# taz.de -- Ukrainischer Musiker über Benefizkonzert: „Der Krieg geht weiter… | |
> Anton Pushkar, Frontmann der Band Love'n'Joy, spricht über das Touren, | |
> die Präsenz des Krieges und das seltsame Gefühl, nicht in der Ukraine zu | |
> sein. | |
Bild: Love'n'Joy – Psychedelic Rock aus der Ukraine | |
Die Psycheledic-Rock-Band Love ’n ’Joy aus Kyjiw stellte im vergangenen | |
Jahr, drei Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine, ihr Album „Half | |
Home“ fertig. Mit einer Ausnahmegenehmigung des ukrainischen | |
Kulturministeriums reisten Love ’n ’Joy nach Kriegsbeginn nach Berlin aus. | |
Oft halten sie sich dort allerdings nicht auf, seit Monaten tourt die Band | |
durch Europa – und sammelt Spenden für die Aktion „Musicians Defend | |
Ukraine“, die Musiker an der Front unterstützt. Heute Abend treten Love ’n | |
’Joy mit zwei anderen Bands in der Kantine am Berghain auf. | |
taz: Anton Pushkar, Sie sind jetzt mit Love ’n ’Joy über ein Jahr lang in | |
ganz Europa unterwegs. Sind Sie müde? | |
Anton Pushkar: Ein bisschen. Manchmal machen wir Pausen, wie zum Beispiel | |
jetzt, fast sechs Tage können wir uns ausruhen. Aber die letzte Pause ist | |
jetzt schon eine Weile her. Es ging wegen des engen Zeitplans einfach | |
nicht. Wir sind in ganz Europa und Großbritannien unterwegs. Im März und | |
Mai haben wir zwei Touren in Großbritannien gespielt. Außerdem waren wir | |
kürzlich sieben Tage in Frankreich für ein [1][Arte Live Konzert]. Im | |
August werden wir wahrscheinlich mehr freie Tage haben, hoffentlich können | |
wir da mal etwas aufnehmen. Wir haben auch Pläne, im September in Kanada zu | |
spielen. Eigentlich sind wir schon bis 2024 verplant und haben im | |
vergangenen Jahr rund 100 Shows gespielt, rund 50 weitere stehen noch an. | |
Eine endlose Tour. | |
Das Geld vom Konzert heute geht an die Spendenaktion [2][“Musicians Defend | |
Ukraine“]? | |
Ja, heute ist das Benefizkonzert für „Musicians Defend Ukraine“, wie schon | |
vergangenes Jahr in der Berghain Kantine. Auch während der gesamten Tour | |
versuchen wir, zu werben und für einen bestimmten Zweck zu sammeln. Wir | |
bekommen Anfragen von Leuten an der Front, zum Beispiel von unserem Freund, | |
der vor zwei Jahren noch bei uns mit Schlagzeug gespielt hat. Wir wissen | |
nicht genau, wo er gerade ist; irgendwo [3][in der Nähe von Bachmut, einem | |
der gefährlichsten Orte]. Er brauchte einen Rettungswagen und wir haben | |
dafür Geld gesammelt. | |
Wofür sammeln Sie jetzt? | |
Ein anderer Freund hat auch ein Auto gekauft und braucht jetzt Geld, | |
humanitäres Material, Benzin, Reparaturen. Nun, der Fonds sammelt vor allem | |
Geld für Autos, denn Rettungswagen sind im Moment sehr notwendig. Man | |
braucht sie, um Verwundete von der Frontlinie zu evakuieren. Und | |
normalerweise sind sie in diesem gefährlichen Bereich im Einsatz, wo sie in | |
die Luft gejagt werden können. Aber wir kaufen nicht nur Autos, sondern | |
auch Stahlhelme, Verbandskästen und andere Dinge, die gebraucht werden. Bei | |
der Spendenaktion gibt es auch andere Bands, die auf eine andere Art und | |
Weise reisen oder sammeln. Ein Freund, der für uns zu Beginn der Tour | |
Keyboard gespielt hat, ist Mitglied der Spendenkampagne und hat gerade ein | |
Album veröffentlicht. Eine geheime Veröffentlichung: Nur die Leute, die | |
Geld gespendet haben, konnten sich das Album anhören. 5.000 Euro hat er | |
bereits. Love’n’Joy hat auch einen Track auf diesem Album. | |
Sie erhalten also eine Menge Informationen von der Frontlinie? | |
Nicht viel, aber manchmal stehen wir in Kontakt mit unserem engen Freund, | |
dem Schlagzeuger. Wir rufen uns gegenseitig an und sagen: Wir sind jetzt | |
auf dem Weg in die nächste Stadt. Und er sagt: „Ich fahre auch Auto, wir | |
haben einen Einsatz. Wir sind auch zu fünft, aber wir sind mit anderen | |
Instrumenten unterwegs.“ Sie haben sozusagen ihre eigenen Konzerte, wie er | |
sagt. In meinem Telegram-Chat passiert etwa alle fünf Minuten etwas: | |
Explosionen, Gegenangriffe, Angriffe. Hier herrscht ständig Krieg. Gerade | |
jetzt wurde eine Kirche in Odessa zerstört. Sie stand sozusagen unter dem | |
Schutz der Unesco. Aber ich weiß nicht, was der Unterschied sein soll: Wird | |
die Unesco in dieser Sache irgendwie helfen? | |
Haben Sie das Gefühl, dass sich die Motivation der Menschen dort im letzten | |
Jahr verändert hat? | |
