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# taz.de -- Krankenhäuser in Griechenland: Wer hier krank wird, ist arm dran
> Die „Kliniken der Solidarität“ sollten einst papierlosen Flüchtlingen
> helfen. Als Folge der Sparpolitik sind nun die meisten Patienten
> griechische Bürger.
Bild: Spartanische Mahlzeit in einem Athener Krankenhaus
ATHEN taz | Makis Mantas schließt sein Motorrad ab und geht mit schweren
Schritten auf die Eingangstür eines Hauses aus den 60er Jahren zu. Links
neben dem Haus grüßen ihn zwei Frauen vor einem Café. Mantas ist Neurologe
von Beruf. Hier im alternativ geprägten Athener Stadtteil Exarchia haben er
und mehrere Freunde und Bekannte im Januar 2013 die „Klinik der
Solidarität“ eröffnet. Alle arbeiten hier unentgeltlich.
Mantas stößt schwungvoll die Eingangstür auf, geht die schmalen Stufen
hinauf. Die Räumlichkeiten befinden sich in zwei Wohnungen im zweiten und
dritten Stock des Hauses. Ärztinnen und Ärzte jeder Fachrichtung behandeln
hier kostenfrei ihre PatientInnen. Der Staat ist außen vor. Solidarität
zählt: Medikamente, Geräte für Untersuchungen, Möbel und auch die Miete der
Räume kommen ausschließlich durch Sach- und Geldspenden zustande.
Die Idee, eine „Klinik der Solidarität“ für Menschen ohne Versicherung zu
eröffnen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich ärztlich versorgen zu
lassen, kam aus Thessaloniki – und war eigentlich für Migrantinnen und
Migranten ohne Papiere bestimmt. Aber bereits mit der Eröffnung der
Solidaritätsklinik in Thessaloniki im November 2011 zeigte sich, dass die
Nachfrage der griechischen Bevölkerung mindestens genauso groß war.
Der Anteil der Griechen an der kostenlosen Versorgung wird derzeit auf 50
bis 70 Prozent geschätzt. Denn „immer mehr Menschen in Griechenland sind
nicht mehr versichert, weil sie das einfach nicht mehr zahlen können“, sagt
Makis Mantas. Sein Blick ist energisch: „Ich arbeite hier umsonst, weil das
heute eine Notwendigkeit ist.“ Das einstige System trage nicht mehr –
Menschenleben würden einfach auf die Straße geworfen und kaum einen kümmere
das.
## Krankenhauspersonal und Ärzte entlassen
Das staatliche Gesundheitssystem Griechenlands kann die hilfsbedürftigen
Menschen nicht auffangen, so Mantas. Durch die Sparauflagen wurde in diesem
Bereich bereits um rund 50 Prozent gekürzt. „Kliniken und Krankenhäuser
schließen, Krankenhauspersonal und Ärzte werden entlassen. Oft liegen mehr
als zehn Menschen in den Notaufnahmen auf engem Raum nebeneinander.
Medikamente müssen sofort und in bar gezahlt werden“, berichtet der Arzt.
Die Verhältnisse seien katastrophal. Derzeit lebt laut der griechischen
Statistikbehörde Elstat knapp ein Viertel der Gesamtbevölkerung
Griechenlands mit rund 500 Euro pro Monat an der Armutsgrenze. Wie soll man
da noch die Versicherung oder gar teure Medikamente bezahlen?
Ja, auch in Griechenland ist es illegal nicht versichert zu sein – aber
wenn es nicht mehr anders geht? Viele Freischaffende warten monatelang auf
ihr Honorar, das oft einfach ausbleibt, weil der Kunde pleite ging.
Festangestellte werden über Monate lang nicht bezahlt und immer weiter
hingehalten. Kündigen? Das macht hier doch keiner mehr – jeder ist froh,
überhaupt einen Job zu haben, und hofft, doch noch bezahlt zu werden.
Mittlerweile ist über ein Drittel der zehn Millionen Menschen im Lande
nicht mehr versichert.
Die Tür im dritten Stock, an der das rot-weiße Schild der Klinik hängt, ist
angelehnt. Telefone klingeln, und leises Stimmengewirr ist auf dem Flur zu
hören. Mantas tritt ein. Wieder eine herzliche Begrüßung.
