| # taz.de -- Vergessene Schätze im Museum: Da schlummert so einiges | |
| > In vielen Museen gibt es Schätze, die noch nie ausgestellt wurden. Schuld | |
| > daran sind Zeitmangel und fehlendes Personal. Was da wohl noch lagert? | |
| Bild: Die größte Spinne der Welt lagerte mehr als 70 Jahre lang unerkannt in … | |
| Die Welt der Museumsarchive ist kalt und unbarmherzig. Während im Museum | |
| die Knochen von Mammuts oder Dinosauriern bewundert werden, führen die | |
| Fossilien von Chilotherien ein Schattendasein als Staubfänger. Nur | |
| gelegentlich werfen Forschende einen Blick auf ihre Überreste. Wer | |
| interessiert sich schon für Nashörner ohne Hörner, mit kurzen Beinen und | |
| rundem Bauch? | |
| Die Vorfahren der heutigen Dickhäuter lebten bis vor etwa fünf Millionen | |
| Jahren im gegenwärtigen Asien und Südosteuropa. Die beiden europäischen | |
| Arten – Chilotherium schlosseri und Eochilotherium samium – wurden vor über | |
| 100 Jahren auf der griechischen Insel Samos entdeckt. Von dort gelangten | |
| die Knochen in die Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie | |
| und wurden zu sogenannten Holotypen, die als Grundlage für die Beschreibung | |
| einer Art dienen. Im Zweiten Weltkrieg zerstörten Bomben die Sammlung, und | |
| von den hornlosen Nashörnern blieben nur Zeichnungen und Notizen übrig. | |
| „Zum Glück gibt es in anderen Sammlungen noch Chilotherien-Fossilien, | |
| darunter sogar einige Schädel, nur eben keinen Holotypen“, erklärt | |
| Panagiotis Kampouridis von der Universität Tübingen. Ihr Fehlen wird | |
| besonders problematisch, wenn Forschende neue Schädel oder Knochen von | |
| prähistorischen Nashörnern entdecken und versuchen, diese mithilfe von | |
| vorhandenen Knochen einer bestimmten Art zuzuordnen. | |
| Der Tübinger Paläontologe entschied sich, dies zu ändern, und begab sich | |
| auf eine mühevolle Entdeckungsreise durch europäische Museumsarchive. „Ich | |
| habe zunächst die Kuratoren der Wirbeltiersammlungen angeschrieben und nach | |
| Terminen gefragt. Die Überraschung über mein Interesse an diesen Stücken | |
| war deutlich spürbar“, berichtet er. Oft mussten die Mitarbeitenden erst | |
| selbst nach den Überresten suchen. | |
| In einem Fall stand der Paläontologe vor einem Schrank mit unzähligen | |
| Chilotherium-Knochen, die fälschlicherweise einer anderen Art zugeschrieben | |
| wurden. Der Grund dafür war ihre dunkle Färbung. Bei genauerer Betrachtung | |
| stellte sich dann heraus, dass das Schwarz der hartnäckige Staub von vor | |
| 100 Jahren war. | |
| Dank solcher Funde hatte der Tübinger Forscher Erfolg mit seinem Vorhaben. | |
| Mit zwei entdeckten Schädeln konnte er zwei Arten neu definieren und | |
| zeigen, dass es neben Chilotherium eine weitere Gattung hornloser Nashörner | |
| gab, Eochilotherium. Zu unterscheiden sind sie durch ihre Kopfform und die | |
| Zähne. | |
| ## Einst verstaubte auch die größte Spinne der Welt | |
| Solche Geschichten sind keine Seltenheit. Nur etwa drei Prozent der | |
| Exponate deutscher Museen werden ausgestellt. Der Großteil wird in Archiven | |
| aufbewahrt und ist nur Forschenden zugänglich. Viele Sammlungen sind so | |
| umfangreich, dass selbst die Kuratorinnen und Kuratoren nicht alle Stücke | |
| kennen. Obwohl das meiste katalogisiert und mit einer Nummer versehen ist, | |
| wurde es noch nie genauer untersucht. Mumien, deren Alter und Herkunft | |