Ich kann es nur vermuten. Ich weiß, die Menschen sind sehr müde von allem. | |
Unser Freund hatte nur eine Woche Urlaub in einem sicheren Gebiet bei | |
Kyjiw. Die meisten Menschen sind müde, aber machen weiter, weil es keine | |
andere Möglichkeit gibt. Jeden Tag gibt es Explosionen. Russland | |
bombardiert die Ukraine, zerstört Kirchen, Lebensmittellager und andere | |
Dinge. Trotzdem geht alles weiter. | |
Und wie sieht es mit der Wahrnehmung des Krieges durch die Menschen in | |
Europa aus? | |
Die Leute vergessen das Thema ein wenig, weil Sommer ist, jeder versucht, | |
sich zu entspannen und zu genießen. Aber viele Menschen unterstützen uns | |
trotzdem. Es ist gut, dass wir auf Reisen sind, um das Thema weiter | |
aufzuwerfen und alle daran zu erinnern, dass der Krieg weitergeht. Wir | |
treffen verschiedene Leute auf dem Weg. Meistens ist bei unseren Auftritten | |
alles in Ordnung. Aber zum Beispiel in Bulgarien, wo wir auf einem Festival | |
gespielt haben, hatten wir vorher auf Facebook viele pro-russische | |
Kommentare. Vermutlich sind es nur Bots, also russische Cyberangriffe. | |
Manchmal treffen wir Europäer, die sagen: Ich weiß auch nicht genau, was da | |
los ist. Ich bin nicht politisch, vielleicht dies, vielleicht das. Ich weiß | |
nicht, was richtig ist. | |
Sind Sie im letzten Jahr in die Ukraine zurückgekehrt? | |
Nein. Ich habe meine Freistellung vom Dienst beim Ministerium verlängert. | |
Ich kann gerade auch nicht zurück, weil wir so viele Auftritte haben. Gehe | |
ich zurück, wird es nicht einfach sein, wieder auszureisen und alle | |
geplanten Shows werden versaut sein. Für Chillera – die andere Band, die | |
morgen spielt – ist es einfacher: drei Mädels. Sie brauchen keine | |
Genehmigungen. Es ist gut, dass sie reisen und spielen können. | |
Wie ist es für Sie, jetzt nicht in der Ukraine zu sein? | |
Es ist ein seltsames Gefühl. Gleichzeitig machen wir diese | |
Spendensammelaktion und Werbung. Aber es ist einfach seltsam, so lange | |
draußen zu sein. Was soll ich sagen? Jetzt lebe ich in dieser Realität. Es | |
fühlt sich an wie ein halbes Zuhause – Half Home. Wie der Name unseres | |
Albums. | |
Das Album, das Sie vergangenes Jahr fertiggestellt haben, drei Tage vor dem | |
Einmarsch Russlands in die Ukraine. Die Veröffentlichung fand schließlich | |
[4][im Schokoladen in Berlin statt.] Spielen Sie es auf dem Konzert? | |
Ja. Wir haben vor, ein neues Album aufzunehmen, aber es ist im Moment | |
schwierig, Zeit und Ort dafür zu finden. Ich versuche, einige Aufnahmen zu | |
Hause zu beenden, aber jedes Mal gibt es Probleme mit dem Equipment. | |
Irgendetwas geht immer kaputt. Und jetzt muss ich ein neues Tongerät | |
finden. Deshalb sitze ich vor eBay-Kleinanzeigen und suche. Gitarren sind | |
auch kaputtgegangen. Das passiert leicht, wenn man viel reist. Ach ja, | |
übrigens: Wir haben auch einen neuen Bassisten. Der, der letztes Jahr bei | |
uns gespielt hat, hat sich zurückgezogen, ist zu seiner Freundin gegangen. | |
Jetzt spielen wir mit Max, einem deutschen Typen. | |
Es gibt noch zwei weitere Bands, die heute spielen. | |
Es gibt eine weitere Band aus Odessa: Chillera. [5][Sie spielen so eine Art | |
Surf-Musik.] Gitarrenmusik. Ich mag das. Chillig und surfig, klingt toll. | |
Und die dritte Band ist The Dharma Chain, australische Künstler, die in | |
Berlin leben. Sie machen [6][psychedelischen Rock ’]n’ Roll. Ich habe mir | |
ein paar Videos auf Youtube angeschaut, und ich danke ihnen, dass sie | |
mitmachen. | |
Sie scheinen sich auf die Show zu freuen? | |
Ja, kommt alle zu dem Konzert! Es ist unser erstes Konzert dieses Jahr in | |
Berlin. Drei nette Bands, ein cooler Ort und hoffentlich ein Menge Rock ’n’ | |
Roll. Nach dem Konzert gibt es eine Afterparty im Schokoladen. Da werden | |
DJs auflegen und man kann bis zum Morgen abhängen. | |
Love'n'Joy, Chillera & The Dharma Chain: Benefizkonzert für „Musicians | |
Defend Ukraine“, Donnerstag 27.07., Berghain Kantine, Einlass 19 Uhr, | |
Beginn 20 Uhr, Tickets ab 16,50 Euro | |
27 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=don24-K_IXM | |
[2] https://musiciansdefendukraine.com/) | |
[3] /Ukrainische-Ostfront/!5937368 | |
[4] /Ukrainische-Rockband-in-Berlin/!5876231 | |
[5] https://www.youtube.com/watch?v=cZxH-yJ5f0M | |
[6] https://www.youtube.com/watch?v=gp1Q-iKtXfI | |
## AUTOREN | |
Ruth Lang Fuentes | |
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