# taz.de -- Transkontinentale Reisen ohne Jetlag: „Brille auf und ab an den P… | |
> Urlaubssprünge von Zypern nach Rhodos oder aufs Empire State Building – | |
> in 15 Minuten, ganz virtuell. Können wir uns das Reisen künftig sparen? | |
Bild: Die Datenbrille kann den knirschenden Sand nicht ersetzen. | |
Am Pool wird es plötzlich hektisch: Der Vater in Badehose schreit auf und | |
rennt los. Richtung Beckenrand. Dem Ball hinterher. Er jagt an mir vorbei, | |
so dicht, dass ich zurückweichen will. Doch ich kann nicht. Denn ich bin | |
nicht in Protaras, einem Badeort nahe der zyprischen Küste. | |
Ich sitze auf der Kunstledercouch eines Reisebüros in Jena. An der Decke | |
Neonlampen, der Fußboden besteht aus sandfarbenen Kieselsteinen. Die Wand | |
ist tapeziert mit Katalogen, ein Schild macht Werbung: „Brille auf und ab | |
an den Pool!“ | |
Genau deshalb bin ich hier. Der Reiseveranstalter Thomas Cook bietet in | |
drei seiner deutschen Läden virtuelle Urlaubstrips an. Das Pilotprojekt | |
soll testen, ob Datenbrillen eine Verkaufshilfe sind. Ich aber bin arm und | |
faul. Will wissen, ob es nicht lässiger ist, sich drei Reisen, rund 4.000 | |
Euro und fast 40 Stunden Flug zu sparen und vom Sofa aus unterwegs zu sein. | |
Bin ich der Tourist der Zukunft? So trage ich ein Gerät, das aussieht wie | |
eine Mischung aus Taucherbrille und Requisite aus einem „Star Wars“-Film. | |
Eine Datenbrille. Und mache damit Ferien. Mein Urlaubstrip ist ein Video. | |
Doch es fühlt sich echt an, beinahe sogar real. Denn wenn ich mich | |
umblicke, sorgen Sensoren in der Brille dafür, dass sich auch der | |
Bildausschnitt im Film ändert. | |
## Wie aus dem Reisekatalog | |
In meinen virtuellen Ferien stehe ich noch immer in einem zyprischen | |
Sommertag. Vor mir liegt der Pool wie aus einem der Reisekataloge. Hellblau | |
gekachelt, mit künstlichen Sandklippen und einer Familie, die gerade im | |
Wasser plantscht. Der Vater des Kinds fischt rechts von mir den Ball aus | |
dem Wasser. Hinter mir entdecke ich eine Blondine auf einer Liege. Sie | |
cremt sich die Beine ein. Ich schäme mich ein wenig, sie so zu beobachten. | |
Dann werde ich aus der Szene gerissen. Abrupt lande ich auf einem Balkon | |
und blicke in ein Hotelapartment. Wo ist die Blondine? Ich drehe den Kopf | |
nach vorn und entdecke unter mir erneut das Schwimmbecken. | |
An den Videokameras, die diese Szenen aufgenommen haben, wurde offenbar | |
gegeizt: Die Küste in der Ferne bleibt unscharf und matschig. Es bleibt | |
ohnehin keine Zeit, den Ausblick zu genießen. Schon wieder ändert sich der | |
Ort. Gegen meinen Willen. Als würde mich ein brutal motivierter Reiseführer | |
von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten hetzen. Aus den Kopfhörern der | |
Brille prasselt störende Musik. Genervt nehme ich die Stöpsel aus dem Ohr; | |
ich wollte doch entspannen. | |
Von draußen dringt eine Mischung aus Stimmengewirr und dem mechanischen | |
Wispern der Rolltreppen in meine Fantasie. Meeresrauschen, versuche ich mir | |
einzureden. Es riecht nach Kunstledercouch. | |
In meinem virtuellen Urlaubstrip geht es voran. Wie auf Gleisen schwebe ich | |
dem Pool mit seinen künstlichen Sandklippen entgegen. Instinktiv blicke ich | |
hinter mich und entdecke einen Verfolger. | |
Roter Bart und Sonnenbrille. Offenbar der Mann, der mit einer Videokamera | |
durch die Gegend filmt, damit ich, ohne mich zu regen, verreisen kann. Der | |
Film ist vorbei. | |
## Ohne Flug nach New York | |
Nächster Halt: New York. Ohne Jetlag und auch ohne 15-Stunden-Flug gelange | |
ich nach Amerika. Die Sicht vom Rockefeller Center ist fantastisch. | |
Da stehe ich und bestaune das Empire State Building. Gehupe und | |
Großstadtrauschen wabern zu mir herauf. Ich darf einen Moment verweilen. | |
Wenn ich jetzt nur den Wind im Gesicht spüren könnte, wäre mein Tag | |
gerettet. | |
Zum Abschluss meiner Reise durch die amerikanische Großstadt wird es noch | |
einmal aufregend: Ich schaue nach vorn. Nach hinten. Nach rechts und links | |
unten - ich fliege! | |
## Ein Blick von oben | |
Über mir rattert ein Helikopter, unter mir leuchtet New York in der | |
Abendsonne. Die Hochhäuser der Stadt reihen sich akkurat aneinander, wie | |
die Buchstaben auf einer Tastatur. Links entdecke ich das Rockefeller | |
Center, dahinter den Central Park. | |
Von der Couch aus über Manhattan, wie kann es noch besser werden? Kann es | |
nicht. Rhodos, der letzte Teil der Reise, ist eine Enttäuschung. Ich sichte | |
genormte Schwimmbecken, geschmacklose Apartments und ein lieblos | |
angerichtetes Buffet. Mitten in der Reise bricht das Video ab. Das Gerät | |
sei heiß gelaufen. Auf dem Sofa macht sich Ernüchterung breit. | |
Trotzdem, drei Städte in nur 15 Minuten: Auf Partys werde ich künftig den | |
Kosmopoliten geben. Ich kaufe mir einen Hotdog. | |
12 Apr 2015 | |
## AUTOREN | |
David Sahay | |
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