| niemand mehr kennt, Insektenarten, denen noch niemand einen Namen gegeben | |
| hat, und Dinosaurierknochen, die seit Jahrzehnten unbearbeitet in | |
| Gipsblöcken lagern, sind Beispiele dafür. | |
| Die genaue Erforschung dieser Objekte scheitert im [1][Museumsalltag] oft | |
| an Zeit-, Geld- und Forschungskapazitäten. Hinzu kommt, dass viele | |
| Forschende lieber im Freien arbeiten, auf Expeditionen gehen und Neues | |
| ausgraben, anstatt sich durch Museumsarchive zu wühlen. So wächst der Berg | |
| der unerforschten Objekte, anstatt zu schrumpfen. | |
| Die Geschichte der größten Spinne der Welt, Heteropoda maxima, illustriert, | |
| wie auch in den Archiven spektakuläre Funde entstehen können. Diese | |
| Riesenkrabbenspinne ist samt Beinen so groß wie eine Pizza und wurde von | |
| dem deutschen Spinnenforscher Peter Jäger im Keller eines Pariser Museums | |
| entdeckt. In Alkoholgläsern eingemacht, lagerte sie dort seit über 70 | |
| Jahren. Glücklicherweise war der Entdeckungsort im südostasiatischen Laos | |
| vermerkt. Der Biologe machte sich auf den Weg und fand in den Tiefen einer | |
| Kalksteinhöhle noch lebende Exemplare. | |
| Ähnlich Spektakuläres geschah in einem Londoner Museum im Jahr 2012: Als | |
| US-Forschende kleine Dinosaurierknochen entstaubten, die mehr als 90 Jahre | |
| lang in einer Schublade gelegen hatten, entpuppten sich diese bei genauerer | |
| Untersuchung als Überreste eines der ältesten Dinosaurier überhaupt. Der | |
| Nyasasaurus lebte vor 245 Millionen Jahren, und seine Knochen wurden 1930 | |
| in Tansania gefunden. | |
| Aus dem afrikanischen Land stammen zahlreiche Fundstücke, die sich im | |
| Archiv des Berliner Museums für Naturkunde befinden. Unter der Leitung von | |
| Berliner Forschern fand von 1909 bis 1913 die berühmte Tendaguru-Expedition | |
| statt. Insgesamt wurden [2][230 Tonnen Dinosaurierfossilien aus Tansania | |
| nach Deutschland gebracht]. Der spektakulärste Fund war dabei sicherlich | |
| das Skelett des Giraffatitan brancai, mit dem Spitznamen Oskar, ein mehr | |
| als 13 Meter langer Langhalssaurier aus der Jura-Zeit. Heute ist es der | |
| Publikumsliebling im Berliner Museum. Doch im Archiv lagert bis heute | |
| Grabungsmaterial, das noch nicht untersucht wurde. | |
| ## Museen oft Zeugnisse kolonialer Ausbeutung | |
| „Es enthält große Saurierknochen genauso wie Überreste von winzigen | |
| Säugetieren“, sagt Kuratorin Daniela Schwarz. Das Problem besteht darin, | |
| dass die Präparation von Saurierknochen aufwendig ist. Den Wirbelknochen | |
| eines Langhalssauriers von Schmutz und Gestein zu befreien, dauert einige | |
| Monate, von der wissenschaftlichen Analyse ganz zu schweigen. | |
| Außerdem sind die Funde nicht nur Zeitzeugen für eine Welt lange vor | |
| unserer Zeit, sondern auch Zeugnisse der kolonialen Ausbeutung. Bei der | |
| Tendaguru-Expedition übernahmen die meisten Arbeiten die ortsansässigen | |
| Grabungshelfer. Sie schlugen nicht nur die Funde aus dem Gestein, sondern | |
| betteten auch die schweren Knochen in einen Schutzmantel aus Lehm und | |
| verstauten sie in großen Transportkisten. Kleinere Knochen wurden in | |
| speziell angefertigte Trommeln aus Bambusstäben verpackt. Beides schleppten | |
| die Arbeiter in mehreren mühevollen Tagesmärschen zum nächsten Hafen. | |
| Um diese Zeugnisse möglichst zerstörungsfrei zu untersuchen, holten Schwarz | |
