# taz.de -- Einsatz gegen Pöbel-Touris in Berlin: Psssssst | |
> Pantomimekünstler sollen Partygäste in den Straßen von | |
> Friedrichshain-Kreuzberg zu Ruhe und Sauberkeit animieren. Ein stiller | |
> Besuch. | |
Bild: So, jetzt ist aber Ruhe! Pantomimekünstler unterwegs in Friedrichshain. | |
Abends auf der Partymeile Simon-Dach-Straße in Friedrichshain. Ein junges | |
Paar sitzt in einer Cocktailbar bei einem Glas Caipirinha. Die Temperaturen | |
sind mild, das Paar hat sich wie viele andere Gäste draußen unter einem | |
Heizstrahler niedergelassen. Stimmengewirr und Lachen erfüllen die Nacht: | |
Freitagabend. Während die Gäste plaudern, nähern sich fast unbemerkt fünf | |
weiß gekleidete Gestalten. | |
Augen und Lippen sind blau geschminkt, der Rest des Gesichts ist weiß wie | |
Kalk. Ausgerüstet mit Taschenlampe, Handschuhen und Hut streifen sie durch | |
die Straße, deuten lautlos auf herumliegenden Müll und fordern lautstarke | |
Partygäste mit vorgehaltenem Zeigefinger vor dem Mund zur Ruhe auf. Auch | |
das junge Paar wird einige Minuten umgarnt. | |
Der Auftritt der Pantomimekünstler ist Teil des Pilotprojektes | |
[1][fair.kiez], das Feiernde für Lärm und Müll im Bezirk | |
Friedrichshain-Kreuzberg sensibilisieren soll und damit auf Beschwerden von | |
Anwohnenden reagiert. Begleitet werden die Künstler von Mediatoren, die | |
nach der künstlerischen Darbietung die Aktion kurz vorstellen und mit | |
Informationsmaterialien auf die angespannte Situation im Kiez verweisen. | |
Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) hatte vergangenes Jahr Alarm | |
geschlagen: Der Bezirk sei vom Ansturm jugendlicher Feiertouristen | |
überfordert, Lärm und Müll nähmen überhand. Sie forderte einen | |
Verhaltenskodex für Touristen. Besseres Benehmen soll jetzt ohne Belehrung | |
erzielt werden. | |
Die Viererteams aus jeweils zwei Künstlern und Straßenkommunikatoren werden | |
an 15 Wochenenden bis Mitte Juli im Einsatz sein – jeweils zwischen 22 und | |
4 Uhr nachts. Dabei bewegen sich die Schlichter auf beliebten Routen des | |
Nachtlebens: etwa die Simon-Dach-Straße entlang, am Ostkreuz vorbei, über | |
die Kreuzung Warschauer Straße/Oberbaumbrücke, durch die Falckensteinstraße | |
bis zur Schlesischen Straße. Mit der Aktion sollen hauptsächlich lautstarke | |
Partygäste im Außenbereich von Gastronomie, Clubs und auf Freiflächen | |
angesprochen werden. | |
## Straßentheatererfahrung und Fremdsprachenkenntnisse | |
Die Auswahl der Pantomimekünstler und Mediatoren hat sich die | |
Clubkommission, Vertretung vieler Partyorte und Initiatorin des Projekts, | |
nicht leicht gemacht. In einem mehrstufigen Casting wurden fünf | |
ausgebildete Berliner Pantomimekünstler mit Straßentheatererfahrung und | |
sieben Kommunikatoren mit unterschiedlichen Fremdsprachenkenntnissen | |
gekürt. | |
Die Mediatoren wurden zusätzlich in einem eintägigen Workshop geschult, wie | |
Christian, einer der Kommunikatoren, erzählt: „Darin haben wir über | |
Grundlagen der Kommunikation, Wahrnehmung und Deeskalation gesprochen“, so | |
der 23-Jährige, der in Berlin Wirtschaftsingenieurwesen studiert. | |
„Wichtig ist, dass wir auf einer Ebene mit den Feiernden kommunizieren und | |
die Lage richtig einschätzen. In gefährliche Situationen begeben wir uns | |
nicht. Schließlich sind wir im Gegensatz zu den professionellen Pantomimen | |
nur Amateure“, so der dunkelblonde Lockenkopf. Als Aufwandsentschädigung | |
für ihren Einsatz erhielten die Künstler 160 Euro pro Abend, die Mediatoren | |
etwas weniger. | |
Mit fair.kiez knüpfe man an die Dialogbereitschaft der Bevölkerung an, so | |
Lutz Leichsenring, Pressesprecher und Vorstand der Clubkommission, bei der | |
Premiere am Freitagabend. Man habe lange Zeit über eine geeignete Lösung | |
für den Kiez nachgedacht und dabei von der Erfahrung aus anderen | |
europäischen Großstädten profitiert. | |
## Plakate helfen nicht | |
In einer im März vorgestellten internationalen Studie seien 37 Maßnahmen | |
zur Lärmreduzierung in 21 europäischen Städten mit ähnlichen Problemen | |
verglichen worden. Die Studie ergab, dass Informationstafeln und | |
Plakatkampagnen zu wenig Aufmerksamkeit erregten. Pantomimekünstler und | |
Mediatoren hingegen seien die erfolgversprechendste Maßnahme zur positiven | |
Ansprache von Nachtschwärmern, so Malena Medam, Leiterin des Projekts. | |
Die Absicht der Pantomimekünstler scheint jedoch nicht allen sofort | |
einzuleuchten. Das Paar mit dem Caipirinha ist zunächst skeptisch. „Zuerst | |
wusste ich damit nichts anzufangen“, sagt die junge Frau mit langem blondem | |
Haar. Ob sie glaubt, dass die Pantomimen tatsächlich zu mehr Ruhe und | |
Sauberkeit beitragen werden? „Nein“, sagt sie bestimmt. „Es ist zwar eine | |
süße Aktion, aber den Berlinern dürfte das egal sein, und unter den Touris | |
spricht sich das nicht rum, die sind zu kurz da.“ Das sieht Chris, ein | |
24-jähriger Engländer, der für vier Tage in Berlin Urlaub macht und | |
ebenfalls für einige Minuten von den Pantomimekünstlern umgarnt wurde, | |
anders. „Ich denke, das ist eine gute Aktion. Mir hat es gefallen.“ | |
Ob die stillen Mahner für mehr Benimm ihr Ziel erreichen oder doch eher als | |
Straßenkünstler wahrgenommen werden, denen man hinterher einen Euro gibt, | |
bleibt abzuwarten. Im Juli soll das Projekt evaluiert werden. Bis dahin | |
geistern die Weißgesichter leise in den Ausgehmeilen | |
Friedrichshain-Kreuzbergs herum. | |
11 May 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.fairkiez.berlin/ | |
## AUTOREN | |
Fanny Lüskow | |
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