Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Existenzkampf in Duisburg: 480.000 Krieger plus X gesucht
> Die Stadt Duisburg hilft dem abgewirtschafteten Spitzenklub und fürchtet
> sich vor den Folgen. Bei den MSV-Fans herrscht trotz Lizenzentzug
> Aufbruchsstimmung.
Bild: Die MSV-Farben hängen in Duisburg auf Halbmast.
DUISBURG taz | Joachim Hopp hat gerade einen guten Freund verloren. Tot ist
der Freund zwar nicht, aber so habe es sich angefühlt, als er vergangene
Woche von der Hiobsbotschaft hörte, erzählt Hopp. Sein guter Freund heißt
MSV Duisburg. Vor zehn Tagen schlug an der Wedau die Nachricht aus
Frankfurt ein, dass die Deutsche Fußball-Liga (DFL) dem Klub die Lizenz für
die 2. Bundesliga verweigert. Ein Traditionsverein liegt auf der
Intensivstation.
An diesem Dienstagabend lässt Hopp, von 1989 bis 1998 Spieler beim MSV,
seinen Blick über die Menschenmenge hinter dem Duisburger Hauptbahnhof
schweifen. Seit das Horrorszenario Zwangsabstieg über die Stadt
hereingebrochen ist, trägt Duisburg blau-weiße Streifen, den Zebralook.
Dazu gesellen sich an diesem Tag Schwarz-Gelb, Königsblau oder Rot-Weiß.
Ungewohnte Farbtupfer der Solidarität für die graue Maus am westlichen Ende
des Ruhrgebiets. „Mitleid ist im Fußball nie gut“, sagt Publikumsliebling
Hopp, „aber dieses Mitleid nimmt man gerne an.“
Einige Fans haben für 19.02 Uhr zu einem gemeinsamen Marsch zum Stadion
aufgerufen, angelehnt an 1902, das Gründungsjahr des MSV. Fußballfans
stehen auf Symbolik, gerade in schweren Zeiten. Kein Trauerzug, sondern ein
erster Schritt des Neuanfangs sollen die drei Kilometer bis zur
Schauinsland-Reisen-Arena werden. Das betonen Vertreter der Fans, der Stadt
und des Vereins einhellig.
In der dunkelsten Stunde der Vereinsgeschichte hat sich eine merkwürdig
anmutende Aufbruchsstimmung über Duisburg gelegt. Das Schicksal des
Vereins, der nie die identitätsstiftende Strahlkraft der großen
Konkurrenzklubs aus der Region hatte, bewegt die Stadt. Fast 6.000 Menschen
sind zum Marsch gekommen. An manch einem tristen Wintertag in der
vergangenen Saison waren es selbst bei den Heimspielen kaum mehr.
Bisher ist wenig bekannt über die Hintergründe des Schlamassels, das vor
anderthalb Wochen über die Stadt hereingebrochen ist. Zwar war die
schwierige finanzielle Situation des MSV schon länger bekannt, doch als die
Verantwortlichen die Unterlagen fristgerecht an die DFL schickten, schien
positive Rückmeldung aus Frankfurt nur noch Formsache zu sein.
## MSV legt Einspruch ein
Woran der Verein letztlich scheiterte, ist offiziell noch immer unklar.
Mittlerweile ist die Urteilsbegründung der DFL zwar in Duisburg angekommen,
über den Inhalt des Briefes schweigen sich die Offiziellen aber auch auf
taz-Anfrage aus. Fest steht nur, dass der MSV vor dem Ständigen
Schiedsgericht Einspruch einlegen wird.
Glaubt man der lokalen Presse, ist eine Mischung aus dilettantischen
Fehlern der Duisburger Vereinsführung und dem Machtstreben des langjährigen
Großsponsors Walter Hellmich Grund für die Misere. Der Klub soll rund
360.000 Euro aus Krediten zweier städtischer Tochtergesellschaften in den
Unterlagen doppelt verbucht haben.
Hellmich forderte für seinen Kredit gleichzeitig Mitspracherechte bei der
Besetzung von Posten in Aufsichtsrat und Geschäftsführung. Eine solche
externe Einflussnahme verbieten die DFL-Statuten jedoch ausdrücklich.
Die Fanszene hat sich auf Hellmich als Hauptschuldigen eingeschossen: Beim
Fanmarsch sind immer wieder Schmähgesänge gegen den Bauunternehmer zu
hören, einige Transparente betiteln ihn als „Totengräber“.
## 20 Mio. Euro von der Stadt
Auch wenn der MSV und seine Fans die Hoffnung auf einen Verbleib in der
zweithöchsten Spielklasse noch nicht ganz aufgegeben haben: Die Fehler – da
sind sich fast alle Beteiligten einig – dürften zu schwerwiegend sein, um
dem MSV noch eine realistische Chance auf eine Zweitliga-Lizenz
einzuräumen. Der Absturz droht. Unklar ist wohl nur noch, wie tief die
Duisburger fallen werden.
