# taz.de -- Interview mit Piratin Cornelia Otto: "Werden gegen harte Wände ren… | |
> Nach ihrem Höhenflug drohen die Piraten bei der Bundestagswahl zu | |
> scheitern. Ihre Berliner Spitzenkandidatin Cornelia Otto hofft auf die | |
> Wende. | |
Bild: "Nach dem Wahlkampf ist mein Konto auf null, aber das ist okay." - Cornel… | |
taz: Frau Otto, wie führt man einen aussichtslosen Wahlkampf? | |
Cornelia Otto: Wieso denn aussichtslos? | |
Bundesweit liegt Ihre Partei bei 2 Prozent, selbst in der Hochburg Berlin | |
liegen die Piraten wieder unter 5 Prozent. | |
Ach, die Umfragewerte. Ich lasse mich da nicht verrückt machen. Bei der | |
letzten Abgeordnetenhauswahl sind wir auch mit 2 Prozent gestartet und | |
hatten am Ende 8,9 Prozent. Die ein, zwei Prozent, die uns im Bund fehlen, | |
können wir locker wettmachen. Ich tippe, dass wir am 22. September 5,7 | |
Prozent bekommen. | |
Das derzeitige Bild Ihrer Partei spricht eher dagegen: Die Partei ist mit | |
sich selbst beschäftigt. | |
Das ist vielleicht der Medientenor. Im Gespräch mit Bürgern auf der Straße | |
bekommen wir ganz andere Rückmeldungen: sehr starke Offenheit, teilweise | |
sogar Begeisterung. | |
Auf den Reiz der Neuen können Sie aber nicht mehr setzen. | |
Zu dem, was andere Parteien an Geschichte hinter sich haben, sind wir immer | |
noch die Neuen. Aber ja, wir müssen jetzt liefern, müssen unsere Themen in | |
die Öffentlichkeit bringen und sagen: So stellen wir uns die Gesellschaft | |
in diesem Jahrhundert vor. Gebt uns eine Chance und wir werden versuchen, | |
es umzusetzen. | |
Wie soll diese Überzeugungsarbeit gelingen? | |
Wir werden die Finger in ganz viele offene Wunden legen. Momentan gibt’s da | |
ja einige Steilvorlagen: die USA-Überwachungsgeschichte Prism, die Drohnen, | |
die Drosselkom. | |
Die Piraten nutzen diese Steilvorlagen kaum. | |
Dafür braucht es zwei Dinge: ein gutes Netzwerk, das haben wir intern, aber | |
nicht extern. Und Geld, das fehlt uns an jeder Ecke. Wir können etwa für | |
den Wahlkampf nicht einfach eine Agentur beauftragen, sondern müssen alles | |
selber machen und darauf vertrauen, dass Menschen gerade Zeit haben, Dinge | |
zu tun. Das dauert länger, aber da sind wir halt anders. | |
Und derweil besetzen andere die Themen. | |
Wir haben inzwischen durchaus auf dem Schirm, Themen nicht mehr an uns | |
vorbeiziehen zu lassen. | |
Sie bezeichnen sich als Nerd. Warum braucht der Bundestag Nerds? | |
Weil Nerds die Dinge auseinanderschrauben und nachgucken, wie sie innen | |
funktionieren. | |
Sie schrauben Dinge auseinander? | |
Ja, meine Rechner baue ich selbst zusammen. Ich repariere auch gern, löte | |
Dinge zusammen. Ich wollte schon immer verstehen, wie die Welt | |
funktioniert. Deshalb war auch mein Traum, Physik und Philosophie zu | |
studieren. Am Ende ist es die weltlichere Variante geworden: Politik, | |
Soziologie und VWL. | |
Und was wollen Sie im Bundestag auseinanderschrauben? | |
Das Thema soziale Gerechtigkeit liegt mir sehr am Herzen. Alle sollten die | |
gleichen Chancen haben, ihr Leben zu gestalten. Wenn Unternehmen Gewinne | |
einstreichen, weil ihre Leute mit einem Lohn nach Hause gehen, mit dem sie | |
gerade so über die Runden kommen, obwohl sie sechs Tage die Woche die ganze | |
Scheißarbeit machen, dann macht mich das wütend. Gleichzeitig müssen wir, | |
in Anbetracht des Überwachungsskandals von Prism und Tempora, ganz genau | |
hinschauen und klären, in welchem Ausmaß hier unbescholtene Bürger | |
ausspioniert werden und in welchem Umfang Regierung und Opposition | |
möglicherweise davon wussten. | |
Wie wollen Sie das ändern? | |
