker bekomme Gelegenheit zur Anhörung.
In einer früheren Version dieses Textes wurde das N-Wort ausgeschrieben.
20 Mar 2015
## AUTOREN
Saskia Hödl
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Görlitz
Lübeck
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