Sprechstundenhilfe Alexandra, die eigentlich Übersetzerin ist, arbeitet
heute hier, nimmt Telefonanrufe entgegen, gibt Medikamente auf Rezept aus.
## Anzeige wegen Drogenmissbrauchs
„Ich mache ab und an meine Apothekenrunde und sammle dort
Medikamentenspenden ein“, erzählt Alexandra. Natürlich nähme sie keine
abgelaufenen Produkte entgegen. Das sei viel zu riskant, da der Staat die
„Kliniken der Solidarität“ eh schon argwöhnisch betrachte. Es gab sogar
schon eine Anzeige wegen Drogenmissbrauchs. Alexandra selbst hat schon
lange keinen Job mehr, Sozialhilfe gibt es in Griechenland nicht, und so
macht sie sich hier nützlich. Um über die Runden zu kommen, vermietet sie
ein Zimmer in ihrer Wohnung.
Ein alter Mann, der seinen Mantel fest um seinen Körper gewickelt hat, und
eine Frau sitzen im Warteraum. Der Blick der Frau ist schwer. Sie schaut
nur kurz auf. So schlimm sei alles, dass sich ihr Rücken ganz verkrampft
habe, erzählt sie mit leiser Stimme. Sie spricht fließend Griechisch, hat
aber einen Akzent. Woher sie käme, sei egal. Sie wolle nicht erkannt
werden, schäme sich, hier zu sein. Sie habe nichts mehr, keine Arbeit, kein
Erspartes. Kein einziger Job sei aufzutreiben. Und nächsten Monat müsse sie
raus aus ihrer Wohnung. Leise fängt sie an zu weinen. Wohin? Sie weiß
nicht, wohin sie dann gehen soll.
Es klingelt, der Türsummer wird gedrückt und ein weiterer Patient tritt
ein. Mit offenem Blick nimmt der gut gekleidete Mann im Wartesaal Platz. Er
war wegen seiner Verletzung am Arm schon öfters hier. Niko ist Anwalt, doch
seit der Krise haben die Aufträge immer weiter nachgelassen.
Es sei ganz gleich, ob man Klempner, Grafiker oder eben Anwalt sei – die
Krise reiße die komplette Mittelschicht in den Abgrund, sagt Niko. Er
greift in seine linke Manteltasche und holt ein paar Münzen heraus, lächelt
bitter. Das sei alles, was er für diesen Monat noch übrig habe. Woher er
das Geld hat, verrät er nicht. Nur so viel: Seine Eltern haben ihm eine
Wohnung hinterlassen. Allein deshalb sitze er jetzt nicht auf der Straße.
## Ein illegaler Bereich
Wenn ein Patient operiert werden muss, dann gibt es ein echtes Problem.
Denn dann muss der unversicherte Patient an der Verwaltung vorbei ins
Krankenhaus geschleust werden. Unter falschem Namen oder durch Bekannte und
Freunde, die im staatlichen Krankenhaus arbeiten. Mantas, der Niko nun zu
sich ins Behandlungszimmer ruft, sagt dazu kopfschüttelnd: „Wir betreten
dann plötzlich einen illegalen Bereich. Aber es ist doch auch illegal,
einem kranken Menschen nicht zu helfen, nur weil er nicht zahlen kann. Und
zu helfen haben wir Ärzte doch geschworen.“
Ihnen sei bewusst, dass sie bei so viel Not in der Gesellschaft nur wenig
ausrichten könnten, betont Mantas. Dennoch, „wir wollen mit unserem Tun vor
allem ein Zeichen setzten und uns gemeinsam mit unseren PatientInnen gegen
die Missstände der gesundheitlichen Grundversorgung des Staats stellen.“
Gesetze verlieren Geltung und Bedeutung, wenn hier kranke Menschen vor der
Tür stehen. Die beiden verschwinden hinter der Schiebetür. Der Türsummer
geht. Weitere Patienten kommen.
30 Jan 2014
## AUTOREN
Theodora Mavropoulos
## TAGS
Griechenland
Gesundheitspolitik
Schwerpunkt Finanzkrise
Krankenhäuser
Athen
Griechenland
Sparmaßnahmen
Griechenland
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