# taz.de -- Warnstreik bei Berlin Kinos: Filmreifer Arbeitskampf | |
> Vor dem „Delphi Lux“ am Bahnhof Zoo gehen Mitarbeitende der | |
> Yorck-Kinogruppe in den Warnstreik. Sie fordern mehr Lohn | |
Bild: Mehr Lohn als Mindestlohn: Yorck-Mitarbeiter*innen im Warnstreik am Samst… | |
BERLIN taz | Die Stimmung am frühen Samstagabend vorm Delphi Lux beim | |
Bahnhof Zoo ist ausgelassen. 60 bis 70 Menschen, die bei der [1][Kinogruppe | |
Yorck] arbeiten, haben sich gelbe Warnwesten angezogen und Transparente | |
gemalt, auf denen Slogans wie „Guter Lohn für gute Unterhaltung“ stehen; | |
sie verteilen Flyer, bitten einlaufende Kinogäste, heute mal von ihrem | |
Besuch abzusehen, blasen in Trillerpfeifen und skandieren: „Gute Filme, | |
schlechter Lohn“. | |
Die Menschen hier, die von 12 bis 2 Uhr in den Warnstreik getreten sind, | |
arbeiten beim größten Berliner Kinobetreiber, der 1978 gegründeten und sehr | |
erfolgreichen Kinogruppe Yorck. Sie betreibt aktuell 14 Programmkinos meist | |
mit mehreren Sälen und im Sommer zudem zwei Freiluftkinos. Der | |
Einstiegslohn für das Personal an der Kasse und im Service wurde bereits | |
auf 12,50 Euro inklusive Weihnachtsgeld angehoben, also knapp mehr als der | |
Mindestlohn. | |
Dafür wurde allerdings eine Kinosaal-Zulage gestrichen, bei der es bislang | |
mehr Geld gab, je mehr Säle das Kino hatte – es ist einfach erhöhter | |
Aufwand, wenn mehr Säle aufzuräumen sind; noch dazu gibt es weniger Pausen, | |
wenn das Publikum an 20 verschiedenen Uhrzeiten am Tag einläuft, erklären | |
die Streikenden. | |
Als die Mitarbeitenden über den Erhalt der Zulage und 13,50 Euro | |
Einstiegsgehalt verhandeln wollten, wurden sie jedoch abgeblockt, berichtet | |
Jörg Reichel von der Gewerkschaft Verdi. „Ich bin froh, dass wir uns | |
endlich so etwas trauen“, sagt einer der Streikenden, der bereits seit 20 | |
Jahren im Filmtheater am Friedrichshain und im Rollberg Kino in Neukölln | |
arbeitet. 90 der insgesamt rund 160 Mitarbeitenden bei Yorck sind | |
Gewerkschaftsmitglieder. | |
Die Berliner Ökonomie, mit der viele in dieser Stadt lange Jahre in | |
schönen, kleinen Jobs mit wenig Lohn gut leben konnten, hat sich verändert. | |
Die Mieten sind schon vor Jahren ein großes Problem geworden, nun kommen | |
auch noch die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise hinzu. | |
„Kinoangestellte leben in Berlin traditionell auf Hartz-IV-Niveau“, sagt | |
Jörg Reichel, zumal sie in den allermeisten Fällen in Teilzeit arbeiteten. | |
„Das wird nun langsam sehr schwierig.“ | |
Vor dem Delphi Lux-Kino geht es langsam auf 20 Uhr zu: Primetime im Kino, | |
allmählich tröpfelt ein wenig Publikum ein. Einige lassen sich von den | |
Streikenden überreden, wieder zu gehen, andere gehen trotzdem rein. Vorm | |
Kino stehen zwei junge Frauen, die Gästen eine Gegendarstellung der | |
Yorck-Geschäftsführung in die Hand drücken, sich aber gegenüber der Presse | |
nicht äußern mögen. Im Kino scheint der Betrieb normal zu laufen; nicht | |
streikende Mitarbeitende, die ebenfalls keine Auskunft geben wollen, | |
verkaufen Tickets und Getränke. | |
Ein junges Paar in schicken Mänteln berät über das Getränk, das sie gleich | |
erwerben werden. Auf Nachfrage sagen sie, der Kinobesuch sei lange geplant | |
gewesen, die Tickets würden ja sicher nicht rückerstattet. | |
## „Mindestlohn ist ja nicht viel“ | |
Eine Gruppe von vier Menschen um die 60 steckt die Köpfe über die beiden | |
Zettel von Verdi und der Yorck-Kinogruppe zusammen. „Mindestlohn ist ja | |
nicht viel“, sagt eine von ihnen zögerlich. Andererseits kenne sie | |
Selbstständige im Freundeskreis, die weniger verdienen. Eigentlich würden | |
sie gern heute zusammen ins Kino gehen, sie hatten sich so darauf gefreut, | |
sind sich aber noch unsicher. | |
Die Yorck-Kinogruppe argumentiert auf ihrer Darstellung am Samstagabend mit | |
einer Lohnerhöhung im August um 15,4 bis 22,7 Prozent auf mindestens 12,50 | |
Euro Einstiegsgehalt. Das entspreche allerdings, wie die Streikenden sagen, | |
lediglich etwa der Erhöhung des Mindestlohns von zuletzt 10,40 auf 12 Euro | |
ab Oktober. | |
Gegenüber der taz argumentiert Geschäftsführer Christian Bräuer am Sonntag | |
mit dem Einbruch bei Ticketkäufen um 50 Prozent bei den deutschen | |
Programmkinos im ersten Halbjahr 2022 im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit – | |
„und dass eine Erholung angesichts möglicher Corona-Varianten, neuer | |
Auflagen und der Fußball-WM unmöglich“ sei. Auch wenn der Rückgang bei der | |
Yorck-Kino GmbH mit etwa 25 Prozent geringer sei als im bundesweiten | |
Arthouse-Sektor, so Bräuer weiter, „sind die Einbußen dramatisch“. Die | |
Energiekrise betreffe die Kinos besonders hart. | |
Das aggressive Verhalten von Verdi und der Warnstreik habe ihn „hart | |
getroffen“. Man sei dreimal auf die Forderungen der Gewerkschaft | |
eingegangen und nun einfach am Limit. Außerdem gibt Bräuer zu bedenken, | |
dass sich Verdi in Berlin mit zwei Mutiplexkonzernen, die laut Bräuer den | |
Programmkinos „mit Preisdumping das Leben zusätzlich schwer machen“, auf | |
deutlich weniger Lohn geeinigt hat. Im Cinestar in der Kulturbrauerei | |
beträgt der Einstiegslohn ab 1.Oktober 12,27 Euro inklusive Weihnachtsgeld, | |
im Cinemaxx 12,35 Euro inklusive Weihnachtsgeld. | |
6 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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