Die seltsame Mischung aus Wut, Trauer und neuem Mut hat den blau-weißen
Fanzug mittlerweile bis auf die Duisburger Koloniestraße getragen. Inmitten
der Massen steht Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) mit Sakko und
Fan-Schal und wippt vorsichtig zu „Wer nicht hüpft, der ist kein Zebra!“.
Noch weigert sich der 36-Jährige, über das Worst-Case-Szenario Insolvenz zu
sprechen, doch auch sein Blick richtet sich schon in die Zukunft. „Es muss
unser Ziel sein, den Verein so umzustrukturieren, dass er nicht mehr auf
Gedeih und Verderb von städtischen Zuwendungen abhängig ist“, sagt Link.
Wie die taz erfuhr, sollen über städtische Gesellschaften seit 2002 rund 20
Millionen Euro an den MSV geflossen sein.
Zudem müsste die Stadt im Falle einer Insolvenz die Stadion-Betriebskosten
in Millionenhöhe übernehmen, weil die Arena auf städtischem Grund steht und
an die Stadt zurückfiele.
## Fatale Folgen
Uwe Busch lässt sich trotz der prekären Lage nicht von Pathos und
Durchhalteparolen anstecken. Wenn der Geschäftsführer des Duisburger
Stadtsportbundes (SSB) aus der Geschäftsstelle tritt, blickt er direkt auf
die Schauinsland-Reisen-Arena, doch seine Gedanken gehen weit über die
Misere des MSV hinaus.
„Eine Insolvenz hätte fatale Folgen in allen Bereichen des Sports hier in
Duisburg“, sagt er. „Es kann nicht die Idee sein, das Geld bei anderen
Vereinen wegzunehmen.“ Über 500 Vereine mit mehr als 100.000 Mitgliedern
gibt es in der Stadt, bei nur gut 2 Millionen Euro städtischer
Vereinsförderung jährlich sind diese ohnehin chronisch klamm.
Sollte die MSV-Pleite die städtischen Kassen nun zusätzlich belasten,
befürchtet Busch auch negative Auswirkungen auf den Breitensport. Zu allem
Überfluss steckt neben dem MSV noch ein weiteres Aushängeschild der Stadt
in großen Problemen.
Der FCR Duisburg gehörte noch vor wenigen Jahren zu den besten Vereinen des
deutschen Frauenfußballs, 2009 war die Mannschaft nach dem Sieg im Uefa-Cup
sogar europäische Spitze.
## Aschefeld und Kunstrasen
Trotz aller Erfolge liegt über der Heimstätte des FCR an der Mündelheimer
Straße bis heute der Charme des Amateurfußballs. Am Trainingsplatz erheben
sich drei Steinstufen für die seltenen Kiebitze, daneben ruht
ruhrpottromantisch ein rotes Aschefeld. Seit vier Jahren gibt es auch einen
Kunstrasenplatz.
Dass der Bau dieses Spielfeldes beinahe den Untergang des FCR einleitete,
mutet reichlich absurd an, leisten sich heute doch selbst kleinere
Gemeinden einen solchen Platz für alle Witterungsbedingungen. Zusätzlich
blähte sich der Verein in den Erfolgsjahren personell und strukturell auf.
Als dann zahlreiche Leistungsträgerinnen wie Nationalspielerin Inka Grings
den Verein verließen, stürzte der FCR tief und musste Anfang des Jahres
Insolvenz anmelden. Obwohl der DFB dem Verein Ende Mai die Lizenz für die
kommende Saison erteilt hat, hängt der FCR nach wie vor in den Seilen. Noch
ist nicht klar, ob die Insolvenz abgewendet werden kann.
## Selbstwertgefühl in Gefahr
Vor dem altbackenen FCR-Vereinsheim sitzen Sportvorstand Hanns-Dieter Weber
und Coach Sven Kahlert zusammen und grübeln über die Zukunft. „Duisburg ist
einfach ein schwieriges Umfeld für den Spitzensport“, sagt Weber und fischt
eine Zigarette aus seiner Schachtel.
Die Pleite des MSV könnte auch den maroden FCR belasten. Der
Frauenfußball-Klub lebt nach Ende der fetten Jahre hauptsächlich von
Zuwendungen einiger städtischer Gesellschaften – darunter auch jener, die
im Falle einer MSV-Insolvenz auf ihren offenen Forderungen sitzen bleiben
würden. „Beide Vereine auf einen Schlag zu verlieren“, glaubt Weber, „w�…
das Image und das Selbstwertgefühl der Stadt noch mehr beschädigen.“
Unabhängig vom Ausgang des laufenden Verfahrens um ihren MSV wollen die
Teilnehmer des Fanmarsches eine Aufbruchsstimmung erzeugen. Sie sind
mittlerweile am Stadion angekommen und machen aus dem Hang hinter der
Haupttribüne ein blau-weiß gestreiftes Amphitheater.
