# taz.de -- Weihnachtszeit in der Familie: Kacklaune trifft Adventskalender | |
> Für meine Kinder ist Weihnachten Kult, für meinen Mann ist Weihnachten | |
> eine finstere Zeit der Diktatur. So haben alle was davon. | |
Bild: In der Familie in der Regel unvermeidlich: Invasion der Engel | |
Der Dezember naht. Ich merke das, weil mich meine Tochter zunehmend mit dem | |
Adventskalender und mein Mann mit seiner Kacklaune nervt. Ganz im Gegensatz | |
zu Olivia ist Matthias ein [1][Weihnachtsgegner]. Er sagt, er lässt sich | |
nicht vorschreiben, wann er glücklich zu sein hat. | |
Würde es Montagsdemos zur Abschaffung aller Weihnachtsmaßnahmen geben, er | |
würde hingehen. Er zieht sich eher noch ein Aluhütchen auf als eine | |
Weihnachtmütze oder einen Strickpullover mit Rentier, den mittlerweile | |
sogar unsere coolen Grufti-Freunde über ihren schwarzen The-Cure-Shirts | |
tragen. Sie sagen: „If you can’t beat them, join them!“ | |
Matthias will sich nicht durchseuchen lassen, er bleibt | |
Weihnachtsskeptiker. Heiligabend in die Kirche zu gehen, führt er auf eine | |
geistliche Beeinträchtigung zurück, die Bibel ist ihm der größte | |
Verschwörungsmythos überhaupt. Auch dieses Jahr hält er bei uns seine | |
strengen Maßnahmen zur Eindämmung der Weihnachtshysterie aufrecht. Gegen | |
Weihnachtsmusik ist er zwar machtlos – die hört unser Sohn Willi das ganze | |
Jahr –, aber Weihnachtsdeko ist tabu. | |
Mein Mann findet, es stünde ohnehin zu viel herum – womit er recht hat. Ich | |
würde trotzdem gerne noch Engel, Wichtel und Kerzen dazwischen stopfen. | |
Immerhin darf ich einen Adventskranz haben. Ansonsten toleriert er drinnen | |
maximal ein paar mühsam gefaltete Fröbelsterne seiner Tochter, die er | |
„Friemelsterne“ nennt. | |
So richtig einig sind wir uns nur bei der Geschenkesperre unter | |
Erwachsenen. Matthias hat versucht, Olivia dieses Jahr davon zu überzeugen, | |
dass sie mit 13 Jahren keinen Adventskalender mehr braucht. Sie hielt | |
daraufhin eine Brandrede, in der sie proklamierte, unter allen Umständen | |
zum 1. Dezember auf die traditionellen Säckchen zu bestehen. Und zwar bis | |
zum Tage ihres Auszuges! | |
Diese Säckchen sind ein Geschenk von Gerdi, einer alten Nachbarin. Gerdis | |
Kalender ist Kult, selbst wenn im Gartenhaus schon Mäuse darin genistet | |
haben. Ich durfte nie einen neuen basteln, das wäre Blasphemie gewesen. Bis | |
heute wirft mir Olivia vor, dass ich mal versucht habe sie zu hintergehen. | |
Ich hatte ein Mal den Adventskalender nicht rechtzeitig bestückt, weil da | |
noch diese Aufführungen von Olivias Weihnachtsmärchen stattfanden und | |
Basteln in der Schule. Ich wollte die Säckchen einen Tag später aufhängen. | |
Olivia lebt orientierungslos in Raum und Zeit, sie hätte das niemals | |
bemerkt, wenn nicht die Oma kurz vorm Zubettgehen angerufen und gefragt | |
hätte, was denn Schönes in ihrem [2][Adventskalender] gewesen sei. Ein | |
Drama. Ich würde nie wieder wagen, dieses heilige Symbol der Weihnachtszeit | |
einen Tag später an die Wand bei der Treppe zu hängen. | |
Für Willi haben die Advents-Säckchen auch eine noch größere Bedeutung als | |
ein sehr willkommener Essensspender zu sein. Sie stellen für ihn eine | |
wichtige Orientierungshilfe im Jahreslauf dar. Er hat sich – anders als | |
sein Vater – nämlich teilweise an die Weihnachtsregeln gewöhnt. | |
Mittlerweile liebt er diesen seltsamen Tag, an dem wir zu Oma und Opa | |
fahren und dort schlafen und dann steht da noch ein Baum im Wohnzimmer, der | |
nicht dahin gehört. | |
Nach vielen Jahren, in denen Willi mit allen Mitteln versucht hat, nachts | |
nach Hause zu gelangen, ist für ihn diese Übernachtung nun die wichtigste | |
Komponente von [3][Weihnachten] überhaupt. Nur wechselnde Geschenke bleiben | |
schwierig, darum packen wir für Willi jedes Jahr den gleichen blinkenden | |
und dudelnden Plastikapfel ein. | |
Vergangenes Jahr dachten wir fälschlicherweise, das sei nicht mehr nötig. | |
Sein Papa musste dann die 20 Kilometer nach Hause und wieder zurück fahren, | |
um das Teil zu holen und einzuwickeln. Ich glaube aber, es hat Matthias | |
nicht besonders gestört, Heiligabend im Auto zu verbringen – ein bisschen | |
Widerstand gegen die Weihnachtsdiktatur. | |
26 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Birte Müller | |
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