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# taz.de -- Kanadier verhindert Abschiebung: „Wichtiger als der eigene Spaß�…
> Eigentlich wollte François-Xavier Sarrazin ins Wochenende nach Budapest
> fliegen. Dann verhinderte er die Abschiebung eines Flüchtlings. Ein
> Interview.
Bild: Die Forderung der Flüchtlingsaktivisten - von Francois-Xavier Sarrazin p…
taz: Herr Sarrazin, Sie haben am Donnerstag eine Abschiebung verhindert.
Wie fühlen Sie sich?
François Sarrazin: Ein bisschen gestresst, um ehrlich zu sein. Ich warte
auf die Mitteilung, was für Konsequenzen das für mich hat.
Was glauben Sie?
Die Polizei hat am Flughafen meine Personalien aufgenommen. Es hieß, ich
könne gehen, stehe aber weiterhin unter Verdacht. Dank der Hilfe von
Flüchtlingsaktivisten habe ich zumindest schon mal einen Anwalt.
Sie sind Kanadier. Was hat Sie nach Berlin verschlagen?
Mein Beruf. Ich bin Künstler und Fotograf. Seit eineinhalb Jahren lebe ich
in Berlin. Ich liebe die Stadt und möchte auf alle Fälle länger bleiben.
Letzten Donnerstag wollten Sie von Tegel nach Budapest fliegen. Was hatten
Sie dort vor?
Ich wollte meine Freundin besuchen. Es war ein Kurztrip von drei, vier
Tagen geplant.
Als Sie eincheckten, fand gerade eine Protestaktion gegen die geplante
Abschiebung des pakistanischen Asylbewerbers Usman Manir statt. Was haben
Sie davon mitbekommen?
Jemand hat mir ein Flugblatt in die Hand gedrückt. Der Inhalt hat mich
erbost. Nicht schon wieder diese Scheiße, habe ich gedacht. In Kanada
passiert mit Flüchtlingen ja das Gleiche. Das war’s wohl mit dem
Wochenende, schoss es mir durch den Kopf.
Wann genau haben Sie die Entscheidung getroffen, etwas zu unternehmen?
Nach dem Check-in. Ich saß in dem Bereich, wo man auf den Aufruf zum
Boarding wartet. Als uns der Bus zum Flugzeug brachte, sah ich von dort
einen Polizei-Mannschaftswagen kommen. Der Abschiebehäftling ist also im
Flieger, war mein Gedanke. Das ist hier alles kein Witz, das ist
Wirklichkeit.
Hatten Sie Angst?
Schon ein bisschen. Andererseits war ich mir sicher, dass ich nichts
Ernsthaftes zu befürchten habe. Ich hatte ja nichts Gefährliches oder gar
Gewalttätiges vor. Ich wollte auch kein großes Theater machen.
Als sich das Flugzeug in Bewegung setzte, sind Sie von Ihrem Sitzplatz
aufgestanden. Wie kamen Sie auf die Idee?
Das stand so in dem Flugblatt, das die Protestierer verteilten: Wenn du
dich nicht hinsetzt, darf das Flugzeug nicht starten. Das Einzige, was ich
machen musste, war aufzustehen und mich zu weigern, mich zu setzen.
Wann haben Sie Manir zum ersten Mal gesehen?
Er saß ganz hinten im Flugzeug. Er war nicht gefesselt und hatte auch keine
Polizeibegleitung. Ich habe ihm zugelächelt, als ich eingestiegen bin.
Nachdem ich mein Handgepäck verstaut hatte, bin ich zu ihm hin und habe ihm
das Flugblatt gezeigt. Ich wollte sicher sein, dass er auch wirklich Usman
Manir ist. Er sagte „Yes“. Ich habe ihm bedeutet, dass ich mit der Aktion
warte, bis die Türen geschlossen sind.
Wie ging’s dann weiter?