Es gibt viele Punkte, an denen wir ansetzen können. Wir Piraten sind ja | |
Bürger, die politikverdrossen waren und gesagt haben: Jetzt machen wir das | |
eben selber. Und ich bin eine davon. Wir wollen überlegen, wie wir unsere | |
Gesellschaft langfristig, vielleicht sogar europaweit organisieren können. | |
Die Piraten sind eine globale Bewegung, wir denken da auf einem anderen | |
Level. Nehmen Sie das bedingungslose Grundeinkommen, das in unserem | |
Grundsatz- und Wahlprogramm steht. | |
Ihr Herzensthema: ein Grundeinkommen für alle, ob im Job oder arbeitslos. | |
Das ist nicht mein Herzensthema, aber eines, das ich sehr spannend finde. | |
Das Grundeinkommen ist ein Generationenkonzept, das erfordert ein Umdenken | |
über die Art und Weise, wie wir zusammenleben. Das geht nicht von heute auf | |
morgen. | |
Was schlagen Sie vor: Wie viel Geld sollte jeder monatlich bekommen? | |
Genau das wollen wir mit den Bürgern diskutieren. Wir wollen ja keine | |
Top-down-Politik im Sinne: Das sind unsere Ideen, die setzen wir jetzt | |
durch. Unsere Idee ist, gleich nach dem Einzug in den Bundestag eine | |
Enquetekommission zu gründen und verschiedene Modelle auszuarbeiten, über | |
die dann die Bürger in einem Volksentscheid abstimmen. Das verstehen wir | |
unter Mitbestimmung. | |
Wäre ein Grundeinkommen in Berlin, der Hauptstadt der Erwerbslosen, | |
überhaupt finanzier- und durchsetzbar? | |
Das müsste man mal durchrechnen. Aber richtig, es gibt Probleme, die jetzt | |
gelöst werden müssen. Wenn Leute von ihrem Hartz IV nicht mehr ihre Mieten | |
zahlen können oder als Leiharbeiter nicht genug Geld verdienen, können wir | |
nicht 20, 30 Jahre aufs bedingungslose Grundeinkommen warten. Deshalb | |
fordern wir ja auch, die Hartz-IV-Sanktionen abzuschaffen. Deshalb wollen | |
wir, dass Leiharbeit begrenzt wird und Leiharbeiter nicht weniger Lohn | |
erhalten, sondern 10 Prozent mehr als die Stammbelegschaft, weil ihre | |
Arbeit viel unsicherer ist. Und wir wollen Mindestlöhne von 9,77 Euro. | |
All das fordern so oder ähnlich auch Linkspartei, Grüne und SPD. Warum | |
müssen es auch noch die Piraten tun? | |
Weil die anderen erst mal beweisen müssen, dass sie ernst meinen, was sie | |
erzählen. Wir haben Friedensparteien erlebt, die einen Krieg angefangen | |
haben. Wir haben eine sozialliberale Partei erlebt, die Hartz-IV-Gesetze | |
mit Sanktionen eingeführt hat. Als Bürgerin kann ich diesen Parteien | |
einfach nicht mehr vertrauen. Meine Hoffnung ist, dass die Piraten dieses | |
Vertrauen zurückgeben können. | |
Auch die Piraten standen mal für Transparenz und tagen jetzt teils hinter | |
verschlossen Türen. Und wirkliche Onlinedemokratie gibt’s bis heute nicht | |
in der Partei. Auch da wurde Vertrauen enttäuscht. | |
Das ist mir bewusst. Nur war da auch eine Erwartung, dass wir mit wehenden | |
Fahnen ins Parlament einziehen und alles sofort anders machen. Nur ist | |
Politik eben doch das Bohren ganz dicker Bretter. Ich glaube, man muss ein | |
gehöriges Maß an Masochismus mitbringen, wenn man als Idealist in den | |
Politikbetrieb geht, um etwas zu verändern. Uns muss klar sein, dass wir im | |
Bundestag erst mal vier Jahre gegen ganz harte Wände rennen und wenig | |
bewegen werden. | |
Sie nennen die Piraten eine linke Partei. Was heißt für Sie links? | |
Starke Bürgerrechte. Der Bürger muss die Freiheit haben zu entscheiden, wie | |
er sein Leben führt. Gleichzeitig ist es wichtig, dass eine Gesellschaft | |
sich vertraut, dass sie wieder Solidarität lernt. Der Neoliberalismus hat | |
das ja völlig untergraben. Je marktliberaler eine Gesellschaft ist, umso | |
