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# taz.de -- Schäuble und die Erbschaftsteuer: Ist dieser Mann Kommunist?
> Der Finanzminister will, dass Erben großer Unternehmen Steuern zahlen.
> Lobbyisten beschwören den Untergang des Mittelstands herauf.
Bild: Finanzminister Wolfgang Schäuble: Die Wirtschaftsverbände laufen Sturm …
BERLIN taz | Glaubt man den Wirtschaftsverbänden, ist die deutsche
Unternehmerschaft vom Aussterben bedroht. Der von Wolfgang Schäuble
vorgelegte Vorschlag für eine neue Erbschaftssteuer „zielt ins Herz des
Mittelstandes“, wettert DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Lutz Goebel, Chef
des Verbands der Familienunternehmer, wirft Schäuble einen „großen
volkswirtschaftlichen Fehler“ vor, der das Familienunternehmertum gefährde.
Oha, das gesamte Familienunternehmertum ist gefährdet? Von Schäuble dachte
man ja bisher, er sei Mitglied der CDU und ein eher nüchterner
Finanzminister, der nicht zur Wirtschaftsfeindlichkeit neigt. Aber
vielleicht stimmt das nicht. Vielleicht sitzt in Wirklichkeit ein
verkappter Kommunist im Bundeskabinett?
Angesichts des Wehklagens der Verbände lohnt sich ein genauer Blick auf
das, was Schäuble vorhat. Im Moment zahlen Erben von millionenschweren
Unternehmen keinen Cent Erbschaftssteuer, sofern sie ein paar Jahre lang
die Arbeitsplätze erhalten.
Diese großzügige Verschonung beschloss die erste Große Koalition unter
Angela Merkel im Jahr 2008. Das Verfassungsgericht hat sie im vergangenen
Dezember in Teilen für grundgesetzwidrig erklärt, weil der Staat so
Unternehmenserben gegenüber Erben privaten Vermögens deutlich besserstellt.
Wer zum Beispiel Immobilien von seinen Eltern erbt, muss nämlich die Steuer
zahlen.
Festhalten lässt sich deshalb zunächst: Die Wirtschaftsverbände verteidigen
eine äußerst luxuriöse Steuerbefreiung, die erst seit wenigen Jahren gilt
und die verfassungswidrig ist. Unternehmenserben, die meist sowieso aus
reichen Familien stammen, sparen dadurch viel Geld. Dem Staat entgehen
durch die Verschonung jährlich sieben bis acht Milliarden Euro, schätzt das
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
Aber was plant Schäuble eigentlich? Der Finanzminister ist Jurist, er hat
den Ehrgeiz, eine verfassungsfeste Regelung zu finden. Schäuble betont, für
Änderungen seines Planes offen zu sein. „Ich will doch nicht den
Mittelstand aus Deutschland vertreiben.“
Aber er und Vertreter seines Hauses schieben immer einen wichtigen Satz
nach. Verfassungskonform muss die neue Regelung unbedingt sein, ein
erneutes Scheitern in Karlsruhe will Schäuble nicht riskieren. Bisher
erfülle keiner der Gegenvorschläge diese Forderung, heißt es im
Finanzministerium.
## 20 Millionen Freigrenze
Der Kernpunkt von Schäubles Reform ist eine Freigrenze von 20 Millionen
Euro. Alle Erben, die weniger Betriebsvermögen erben, blieben weiter von
der Steuer befreit. Nehmen wir an, der Besitzer einer gut laufenden
Papierfabrik im Wert von 39 Millionen überträgt diese durch ein Testament
auf seine zwei Töchter. Dann könnten die Frauen die Firma weiterführen,
ohne Erbschaftssteuer zu zahlen, sofern sie die Arbeitsplätze erhalten.
Laut Finanzministerium lagen 2013 etwa 98 Prozent der Erbfälle bei
deutschen Firmen unterhalb dieser Grenze. Das heißt, es geht Schäuble
ausschließlich um – in der Regel sehr profitable – Großunternehmen. Der
kleine Familienbetrieb von nebenan wäre nicht betroffen, anders, als es im
Moment viele Wirtschaftsverbände suggerieren. Schäuble will gerade nicht
den Schreiner um die Ecke zur Kasse bitten oder die mittelständische
Papierfabrik, er hat Superreiche im Blick.
Auch Erben, die mehr als 20 Millionen Euro Betriebsvermögen bekommen,
würden nicht automatisch die Steuer zahlen. Das Finanzamt würde sie erst
einer Bedürfnisprüfung unterziehen, also schauen, ob sie überhaupt zahlen
können. Schäuble hält für zumutbar, dass sie bis zur Hälfte ihres
Privatvermögens aufwenden müssen, um die Steuerschuld zu begleichen.
Des Privatvermögens wohlgemerkt, das ist entscheidend. Betriebsvermögen,
das betont das Finanzministerium immer wieder, bliebe in jedem Fall
unberührt. Keine Maschine müsste also abgestellt, keine Lagerhalle
verkauft, kein Mensch entlassen werden.
Der Fokus aufs Privatvermögen des Erbens ist klug. Schäuble umschifft so
die Problematik des Arbeitsplatzabbaus, welche die Verfassungsrichter in
ihren Urteilen zur Erbschaftssteuer ausdrücklich anerkennen.
## Schwarzmalerei und Stimmungsmache
Wahr ist auch: Indem die wichtigsten Wirtschaftsverbände im Moment so tun,
als gefährde diese Idee tausende Arbeitsplätze, zeichnen sie absichtlich
ein falsches Bild der Wirklichkeit. Die Firma bliebe ja unangetastet und
produzierte weiter wie bisher.
