| # taz.de -- Ultramarathon in Kalifornien: Schwitzen im Tal des Todes | |
| > 217 Kilometer durchs lebensfeindliche „Death Valley“ in Kalifornien: Hajo | |
| > Palm, 63, startet erstmals beim Ultramarathon „Badwater“. Warum tut er | |
| > sich das an? | |
| Bild: Brütende Hitze und kein Ende in Sicht: Beim Badwater geht es quer durch … | |
| Für den kommenden Montagmorgen werden im Death Valley 47 Grad erwartet. Das | |
| wäre für das „Tal des Todes“ noch vergleichsweise kühl – da können au… | |
| schon in der Frühe gut und gerne mal 50 Grad im Schatten gemessen werden. | |
| Nur, dass es dort kaum Schatten gibt. Nicht gerade ideal, um 135 Meilen zu | |
| laufen, also über 217 Kilometer. | |
| Der Berliner Hajo Palm wird an diesem Morgen um acht Uhr Ortszeit an jenem | |
| tiefsten Punkt im östlichen Kalifornien, dem „Badwater“, an den Start | |
| gehen. Der Ort heißt so, weil sich dort ungenießbares, salziges Quellwasser | |
| in einer Pfütze sammelt. | |
| Wenn Palm auf das Startsignal wartet, wird er nicht seine übliche | |
| Laufkleidung tragen, sondern weiße, langärmelige Baumwollklamotten, die ihn | |
| vor der Hitze schützen und die gleichzeitig das Kühlwasser, mit dem er | |
| übergossen wird, länger als etwa Funktionskleidung hält. Seit 2004 wartet | |
| der 63-Jährige auf den Augenblick des Starts. „Ich war dem Death Valley | |
| bereits verfallen, als ich damals von diesem Rennen gehört habe.“ | |
| Das Rennen, von dem er spricht, gilt als eines der härtesten der Welt. Es | |
| ist der Badwater-Ultramarathon, bei dem man ewig durch eine der heißesten | |
| Regionen der USA läuft. Von Montag an werden sich etwa 100 Teilnehmer | |
| dieser Qual unterziehen. Zunächst geht es 70 Kilometer durch die Wüste, den | |
| „Glutofen“, wie Palm sagt. Gegen Ende warten dann 2.500 Höhenmeter mit bis | |
| zu 20 Prozent Steigung auf die Läufer. | |
| Das klingt nach einer weiteren unmenschlichen Anstrengung in einer an | |
| unmenschlichen Anstrengungen nicht armen Sportwelt. „Gestorben ist noch | |
| keiner“, sagt Palm, „aber nach dem Rennen haben schon Läufer gesagt, sie | |
| hätten Tiere gesehen, die es definitiv nicht gibt.“ Schaut man sich Videos | |
| vergangener Rennen an, so wirken die Läufer und Läuferinnen in der Tat oft | |
| jenseits von Gut und Böse. | |
| Es gibt schon einige Fragen, die sich einem stellen, wenn man von | |
| Wüstenläufen, Dschungelmarathons oder Zehnfach-Ironmans hört: Warum | |
| verschiebt man die Grenzen immer noch weiter nach oben? Warum gehen die | |
| überhaupt so weit? | |
| „Im Prinzip sind diese Sportler leistungsmotiviert wie andere auch“, sagt | |
| Oliver Stoll, Sportpsychologe an der Martin-Luther-Universität Halle. „Sie | |
| wollen ihre Leistung steigern und erreichen dies über das Steigern der | |
| Distanz, nicht über das Steigern der Schnelligkeit.“ Stoll hat im Jahr 2008 | |
| Persönlichkeitsprofile von Ultraläufern untersucht. Es seien im | |
| Durchschnitt keine besonders auffälligen Charaktere gewesen. Die Neigung | |
| zum Leistungswachstum sei gesellschaftlich – andere agierten es eben auf | |
| anderen Feldern aus. | |
| ## Sportsucht und Essstörungen | |
| Und starten hier Sport-Junkies, die nie genug kriegen können? „So etwas wie | |
| Sportsucht gibt es in der Tat, auch wenn die noch nicht klassifiziert ist“, | |
| sagt Stoll. Bei einer Studie an gut 1.000 Ausdauersportlern stellte man | |
| jüngst fest, dass etwa 4,5 Prozent eine Gefährdung zur Sportsucht | |
| aufwiesen. Die meisten fallen aber eher unter die sogenannte sekundäre | |
| Sportsucht, die auch mal gemeinsam mit Essstörungen auftritt. | |
| In der Regel geht man in der Forschung davon aus, dass zwar häufig gewisse | |
| Kompensationsmuster im Zusammenhang mit dem Sport auftauchen, „oft eben | |
| auch normale Bewältigungsstrategien“, wie Stoll sagt. Man holt sich damit | |
| sein zusätzliches tägliches Erfolgserlebnis. | |
| ## Jee Woche 120 Kilometer | |
| Hajo Palm sitzt in einem Café in Kreuzberg. Es ist Mitte Juni. Noch wenige | |
| Wochen bis zum Start. Zuletzt belief sich sein Training auf 120 Kilometer | |
| in der Woche, das entspricht ambitioniertem Marathontraining. Bereits in | |