weiter geht die soziale Schere auf, umso größer sind die Spannungen und | |
umso schlechter geht es allen. | |
Sie haben mal eine monatliche Demonstrationspflicht gefordert. Was würde | |
die helfen? | |
(lacht) Stimmt, das habe ich mal gesagt. Natürlich kann man niemanden | |
zwingen, politisch zu sein. Der Vorschlag sollte die Menschen aber zum | |
Nachdenken bringen. Wofür bin ich eigentlich, und was finde ich doof? Mit | |
diesen Ideen rauszugehen und sich mit anderen Leuten auszutauschen wäre | |
Teil eines politischen Bürgers, der leider immer mehr verloren geht. Auch | |
weil ihm die Politik nur noch die Rolle als Zuschauer lässt. Die Politiker | |
allein können die Welt aber nicht verändern. Da muss jeder mitmachen. | |
In Berlin wäre es an der Piraten-Fraktion, diese Visionen voranzutreiben. | |
Die aber fiel zuletzt mit internen Verwerfungen auf. Ist die Fraktion eher | |
Stütze oder Hemmnis für Ihren Wahlkampf? | |
In jeder Gruppe gibt es gewisse Dynamiken, das passiert in den besten | |
Familien. Das Bild nach außen erscheint aber heftiger, als es tatsächlich | |
ist. Die Fraktion unterstützt mit ihrem Wissen und Können die Partei sehr. | |
Was ist denn nach Ihrer Meinung die wichtigste Veränderung, die die | |
Fraktion bewirkt hat? | |
Ich habe die Landesebene nicht so im Blick, aber ich finde großartig, wie | |
wir den Untersuchungsausschuss zum BER leiten. Auch weil wir diese Webseite | |
aufgebaut haben, mit der man transparent nachvollziehen kann, was wann | |
genau gelaufen ist. Zudem werden jetzt Ausschüsse live gestreamt, das gab’s | |
vorher nicht. | |
Zuletzt musste sich die Fraktion Benimmregeln geben wie: „Wir arbeiten | |
nicht gegeneinander.“ Kindergarten, oder? | |
Das muss die Fraktion für sich klären. Ich finde es Common Sense, dass wir | |
zusammenhalten. | |
Ist es ein Problem, dass profilierte Piraten wie die früheren | |
Fraktionschefs Christopher Lauer und Andreas Baum nur noch am Rand | |
mitspielen? | |
Nein. Ich finde, die Neuen machen das super. Es sind nicht immer nur die | |
medial superpräsenten Menschen, die wertvoll sind. Es ist auch mal gut, | |
dass jemand wie Alexander Spies, der mehr im Hintergrund arbeitet, | |
Fraktionsvorsitzender wird und für seine Arbeit mehr Aufmerksamkeit | |
bekommt. | |
Auch Sie arbeiteten bei den Piraten bisher im Hintergrund, waren | |
Webdesignerin und Studentin. Nun sind Sie Spitzenkandidatin und saßen | |
zuletzt in der TV-Politshow von Stefan Raab. Wie fühlt sich das an? | |
Natürlich ist der Wechsel brachial. Aber was kann es Besseres geben, als | |
Visionen in die Öffentlichkeit zu tragen, für die man brennt? Und die | |
Resonanz auf den Raab-Auftritt, auch außerhalb der Partei, war äußerst | |
positiv. Von daher werde ich das auch weitermachen. | |
Sie sind bereit für die Ochsentour Wahlkampf? | |
Ich schreibe gerade noch meine Bachelor-Arbeit, aber sonst ist Wahlkampf. | |
Ich habe noch ein bisschen was Erspartes, und davon werde ich bis zum | |
Herbst leben. Dann ist mein Konto garantiert auf null, aber das ist okay. | |
Die Chance, seinen Traum zu leben, bekommt man vielleicht nur ein einziges | |
Mal im Leben. | |
Und wenn der Einsatz am Ende umsonst war und Sie doch nicht in den | |
Bundestag kommen? | |
Das wäre schade, echt schade. Aber zum einen wäre schon im kommenden Jahr | |
die Europawahl. Und als Partei sind wir ja gekommen, um zu bleiben. Auch | |
2009, als wir 2 Prozent bei der Bundestagswahl hatten, wurde gesagt, die | |
Piraten sind weg. Und? Wir sind immer noch da. | |
9 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
Konrad Litschko | |
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