Ich habe eine Nachricht auf einen Zettel geschrieben, warum ich mich nicht
hinsetzen werde. Die habe ich dem Steward übergeben. Der hat mich zweimal
aufgefordert, mich hinzusetzen. Dann hat er den Kapitän informiert. Der hat
das Flugzeug gestoppt. Manir ist aufgestanden und zu meinem Platz gekommen.
Wie haben die anderen Passagiere reagiert?
In dem Flieger saßen so an die 70 Menschen. Ich habe versucht, zu erklären,
warum ich das tue. Ich wollte niemanden ängstigen, geschweige denn
herausfordern. Die Leute waren ganz still. Einige schienen Angst vor mir zu
haben. Ein Mann rief laut: Halt die Klappe und setz dich hin.
Gab es Solidarität?
Bei einigen meinte ich, an den Augen zu erkennen, dass sie sympathisierten.
Aber sie gingen kein Risiko ein.
Was geschah, als der Flieger hielt?
Die Türen gingen auf und Polizisten kamen rein. Alles war friedlich. Die
Polizei wusste, dass wir das Flugzeug verlassen wollten. Das hatte ich auf
den Zettel geschrieben. Ich ging hinter Usman, um sicher zu sein, dass er
den Flieger wirklich verlässt.
Wie reagierte Manir?
Wir wurden in denselben Polizeibus gebracht. Er konnte es nicht glauben,
kauerte am Boden des Polizeiwagens und hatte seinen Kopf in den Händen. Ich
bat ihn, sich zu setzen. Alles ist vorbei, habe ich gesagt. Aber er
reagierte nicht. Er war verängstigt, glaubte, dass er in das Flugzeug
zurückmuss. Er spricht nur ganz wenig Englisch. Im Flugzeug hatte er mir
bedeutet, dass ein Ohr taub ist, seit er in Ungarn in einer Unterkunft für
Asylbewerber misshandelt worden ist.
Den Piloten haben Sie demnach überhaupt nicht gesehen?
Doch, als wir im Polizeibus saßen, kam er aus dem Flugzeug und sprach mit
den Polizisten. Ich konnte nichts verstehen. An der Bewegung der Hände
meinte ich zu erkennen, dass ihn die Polzisten fragten, ob sie Usman ins
Flugzeug zurückbringen könnten. Der Pilot wehrte ab. Ich glaube, er war
einfach abgegessen. Er schien keine Lust auf weitere Probleme zu haben.
Wann hat Manir realisiert, dass er nicht abgeschoben wird?
Ich sagte immer wieder zu ihm, es ist vorbei. Da fing er an zu weinen. Auf
dem Flughafen wurde er von Polizisten abgeholt, die ihn in die
Abschiebehaft zurückbringen sollten. Er hat freiwillig seine Hände
ausgestreckt, damit ihm Handfesseln angelegt werden können. Aber die
Polizisten haben gesagt, Handfesseln seien nicht nötig.
Wie würden Sie seinen Zustand beschreiben?
Ich will nicht sagen, dass er gebrochen wirkte. Aber er wirkte ernsthaft
krank. Dieser Mann sollte nicht im Gefängnis sein. Er tut mir extrem leid.
Ich möchte den Kontakt zu ihm halten.
Was denken Sie im Nachhinein von Ihrer Aktion?
Ich wollte nach Budapest fliegen, um mit meiner Freundin ein schönes
Wochenende zu verbringen. Sie lebt in Ungarn. Und dann sitze ich im
Flugzeug zusammen mit einem Mann, der abgeschoben werden soll? What the
fuck is this? Es gibt Dinge, die sind ein bisschen wichtiger als der eigene
Spaß.
Und was hat Ihre Freundin gesagt, als sie hörte, dass Sie nicht kommen?
Zuerst hat sie es nicht geglaubt. Aber dann hat sie gesagt: Oh, du mein
Held.
23 Jun 2013
## AUTOREN
Plutonia Plarre
## TAGS
Asyl
Abschiebung
Abschiebung
Berlin
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