Allein dass Schäuble nur die Hälfte des Privatvermögens heranziehen will,
ist eine Besserstellung gegenüber privaten Erben. Jene haften nämlich mit
ihrem gesamten Vermögen. Aber Schäubles Regelung ist auch in anderen
Punkten moderat. Das Finanzamt soll zum Beispiel eine Steuerschuld
großzügig stunden, falls der Erbe etwa erst in Immobilien angelegtes Geld
flüssig machen muss.
Mehr noch, wenn ein Erbe nachweist, dass er nur einen Teil der Steuerschuld
bezahlen kann, erlässt ihm das Finanzamt den Rest. Auch ein Verkauf von
Firmenanteilen stünde also überhaupt nicht zur Disposition. Angesichts
dessen wirkt es einigermaßen absurd, wenn wohlhabende Unternehmer in
Interviews jammern, ihre Erben müssten die Firma notfalls an böse
Investoren verkaufen.
Solche Firmenchefs haben entweder Schäubles Plan nicht verstanden oder sie
bauen absichtlich eine falsche Drohkulisse auf, auf die alle Parteien
empfindlich reagieren – das Arbeitsplatzargument ist in Deutschland immer
sakrosankt. Im Finanzministerium heißt es dazu diplomatisch: „Das
Nichtwissen ist selbst bei Unternehmern erstaunlich groß.“
## Ein Großteil ist schon verteilt
Selbst von den zwei Prozent der Unternehmenserben, die Schäubles Reform
überhaupt beträfe, muss sich nur ein Teil fürchten. Sehr viel Geld ist
nämlich längst verteilt.
Viele Firmenchefs haben die großzügige Verschonung der vergangenen Jahre
genutzt und ihre Firma mit Schenkungen auf die Nachfolger übertragen. Das
pro Jahr vererbte Firmenvermögen stieg nach der Merkel-Reform geradezu
sprunghaft an. Von 2009 bis 2013 reichten Unternehmer die immense Summe von
105 Milliarden Euro steuerfrei an ihre Nachkommen weiter.
Um welche Summen es bei mittelgroßen Firmen geht, soll noch mal das
Beispiel der Papierfabrik verdeutlichen. Angenommen, die beiden Töchter
erben anders als im oben genannten Fall jeweils 25 Millionen Euro, dann
wäre jede Tochter steuerpflichtig.
Die Belastung für eine Frau errechnet sich nun wie folgt: Das Finanzamt
würde wie bei privaten Erbfällen den Freibetrag für Kinder (400.000 Euro)
von der Summe abziehen, übrig bliebe ein zu versteuernder Betrag von 24,6
Millionen Euro. Für die Tochter gilt der Steuersatz von 27 Prozent, den das
deutsche Erbschaftssteuerrecht für Beträge bis 26 Millionen Euro vorsieht.
Jede Tochter müsste also gut 6,6 Millionen Euro ans Finanzamt zahlen.
## Zugriff nur auf eine Hälfe
6,6 Millionen, das klingt enorm viel für Normalverdiener. Aber erstens
spielen solche Unternehmerfamilien finanziell in einer anderen Liga. Sie
verfügen in der Regel über breit gestreutes Vermögen, über Immobilien,
Aktien und Land. Zweitens, und das ist entscheidend, hätte das Finanzamt ja
nur Zugriff auf die Hälfte des Privatvermögens.
Besitzt die Tochter privat Immobilien und Aktien im Wert von vier Millionen
Euro, müsste sie also nur zwei Millionen Erbschaftssteuer zahlen.Von den
vielen Tricks, mit denen Steuerberater vor Erbfällen Privatvermögen in
Betriebsvermögen integrieren und umgekehrt, soll an dieser Stelle nicht
weiter die Rede sein.
Mit Sicherheit wären die beiden Töchter aber plötzlich und leistungslos im
Besitz einer Firma im Wert von 50 Millionen Euro, die einen Gewinn von zwei
bis drei Millionen Euro im Jahr abwirft. Solche Profite sind bei Firmen
dieser Größenordnung realistisch, sie werden etwa am Aktienmarkt von
vergleichbaren Firmen erwartet. So gesehen schrumpft eine hart scheinende
Belastung für die Töchter doch ganz erheblich.
## Immobilien verkaufen
Anders ausgedrückt: Schäuble hält für zumutbar, dass reiche Menschen ein,
zwei Privatimmobilien veräußern, um ihre Steuerschuld zu begleichen. Oder
dass sie einen Kredit aufnehmen, den sie aus laufenden Gewinnen schnell und
leicht abzahlen können.
Die Wirtschaftsverbände hingegen müssen sich fragen lassen, wessen
Interessen sie eigentlich vertreten. Sie schieben den armen Mittelständler
vor, um das Vermögen sehr reicher Familien zu schützen. In
Koalitionskreisen vermuten die, die sich mit der Materie auskennen, dass es
den Verbänden noch um etwas ganz anderes geht, nämlich um Befürchtungen
schwerreicher Dynastien. Familien wie die Oetkers oder die Quandts besitzen
Milliardenvermögen, die nur geschätzt werden können, weil sie sich
systematisch abschotten.
Käme Schäubles Reform, dürfte das Finanzamt bei Erbfällen plötzlich sorgsam
geheim gehaltene Besitztümer taxieren. Und Transparenz für Deutschlands
Superreiche, das wäre wirklich ein Tabubruch.
7 Apr 2015
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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