## Kohle und Stahl
Mit den Schals über den Köpfen singen sie die MSV-Hymne: „Früher gab’s h…
nur Kohle, früher war hier nur Stahl – für die Zukunft kämpfen, das ist f�…
uns normal.“ Selten passten die Zeilen besser.
Vereins-Ikone Joachim Hopp steht mit MSV-Funktionären und OB Link unten im
Kessel. Wieder lässt er ungläubig den Blick über die Menschenmassen
schweifen, die Augen glasig vor Rührung. Wie ein Angehöriger, der staunt,
wie viele alte Freunde zur Beerdigung gekommen sind.
Hopp greift sich das Mikrofon. „MSV-Familie, ich nenn euch Familie, denn
wir sind eine Familie“, beginnt er. Hopps Ruhrpott-Verve bringt die
Lautsprecher zum Knacken. „Wir müssen 480.000 Krieger werden, plus X.“ Dann
geben die Boxen den Geist auf. Trotzdem jubeln die Menschen ihrer
Vereinslegende zu. „Hoppi“ hat sie wieder alle gekriegt.
Einen Tag nach der Kundgebung sitzt Michael Wildberg vor dem Duisburger
Hauptbahnhof. Vor zwei Jahren hat er das Buch „So Lonely“ veröffentlicht,
eine 194-seitige Liebeserklärung an den MSV Duisburg. „Wie schizophren ist
das denn?“, hat Wildberg sich beim Fanmarsch nur gefragt.
## Hoffnung auf Neuanfang
Dass er ausgerechnet in diesen Tagen einen seiner „besten Momente mit dem
MSV“ erlebt. Auf Trauerfall-Rhetorik verzichtet er. „Irgendwie ist die
Situation doch sexy“, sagt Wildberg. Viel Trotz schwinge da natürlich mit,
aber auch die Hoffnung auf einen konsequenten Neuanfang auf solider Basis.
Zur Not in der Fünftklassigkeit, zur Not bei der SV Hönnepel-Niedermörmter.
„Immer wenn jemand in der Stadt größenwahnsinnig geworden ist, sind
kolossale Fehler gemacht worden“, warnt Wildberg. „Demut war hingegen immer
gut.“ Wildberg hat sich das zum Motto gemacht. Ob Heidenheim in der
dritten, Verl in der vierten oder Baumberg in der fünften Liga – der
31-Jährige nimmt die Zukunft des MSV, wie sie kommt, und ist in Duisburg
damit nicht alleine.
Im 111. Jahr seines Bestehens liegt der MSV Duisburg auf der
Intensivstation – und erscheint ausgerechnet jetzt so attraktiv wie lange
nicht mehr.
7 Jun 2013
## AUTOREN
Jannis Carmesin
Jannik Sorgatz
## TAGS
MSV Duisburg
2. Bundesliga
DFL
Lizenz
Frauenfußball
Fifa
Frauenfußball
Lizenz
MSV Duisburg
Lizenz
VfL Osnabrück
## ARTIKEL ZUM THEMA
Pionierin im Männerfußball: „Ich bin die Richtige“
Inka Grings feiert ihren Abschied vom Frauenfußball. Sie trainiert bald die
männliche B-Jugend von Viktoria Köln. Danach will sie ganz nach oben.
SV Wilhelmshaven gegen Fifa: „Wir wollen keinen Krieg“
Der Fußballweltverband Fifa könnte ein ernstes Problem bekommen. Und das,
weil Regionalligist SV Wilhelmshaven gegen seinen Zwangsabstieg klagt.
Frauenfußball Deutschland– Japan: Vorne hui, hinten pfui
Kurz vor Beginn der Europameisterschaft schlagen die deutschen Frauen
Weltmeister Japan mit 4:2. Ein Manko der stark verjüngten Mannschaft aber
bleibt.
Entscheidung DFB-Schiedsgericht: Wirklich keine Lizenz für Duisburg
Der MSV Duisburg erhält endgültig keine Lizenz für die Saison 2013/14 der
zweiten Fußball-Bundesliga. Das Ständige Schiedsgericht wies den Einspruch
des Vereins ab.
Finanzexperte über MSV Duisburg: „Das Verfahren ist problematisch“
Der MSV Duisburg erhält keine Zweitliga-Lizenz. Der Sportfinanzexperte Marc
Strauß kritisiert die Lizenzierung der Deutschen Fußball Liga.
Zweite Fußball-Bundesliga: Keine Lizenz für den MSV Duisburg
Der Ligaverband verweigert dem MSV Duisburg die Lizenz für die kommende
Zweitligasaison. Der SV Sandhausen würde dem Abstieg entgehen – noch ist
aber Einspruch möglich.
Die finanzielle Schere im Profifußball: Pleitiers im Boommarkt
Die Fußball-Bundesliga feiert Rekordzahlen. Doch gut läuft das Geschäft nur
ganz oben. An kleineren Standorten rollt der Ball nur noch dank
Subventionen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.