# taz.de -- Wehrpflicht für Ultraorthodoxe in Israel: Die „Trottel“ der Na… | |
> Wehrdienstleistende sehen nicht ein, dass sich ihre ultraorthodoxen | |
> Altersgenossen freistellen lassen können. Regierungschef Netanjahu | |
> signalisiert Kompromissbereitschaft. | |
Bild: Fromm, frömmer, wehrdienstbefreit: Ultraorthodoxe müssen in Israel bish… | |
JERUSALEM taz | Mit der Methode Zuckerbrot und Peitsche will Israels | |
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auch die Bürger zum Dienst an der | |
Waffe treiben, die sich ihm zu entziehen versuchen. „So wie bislang wird es | |
nicht weitergehen“, versprach der Regierungschef. Die staatsbürgerlichen | |
Pflichten müssten gerecht verteilt werden. | |
Mit diesen Worten, die fast identisch waren mit den Parolen, die rund | |
20.000 Demonstranten am Vorabend auf ihre Protestplakate geschrieben | |
hatten, eröffnete Netanjahu am Sonntag die Regierungssitzung. Um den | |
Prozess voranzutreiben, setzte er ein Zwei-Mann-Komitee ein, das binnen | |
einer Woche einen Kompromiss ausarbeiten soll. | |
Der Unmut derer wächst, die drei Jahre Uniform tragen und anschließend | |
regelmäßig zu Reserveeinsätzen gerufen werden, während ihre frommen | |
Altersgenossen freigestellt sind. Aus einer verschwindend kleinen Gruppe | |
ultraorthodoxer Juden, denen Israels erster Regierungschef David Ben-Gurion | |
einst Sonderrechte einräumte, ist inzwischen ein riesiger Sektor geworden. | |
Tausende junge Männer sitzen in Talmudschulen, während die „Trottel“, wie | |
sich die Militärdienstleistenden selbst nennen, ihren Kopf für die | |
Sicherheit der Nation hinhalten. | |
Im Parlament setzten sich die Kadima und die erznationale Israel Beteinu | |
für die „Trottel“ ein. Seit Wochen hängt der Streit über Alternativen zu | |
dem sogenannten Tal-Gesetz, das Ultraorthodoxen bislang die Wahl ließ | |
zwischen Talmudschule und Armee, wie ein Damoklesschwert über der | |
Koalition. Die Zeit drängt, denn das Tal-Gesetz ist nur noch bis Ende des | |
Monats gültig. Ohne neue Regelung entsteht ein rechtliches Vakuum. | |
## Bußgeld und Gefängnis für Verweigerer | |
Um die frommen Regierungspartner nicht zu verprellen, trat Netanjahu | |
zunächst auf die Bremse. Doch Schaul Mofas, ehemals Generalkommandant der | |
Armee und heute Kadima-Chef, forderte ein klares Wort. „Wer nicht dient, | |
wird bestraft“, heißt es in dem 100 Seiten umfassenden Bericht seines | |
Parteifreundes Johanan Plesner, der nun gemeinsam mit Mosche Jaalon | |
(Likud), Minister für Strategische Angelegenheiten, aufgefordert ist, den | |
Kompromiss auszuarbeiten. Plesners Vorschläge umfassen hohe Bußgelder und | |
Gefängnishaft für Verweigerer. | |
Netanjahu signalisiert jetzt Kompromissbereitschaft: „Ich werde ein | |
historisches Recht vorantreiben, dass die Realität von 64 Jahren | |
verändert.“ Gleichzeitig fordert er Regelungen für die arabischen | |
Staatsbürger, die ebenfalls bislang vom Dienst an der Waffe freigestellt | |
sind. Im Moment tragen rund 2.000 Drusen, Beduinen und arabische Christen | |
freiwillig die israelische Uniform. | |
Skeptiker fragen, ob es realistisch sei, muslimische Staatsbürger in die | |
Armee zu rekrutieren. Auch ein Ersatzdienst ist problematisch, weil er für | |
die jungen Araber nur Hilfsarbeiten parat hält. Eine Ausbildung etwa zum | |
Sanitäter lohnt bei der verkürzten Zivildienstzeit kaum. Abd al-Rahman | |
Soabi, ehemals Richter am Obersten Gerichtshof in Jerusalem, hat gegen | |
gleiche Pflichten grundsätzlich nichts einzuwenden, doch „sollte der Staat | |
vorher auch für gleiche Rechte aller Bürger sorgen“, meint er. | |
8 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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