| # taz.de -- Ultramarathon: Lauf in eine andere Welt | |
| > Bei der Internationale Deutsche Meisterschaft im Ultramarathon laufen die | |
| > Teilnehmer 24 Stunden lang. Ausrichter ist eine Psycho-Fitness-Sekte, was | |
| > der Veranstaltung eine absurde Komik verleiht. | |
| "Run to succeed in the outer world" - "renn, um in der äußeren Welt zu | |
| siegen", steht auf einem der teils gedruckten, teils liebevoll handgemalten | |
| Plakate. Die säumen den exakt 1.025 Meter langen Rundkurs der 20. | |
| Internationalen Deutschen Meisterschaft im 24-Stunden-Lauf. Die absurde | |
| Komik solcher esoliberalen Sinnsprüche steht in einem reizvollen Kontrast | |
| zu dem, je nach Betrachtungsweise, wild-romantischen bis | |
| amorph-heruntergekommenen Sportareal an der - ja! - Rennbahnstraße im | |
| Stadtteil Weißensee. Die Stimmung vor dem Start ist ziemlich gut - es ist | |
| ein fröhliches Zeltlager, in dem sich alle zu kennen scheinen. | |
| Lokaler Ausrichter dieses von der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung (DUV) | |
| veranstalteten Wettrennens ist das "Sri Chinmoy Marathon Team" - sie nennen | |
| die Sache dann auch den "2. Internationalen | |
| Selbst-Transzendenz-24-Stunden-Lauf". So verwundert es nicht, dass der | |
| sympathische Organisationsleiter Klaus Schulz die 90 Männer und 25 Frauen | |
| kurz vor dem Start um eine Gedenkminute für seinen Guru Sri Chinmoy bittet, | |
| der im letzten Jahr "seinen Körper verlassen" habe. | |
| Im Geiste von Sri Chinmoy stellten sich die Teilnehmer der allerdings | |
| enormen Herausforderung: Von Sonnabend- bis Sonntagmittag werden die besten | |
| Läufer mehr als 240 Kilometer zurückgelegt haben, angefeuert von der in | |
| Wohnmobilen und Zelten am Rand der dezent beleuchteten Betonstrecke | |
| kampierenden Verwandtschaft, vorbei an rund um die Uhr besetzten | |
| Verpflegungsständen und im regelmäßigen Blickkontakt mit den Rundenzählern. | |
| Folgt man internationalen Presseberichten, dann handelt es sich bei der | |
| Sri-Chinmoy-Bewegung um eine sich eher auf dem absteigenden Ast befindende, | |
| autoritäre Psycho-Fitness-Sekte, deren verstorbener Guru zu den besonders | |
| durchgeknallten, respektive cleveren Exemplaren zählte. Noch im hohen Alter | |
| habe er zahlreiche "Rekorde" im Gewichtheben, auch im einarmigen | |
| Elefantenstemmen, aufgestellt. Mit Geschenken und Friedensbotschaften | |
| drängte er sich in die Nähe der üblichen Verdächtigen von Lady Di bis Papst | |
| Johannes Paul und ließ sich so mit seinen "Freunden" abbilden, predigte | |
| Völkerverständigung durch Vegetarismus, Extremsport und sexuelle | |
| Enthaltsamkeit (die er selbst, so ehemalige Schülerinnen, ganz und gar | |
| nicht praktizierte). Kurz: Der ganze abgetakelte und verlogene | |
| Spiritualitätsschmu, von dem man sich immer wieder fragt, warum noch jemand | |
| darauf reinfällt. | |
| Dass eine solche Vereinigung den enormen und vorbildlich bewältigten | |
| Organisationsaufwand eines 24-Stunden-Rennens nicht aus interesselosem | |
| Wohlgefallen auf sich nimmt, ist klar. Immerhin ersetzt sie in diesem Fall | |
| die üblichen Sportsponsoren von Brauseherstellern bis Mobilfunkunternehmen, | |
| die ja auch gewisse, nicht immer ehrbare Absichten haben. Ob der | |
| ungewöhnliche Kooperationspartner dem Ultramarathon jedoch als ernst zu | |
| nehmende, leistungsorientiere Sportart förderlich ist, das wird sich noch | |
| zeigen müssen. | |
| Für Stefan Hinze, als DUV-Präsident vor Ort, steht der Wettkampfcharakter | |
| beim 24-Stunden-Lauf jedenfalls klar im Vordergrund. Professionelle | |
| Organisation, ärztliche Betreuung, Dopingkontrolle der drei Erstplatzierten | |
| bei Frauen und Männern (es gab schon entsprechende Erfahrungen) - hier | |
| sollen gültige sportliche Spitzenleistungen erzielt werden. | |
| Die intensive Erfahrung eines solchen Laufs bildet sich nicht nur in den | |
| zunehmend erschöpften, vergeistigten Gesichtern der Teilnehmer ab. Kehrt | |
| man etwa als Beobachter acht Stunden nach dem Start - Stunden, in denen man | |
| im Stau gestanden, zu Mittag gegessen, Wein getrunken und geraucht, die | |
| Kita der Söhne geputzt und wieder mal die Steuerunterlagen beiseite gelegt | |
| hat - an die Strecke zurück, dann muss man sich eingestehen, dass man im | |
| Hintergrund immer diesen Satz gehabt hat: "Und die laufen immer noch"; ja | |
| bis in die Träume begleitet einen die Vision mantraartig die Nacht durch im | |
| Kreis trabender, teil selbstvergessener, teils sich immer noch angeregt | |
| unterhaltender Läufer. | |
| In die Radarfalle, die tags zuvor in der äußeren Welt der Rennbahnstraße | |
| aufgebaut war, waren sie jedenfalls nicht geraten. | |
| 13 Jul 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Ambros Waibel | |
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