# taz.de -- Zweikampf bei der Tour de France: Traumpaar in Gelb und Weiß | |
> Jonas Vingegaard führt die Tour der France vor Tadej Pogačar an. Statt | |
> gegeneinander zu sticheln, begegnen sie sich mit dem größten Respekt. | |
Bild: Stets Rad an Rad: Tadej Pogačar (weiß) und Jonas Vingegaard (gelb) beim… | |
SAINT-ÉTIENNE taz | Die Tour hat ein neues Traumpaar. Man trifft es gleich | |
hinter dem Zielpodium jeder Etappe. Ein weißer und ein gelber Teppich | |
bedecken da den Boden. Auf dem weißen Teppich hat Tadej Pogačar seinen | |
Rollentrainer aufgebaut, auf dem gelben Jonas Vingegaard. Ja, Pogačar, der | |
zweifache Toursieger, hat Gelb verloren und ist jetzt wieder im weißen | |
Unschuldsleibchen des besten Nachwuchsfahrers unterwegs – welch Ironie der | |
Kategoriespielchen. | |
Und Vingegaard, im letzten Jahr noch von Pogačar deutlich beherrschter | |
Tour-Zweiter, ist jetzt recht souverän in Gelb. Das verblüffendste aber | |
ist, wie einträchtig diese beiden Rivalen, die um das Wichtigste streiten, | |
was der Profiradsport zu vergeben hat, miteinander wirken. Im gleichen | |
Rhythmus bewegen sie die Pedale. Sie lächeln in die Kameras. Manchmal | |
lächeln sie sich sogar gegenseitig zu. | |
„Wir achten und schätzen uns als Rennfahrer. Ich habe jetzt nicht die | |
Telefonnummer von Tadej“, sagte Vingegaard in der Pressekonferenz und | |
präzisierte: „Wir sind natürlich Rivalen. Wir haben aber auch Respekt | |
voreinander.“ | |
[1][Der Däne] und der Slowene sind leistungsmäßig bei dieser | |
Frankreichrundfahrt auf einem ähnlichen Niveau. Im Gegensatz zu früheren | |
Rivalen, bei denen das ähnlich war, sticheln die beiden aber nicht | |
gegeneinander. Sie scheinen sich sogar, wenn das bei einer Rivalität um ein | |
so hohes Ziel überhaupt möglich ist, zu mögen. Beide wollen gegeneinander | |
ausfahren, wer der Bessere ist. Und wenn der eine dann verliert, macht er | |
nicht den Eindruck, dass er vor Enttäuschung gleich zusammenbrechen würde. | |
## Geerdeter Überflieger | |
Vingegaard, der Aufsteiger dieser Tour, ist viel zu sehr geerdet, als dass | |
er bei einem Verlust des Leibchens ins Tal der Depression abgleiten würde. | |
Als Mann Anfang 20 hat er vor seinem Training beim Nachwuchsrennstall | |
ColoQuick in Dänemark noch Frühschichten in der Fischfabrik durchgezogen. | |
„Diese Erfahrung gemacht zu haben, diese Einblicke in ein ganz normales | |
Arbeitsleben, halfen mir bei meinen nächsten Entwicklungsschritten“, sagte | |
er rückblickend im vergangenen Jahr. Vingegaard wird von Leuten, die ihn | |
näher kennen, als zurückhaltend, sehr reflektiert und vor allem nervlich | |
stabil beschrieben. | |
An Pogačar löst Respekt aus, wie er seine Schlappe vom Col du Granon in den | |
Alpen verdaut hat. „Natürlich war er enttäuscht, dass er da Zeit verloren | |
hat. Ursache dafür war, dass er sich an diesem Tag nicht richtig ernährt | |
und deshalb eine Schwächephase hatte“, erklärte Mauro Gianetti, Teamchef | |
von Pogačar, der taz. Gianetti beobachtete aber auch, dass Pogačar nicht | |
frustriert ist, die negative Erfahrung nicht düster in sich hereinfrisst. | |
„Er sieht jetzt, dass er einen ebenbürtigen Rivalen hat. Das fordert ihn | |
noch mehr heraus. Er liebt einfach den Wettbewerb auf dem Rad“, sagte | |
Gianetti. | |
Und das sieht man dann auch bei dieser Tour. Pogačar hält sich nicht | |
zurück. [2][Er sucht die Attacke], vor allem die überraschende. Am Samstag | |
attackierte er schon 10 Kilometer nach dem Start – und erreichte so eine | |
Schwächung der Jumbo-Visma-Truppe um Vingegaard. Dessen einstmaliger | |
Co-Kapitän und wichtiger Helfer beim Kampf um Gelb, Primož Roglič, fiel | |
zurück. Und mit ihm ein, zwei Helfer, die Vingegaard auch zupassgekommen | |
wären. | |
Kurz vor dem Ziel in Mende attackierte Pogačar erneut. „Ich werde es immer | |
versuchen, dann, wenn man es erwartet, und auch dann, wenn es weniger | |