| diesem Jahr hat er sechs Ultraläufe absolviert. Als Ultralauf gilt jedes | |
| Rennen, das die Marathon-Distanz von 42,195 Kilometern überschreitet. Palm | |
| ist etliche Marathons gelaufen, ehe er 2005 mit dem Ultralauf begann. | |
| Der Läufer der LG Nord Berlin trägt ein T-Shirt, auf dem ein | |
| Death-Valley-Schriftzug zu lesen ist. Man merkt ihm die Vorfreude an. Er | |
| spricht von der Badwater Family, also der Läufer-Community in der Wüste, | |
| und von dem trockenen Klima in Kalifornien. „Ich liebe diese Hitze“, sagt | |
| er, „irgendwie liegt mir das.“ | |
| Einmal war Palm bisher als Begleiter eines anderen Läufers beim | |
| Wüstenrennen dabei. Als wirklicher Teil der Badwater Family aber fühlt er | |
| sich erst, wenn er die 217 Kilometer geschafft hat. Palm ist 1,90 Meter | |
| groß, schmal, durchtrainiert. Wenn man mal seine Beine gesehen hat, weiß | |
| man, was Läuferbeine sind. Besser: was Ultraläuferbeine sind. | |
| ## Nicht ans Ende denken | |
| Ihn reizt die mentale Herausforderung: „Es gibt Momente, in denen der | |
| Körper sagt: Aufhören! Ich will nicht mehr!“ Er schaue während des Laufs | |
| nur auf die Straße, auf die nächsten Meter: „Du darfst nicht an das Ende | |
| denken.“ Palm meint, der Sport gäbe ihm eine gewisse „mentale Abhärtung�… | |
| die ihm im Leben geholfen habe. Aber er glaubt auch: „Jeder | |
| Sportwissenschaftler würde einem von einem solchen Lauf abraten.“ | |
| Markus de Marées ist Dozent für Leistungsphysiologie an der Sporthochschule | |
| Köln. „Aus sportwissenschaftlicher Sicht sind Ultraläufe nur schwer als | |
| gesundheitsneutral zu bewerten“ sagt er. Um das gesundheitliche Risiko zu | |
| minimieren, ist eine langjährige gezielte Vorbereitung unerlässlich, welche | |
| für einen durchschnittlich berufstätigen nur mit einem enormen logistischen | |
| Aufwand zu gewährleisten ist. | |
| Aus physiologischer Sicht seien solche Läufe in mancher Hinsicht | |
| gefährlich. Er verweist etwa auf Forschungen aus Südafrika, bei denen man | |
| herausgefunden habe, dass Herzmuskelfasern bei exzessiv betriebenem | |
| Ausdauersport sich dauerhaft in nicht kontraktiles Gewebe umwandeln können. | |
| Und die Wahrnehmungsstörungen während des Laufs? „Es ist halt wie Fieber �… | |
| sagt er, „und entsprechend gefährlich, weil die ja erst aufhören, wenn sie | |
| umfallen.“ Bei derartigen Ausdauerleistungen kann die Körpertemperatur auf | |
| bis zu 41 Grad Celcius steigen. | |
| ## Nicht mehr entscheidungsfähig | |
| Angst umzufallen hat Hajo Palm nicht, „aber großen Respekt“ vor der | |
| Distanz. Er weiß, was die Anstrengungen und die Schmerzen mit dem Athleten | |
| machen können. „Dieser Lauf kann dich in Zustände versetzen, in denen du | |
| selbst nicht entscheiden kannst, was richtig für dich ist.“ | |
| So besteht seine Begleit-Crew, die ihn etwa mit Kohlenhydraten und Wasser | |
| versorgt, neben Freund und Badwater-Finisher Jens Vieler aus Palms Frau: | |
| „Man braucht Leute, die einen gut kennen.“ Natürlich gibt es eine sehr | |
| intensive medizinische Überwachung während des Rennens, der Zustand der | |
| Läufer wird an den Verpflegungspunkten gecheckt. Die Bewerbungsauflagen | |
| besagen, dass man mindestens drei Läufe über 100 Meilen absolviert haben | |
| muss, um starten zu können. | |
| Palm wird im August 64 Jahre alt. Bis zum Geburtstag möchte er möglichst | |
| Mitglied der Badwater-Familie sein. Der in Kreuzberg lebende Sportler, der | |
| beruflich einen Feuerzangenbowlenstand auf Weihnachtsmärkten betreibt, | |
| zahlt insgesamt inklusive Reisekosten 10.000 Euro, um dies zu erreichen. Zu | |
| gewinnen gibt es: nichts. | |
| „Man läuft für das Erlebnis und für die Ehre“, sagt er. Sein Ziel ist es, | |
| unter 40 Stunden zu laufen. Am Mittwochmorgen werden die letzten Finisher | |
| auf dem Mount Whitney eintreffen, das Zeitlimit liegt bei 48 Stunden. | |
| „Einige der Teilnehmer“, so Palm, „haben nachher solche Schmerzen, dass s… | |
| nicht schlafen können.“ | |
| 15 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
| ## TAGS | |
| Kalifornien | |
| Ironman | |
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