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# taz.de -- Die Wahrheit: „Ich habe mich in den reingekniet!“
> Bisher gab es nur männliche Arno-Schmidt-Leser. Jetzt kommen auch die
> Leserinnen. Ein Gespräch mit der Germanistin Evelyn Hilpert.
Die alte Frage, ob auch Frauen willens oder imstande wären, Arno Schmidt zu
lesen, hat schon viele männliche Schmidt-Fans beschäftigt. Die 1986
gegründete „Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leser“ (GASL) besteht
bekanntermaßen zu 124 Prozent aus bebrillten Männern mit Hammerzehen,
Durchblutungsstörungen, kreisrundem Haarausfall und einem Defizit an
Damenbekanntschaften.
Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass jetzt in Lauenburg eine
„Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leserinnen“ (GASLI) gegründet wurde. Evelyn
Hilpert, die Vorsitzende, stammt aus Duisburg. Sie hat in Bochum
Germanistik studiert und 2004 ihre Doktorarbeit über den Gebrauch des Worts
„Sternenhintergrund“ in Schmidts Juvenilia abgeschlossen.
taz: Wie sind Sie auf Arno Schmidt verfallen? Ist das nicht ein Männerding?
Evelyn Hilpert: Also, ursprünglich wollte ich eine Doktorarbeit über
Ingeborg Bachmann schreiben. Mein damaliger Freund, der Rüdiger, hat mir
dann mal was von Schmidt zu lesen gegeben. Das muss so Ende 2001 gewesen
sein. Ich hab zu der Zeit in einer WG in Essen gewohnt, und da wollte ich
raus, weil, einer meiner Mitbewohner, der hatte so ne eklige Halskrankheit,
und ich wollte mich bei dem nicht anstecken, und die Antje, die zu der Zeit
noch bei uns gewohnt hat, ist dann nach Bochum umgezogen, und mit der hab
ich ne neue WG aufgemacht. Drei Zimmer, Außenklo, total runtergewohnt!
Aber Arno Schmidt hat Sie begeistert?
Zum Lesen bin ich in den ersten Monaten in Bochum nicht so gekommen. Wir
haben echt viel Zeit dafür gebraucht, uns da wohnlich einzurichten. Und
dann hat sich der Rüdiger von mir getrennt. Das kam auch noch dazu.
Und trotzdem haben Sie sich in die Werke Schmidts vertieft?
Zuerst hatte ich da einen tierischen Gegenimpuls, aus Wut auf den Rüdiger.
Ich meine, der hat sich hinter meinem Rücken mit meiner besten Freundin
eingelassen, der Beate, die ich noch aus Duisburg gekannt habe, aus der
Grundschule. Das war wie so n Schlag ins Gesicht. Wenn man sich so lange
kennt, dann hat man doch irgendwo das Gefühl, dass man sich aufeinander
verlassen darf, oder nicht? Und die Beate hat mir dann gesagt, dass das mit
dem Rüdiger und ihr sogar schon in der Zeit in Essen gelaufen ist. Und da
kann ich ja nun überhaupt nicht drauf! Ich meine, auf diese ganze verlogene
Schiene! Wenn der Rüdiger wenigstens gesagt hätte, okay, da läuft was
zwischen mir und der Beate, aber wir können das irgendwie händeln, dann
wäre ich ja vielleicht auch zu einem Gespräch unter sechs Augen bereit
gewesen. Aber so? Da war das Tischtuch halt zerschnitten.
Ist damals etwas in Ihnen zerbrochen?
Ja.
Und wie ist es Ihnen gelungen, dennoch Ihre Doktorarbeit zu schreiben?
Die Antje hat mir total den Rücken gestärkt und mir immer wieder gesagt:
"Du schaffst das!" Und dann hab ich mich reingekniet in den Schmidt.
In der Danksagung, die Sie Ihrer Doktorarbeit vorangestellt haben, heißt
es: "Ich danke meiner Doktormutter, Frau Professorin Dr. Helga Bebel,
meinen Eltern und meiner derzeitigen Lebenspartnerin Antje Niehoff, die mir
selbst in schwierigen Gefühlslagen emotional verbunden geblieben ist und
mir den Weg an die Spitze der Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leserinnen
freigekämpft hat." Wie ist das zu verstehen?