wahrscheinlich scheint“, sagte er fröhlich. Bisher führten seine Attacken | |
lediglich dazu, dass er sich gemeinsam mit dem im gleichen Rhythmus | |
pedalierenden Vingegaard aus dem Feld der anderen Mitbewerber herauslöste. | |
## Unzertrennliches Duo | |
Man fühlte sich an Magnetfiguren erinnert. Zwei, die beständig | |
aneinanderkleben, die eine in Weiß, die andere in Gelb. Und mal bewegt sie | |
eine fremde Kraft raus aus der Gruppe, in der dann noch die gelb-schwarzen | |
Wespenshirts der Jumbo-Helfer, schwarz-rote Ineos-Grenadier-Trikots, | |
das Blau von Groupama FDJ und ab und an weiß-grüne Hemden von Bora zu sehen | |
sind. Doch stets sind sie, der Weiße und der Gelbe, eng beieinander. | |
Das ist das Bild dieser zweiten Woche der Tour de France. Es dürfte auch in | |
der dritten Woche prägend sein. Von beiden, von Pogačar und Vingegaard, ist | |
bekannt, dass sie prima regenieren und selbst in der dritten Woche noch | |
Wattwerte treten können, die nahe denen aus der ersten Woche sind. Pogačar | |
hat dies bei seinen zwei Toursiegen und dem dritten Platz der Vuelta 2019 | |
eindrucksvoll bewiesen. | |
Vingegaard zeigte Stehvermögen bei der vorigen Tour. Nur bei seinem | |
Rundfahrtdebüt, der Vuelta 2020, fiel er ab. Aber da war er nur zum Lernen. | |
Und anders als Pogačar, bei dem die Vuelta 2019 die Ausbildungsrundfahrt | |
war, hatte Vingegaard mit Roglič den klaren Kapitän und souveränen | |
Gesamtsieger der Rundfahrt in den eigenen Reihen. Der Spielraum für eigene | |
Resultate war begrenzt. | |
Jetzt hat er Roglič, der am Sonntag aus der Rundfahrt ausgestiegen ist, in | |
den Schatten gestellt und aufgeholt zu Pogačar. Seine Rückstände aus dem | |
Zeitfahren zum Auftakt und der Etappe auf den Pflastersteinen von Roubaix | |
hat er dank der Ernährungsschwäche des jüngeren Slowenen mehr als | |
kompensiert. Die letzten Tage fuhr der Gelbe als Schatten des Weißen. Immer | |
wenn Pogačar attackierte, war Vingegaard zur Stelle. In den Pyrenäen will | |
Vingegaard selbst wieder angreifen. „Wenn sich die Gelegenheit ergibt, | |
werde ich das tun“, versprach er. Zwei Minuten und 22 Sekunden Vorsprung | |
auf einen Mann, der entscheidende Tour-Zeitfahren gern dominiert, sind kein | |
Ruhekissen. Das weiß auch Vingegaard. | |
Für die Attraktivität der Tour de France ist es ein Glücksfall, dass dem | |
slowenischen Traumprinzen des Radsports mit dem stillen Fischarbeiter aus | |
dem Norden ein ernsthafter Rivale erwachsen ist. | |
17 Jul 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Auftakt-der-Tour-de-France/!5862234 | |
[2] /Vorentscheidung-bei-der-Tour-de-France/!5863946 | |
## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
## TAGS | |
Radsport | |
Tour de France | |
Profisport | |
Radsport | |
Radsport | |
Tour de France | |
Radsport | |
Tour de France | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Dominator bei der Spanienrundfahrt: Attacken mit Verstand | |
Der Belgier Remco Evenepoel zeigt bei der Vuelta seine vielfach gepriesenen | |
Qualitäten. Angst bereiten ihm nur die Coronafälle unter den Fahrern. | |
Entscheidung bei der Tour de France: Lauter Siegeskannibalen | |
Selten hat ein Team die Tour so dominiert wie das von Gesamtsieger Jonas | |
Vingegaard. Wer nach Vergleichbarem forscht, landet beim Thema Doping. | |
Alpen-Etappe bei der Tour de France: Der Alte kann es doch noch | |
Chris Froome, nach einem schweren Sturz im Jahr 2019 nur noch ein Schatten | |
seiner selbst, kommt wieder in Form. In Alpe-d’Huez wird er sogar Dritter. | |
Vorentscheidung bei der Tour de France: Kannibale fährt mit | |
Tadej Pogacar wartet nicht erst auf hohe Pässe. Er zeigt schon im ersten | |
Drittel der Tour de France, dass er der dominierende Pedaleur ist. | |
Auftakt der Tour de France: Dänen im Partymodus | |
Der Abstecher der Tour de France in den Norden sorgt für Stürme der | |
Begeisterung. Überraschungssieger wird einer, der sein Glück kaum fassen | |
kann. |