| und ihr Team 2022 die Hilfe des Leibniz Instituts für Zoo- und | |
| Wildtierforschung und der Charité Universitätsmedizin Berlin hinzu. Mit | |
| Computertomographen wurden die restlichen originalverpackten Trommeln | |
| durchleuchtet. „Zu sehen waren vor allem die Knochen einiger Saurierarten, | |
| die wir bereits von der Expedition kannten, hauptsächlich von | |
| Dysalotosaurus, einem kleinen zweibeinigen Pflanzenfresser, aber auch vom | |
| Kentrosaurus, einem stacheligen Verwandten des Stegosaurus, oder von | |
| einigen Langhalssauriern“, berichtet die [3][Paläontologin]. Mit der | |
| entstandenen Übersicht könne man nun entscheiden, welche Kisten unberührt | |
| bleiben und welche vielleicht doch irgendwann geöffnet werden könnten. | |
| In den nächsten Monaten will die Berliner Paläontologin mit ihrem Team nach | |
| möglichst zerstörungsfreien Methoden suchen, um auch kleinste Knochenreste | |
| von Säugetieren in den Bambustrommeln und Lehmblöcken aufzuspüren. „So | |
| wollen wir noch mehr über das Ökosystem herausfinden, in dem Oskar und | |
| seine Zeitgenossen lebten“, erklärt Schwarz. | |
| Gute Nachrichten gibt es auch für die Nashörner ohne Horn. Panagiotis | |
| Kampouridis plant, die entdeckten Schädel genauer zu untersuchen, | |
| vielleicht sogar mit einem Computertomographen, um mehr über das Gehör der | |
| Tiere zu erfahren. Doch nicht nur die Schädel interessieren den Tübinger | |
| Paläontologen. „Dank zahlreicher Funde wissen wir zwar, wie die Tiere | |
| ungefähr ausgesehen haben, trotzdem gibt es bisher kein komplett | |
| zusammengesetztes Skelett. Das sollte sich ändern“, sagt er. Vielleicht | |
| könnte das Chilotherium dann sogar den Sprung aus den muffigen | |
| Museumskellern nach oben in die Ausstellungsräume schaffen. | |
| 25 Feb 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Museumschefin-ueber-Cottbus-Kunst-AfD/!5898563 | |
| [2] /Rueckgabe-Diskussion/!5806009 | |
| [3] /Palaeontologe-ueber-Jurassic-Park/!5929822 | |
| ## AUTOREN | |
| Birk Grüling | |
| ## TAGS | |
| Archäologie | |
| Paläontologie | |
| Dinosaurier | |
| Nashörner | |
| Naturkundemuseum | |
| Naturwissenschaft | |
| Kolonialismus | |
| Archäologie | |
| Dinosaurier | |
| Tier | |
| Beutekunst | |
| Dinosaurier | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Rauschmittel im alten Rom: Ein hohler Knochen als Pillendose | |
| Ein Knochenfund zeigt, dass schwarzes Bilsenkraut im antiken Rom bewusst | |
| gesammelt wurde. Zum Einsatz kam es möglicherweise als Rauschmittel. | |
| Teenie-T-Rex oder neue Dino-Art?: Roarrr! | |
| Über keinen Dinosaurier gibt es so viele Studien wie über den Tyrannosaurus | |
| Rex. Doch in einigen Punkten sind sich Forscher*innen nicht einig. | |
| Ursaurier im Internet: Uraltes Süßmö aus der Pfalz | |
| Dieses Meme hat super viele gefährliche Zähne und super viel Charme: | |
| Stenokranio boldi. Zeit für ein paar News über Ursaurier! | |
| Illegaler Kunsthandel: Geplündert für das Wohnzimmer | |
| Weltweit werden antike Kunstgegenstände geraubt und teuer verkauft. Über | |
| die Dimensionen des illegalen Antiquitätenhandels ist nur wenig bekannt. | |
| Paläontologe über „Jurassic Park“: „Hauptgegner war die Dramaturgie“ | |
| Der Actionfilm „Jurassic Park“ feierte vor 30 Jahren Premiere und sorgte | |
| für einen globalen Dinohype. Jack Horner war wissenschaftlicher Berater. |