Es gab anfangs unheimliche Widerstände gegen mich. So Neidgeschichten. Da
wurde rumerzählt, ich hätte vor, eine 800-seitige Alice-Schmidt-Biographie
zu schreiben, und die Nestlé AG würde mir eine halbe Million dafür zahlen,
dass ich ganz oft die Marke Maggi erwähne. Man weiß ja, dass Arno Schmidt
sein Essen gern mit Maggi gewürzt hat. Aber ich bitte Sie: Produktwerbung
in einer Alice-Schmidt-Biographie, das ist doch lächerlich!
Woran arbeiten Sie jetzt?
Ich bin voll ausgelastet mit meiner Präsidiumstätigkeit.
Die worin besteht?
Wir bereiten einen Kongress über die Frauengestalten in Arno Schmidts
Werken vor. Als Referentinnen stehen Judith Butler und Elke Heidenreich auf
unserer Wunschliste.
Und wer noch?
Sonst ist uns noch niemand eingefallen.
Wie wäre es mit Sahra Wagenknecht?
Klasse Idee! Aber kennt die sich mit Arno Schmidt aus?
Da müssten Sie sie fragen …
Mach ich gern. Aber die Idee ist schon mal super!
Können Sie uns noch sagen, wie viele Mitglieder die Gesellschaft der
Arno-Schmidt-Leserinnen inzwischen hat?
Vier.
Sie eingeschlossen?
Ja. Und auch meine Katze Frederike eingeschlossen, wenn ich ehrlich sein
soll. Also genau genommen nur drei.
Und wer sind die anderen zwei?
Eine Studienrätin aus Aschaffenburg, die ich persönlich nicht kenne, und
meine alte Freundin Beate. Die hat sich nämlich letzten Herbst vom Rüdiger
getrennt, und wir haben uns wieder vertöchtert.
Ah - so wie Männer sich miteinander versöhnen.
Man kann auch "austöchtern" sagen.
Schon verstanden. Frau Hilpert, was fasziniert Sie an Arno Schmidt?
Ich würde hier lieber mal den Fokus auf Alice Schmidt ausrichten. Oder ganz
allgemein auf Schriftstellerfrauen. Oder auch auf die Frauen berühmter
Komponisten oder Fußballspieler oder anderer Stars. Auf Clara Schumann zum
Beispiel oder auf diese eine Schnalle da, wie heißt sie noch … die mit den
Beinen …
Verona Feldbusch?
Nein. Die mit dem Dings liiert ist … diese Eiskunstläuferin …
Katarina Witt?
Die ist es nicht. Mir fällt der Name jetzt nicht ein. Aber die hat mal so n
Statement abgegeben, das fand ich gut. Irgendwie so von wegen: Ich bin ich!
Mit allen Ecken und Kanten! Und dass sie sich nicht verbiegen lässt von
unserer ach so toleranten Mediengesellschaft. Ich finde es ja selbst auch
ätzend, dass ich ständig nach Arno Schmidt gefragt werde. Ich hab
schließlich noch andere Interessen. Sicherlich ist Arno Schmidt für mich
irgendwo schon wichtig, aber man muss auch die Relationen sehen. Eine
Freundin von mir, die Ilona, die ist in Brasilien ausgeraubt worden. Und
wenn man das mal vergleicht, so ein persönliches Einzelschicksal und dann
hier das Interesse an hochgestochener Literatur, also da habe ich meine
Zweifel dran, ob jetzt so ne Story bedeutsamer ist als der konkrete Fall
einer Frau in Not.
Und weshalb ist die Gesellschaft der Arno-Schmidt-Leserinnen ausgerechnet
in Lauenburg gegründet worden?
Meine Schwiegereltern haben da ein Haus.
Die Eltern Ihres Exfreundes Rüdiger?
Nein. Nach Rüdiger habe ich den Uwe geheiratet, und dessen Eltern wohnen in
Lauenburg.
Und was wurde aus Antje?
Die hat sich mit einem Französischlehrer zusammengetan, und dann haben wir
uns aus den Augen verloren.
Wie ist denn ihr Nachname?
Müller.
Antje Müller, tja, davon gibts Tausende. Sonst hätten Sie die ja mal
googeln können, um sich mit ihr auszutöchtern.
Stimmt.
Wir haben übrigens keine weiteren Fragen mehr. Sie dürfen jetzt gehen.
Vielen Dank!
Wir danken für das Gespräch.
11 Apr 2015
## AUTOREN
Gerhard Henschel
## TAGS
Lauenburg
Arno Schmidt
Rätsel
Krieg
Whistleblower
Kabul
Staatsakt
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