# taz.de -- Überraschungsteam SC Freiburg: Barcelona für Arme | |
> Christian Streich steht mit dem SC Freiburg auf Platz 5 in der Liga und | |
> am Mittwochabend im Pokalhalbfinale. Er selbst ist Trainer des Jahres. | |
Bild: „Ha ja, unser Trainer“ – Freiburgs Coach Christian Streich. | |
FREIBURG taz | Einmal fuhr der Trainer des [1][SC Freiburg] mit seinem | |
Fahrrad durch den Kaiserstuhl. Da stand ein ihm unbekanntes Winzerpaar an | |
der Straße, und der Winzer rief: „Guten Tag, Herr Streich.“ Sagte er: | |
„Guten Tag.“ Sagte der Winzer zu seiner Frau: „Hasch gsehen?“ Sagte die | |
Frau: „Ha ja, unser Trainer.“ | |
Unser Trainer fährt mit seinem Fahrrad vorbei. Nix Besonderes, eher etwas | |
Normales. Christian Streich, 47, sitzt auf einem Barhocker im | |
Geschäftsstellenbereich und trägt den üblichen Sweater, als er das erzählt, | |
Blick auf den Stadionrasen. Am Horizont der Schwarzwald. | |
Streich ist von den Medien ja längst [2][unter „kauzig“ und „verrückt�… | |
einsortiert worden, weil er keine Branchenfloskeln von sich gibt und seine | |
Gefühle am Spielfeldrand nicht immer unterdrückt. Aber man kann sich des | |
Eindrucks nicht erwehren, dass er eher in einem derart unkauzigen und ganz | |
und gar nicht verrückten Moment wie im Kaiserstuhl ganz bei sich ist. | |
Es kommt einem vor, als sei er schon ewig Freiburgs Trainer. Dabei übernahm | |
er den Cheftrainer-Posten erst vor etwas über 15 Monaten. Damals war der | |
Sport-Club Tabellenletzter. Streich rettete ihn erst vorm Abstieg aus der | |
Bundesliga und liegt nun fünf Spieltage vor Saisonende auf Rang 5. Ein | |
Punkt mehr und der SC könnte sich womöglich für die Champions League | |
qualifizieren. An diesem Mittwoch steht der SC auch noch zum ersten Mal | |
seit Vereinsgründung im Halbfinale des DFB-Pokals ([3][20.30 Uhr, ARD, | |
Livestream)] und könnte es mit einem Sieg beim VfB Stuttgart nach Berlin | |
schaffen. | |
## Einerseits-andererseits-Situation | |
Das ist grandios, und doch wirkte Streich zuletzt etwas melancholisch. Was | |
an der Einerseits-andererseits-Situation liegen könnte. Einerseits hat er | |
die zwischenzeitlich blass gewordene Freiburger Fußballkultur zu einem | |
neuen Hoch entwickelt. Andererseits kann er damit die Gesetze des Fußballs | |
nicht aushebeln: Gute Spieler werden einfach mit höheren Gehältern | |
weggelockt. Max Kruse, Prototyp des modernen Stürmers, wird den [4][SC | |
Richtung Mönchengladbach verlassen], [5][Jan Rosenthal geht nach | |
Frankfurt], und auch [6][der Tempodribbler Daniel Caligiuri ist auf dem | |
Sprung] nach Wolfsburg. | |
Wenn ein Club mal außergewöhnlich gut ist, werden ihm von den Reicheren | |
umgehend die Spieler weggenommen. „Das ärgert mich“, seufzte Streich | |
unlängst. Aber was soll er machen? Er setzt Wertschätzung gegen mehr Geld, | |
aber wenn das nicht mehr reicht, dann ist Schluss, denn: „Noch mehr | |
wohlfühlen als bei uns geht nicht.“ | |
Den SC muss man sich nicht völlig verklärt als Club vorstellen, der seit | |
Jahren Innovation, Harmonie und eine wunderbar alternative | |
Unternehmenskultur lebt. Immer wieder mal sehnten sich Fraktionen genervt | |
nach „Normalität“. Mit Streich als Frontmann erschien der SC erstmals seit | |
der Trennung vom Übervater Volker Finke und dem Tod des langjährigen | |
Präsidenten Achim Stocker zumindest nach außen wieder vollständig mit sich | |
im Reinen. | |
Das liegt nicht daran, dass Streich mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt, | |
obwohl er die dreihundert Meter auch mit einem Porsche fahren könnte. Es | |
liegt daran, dass er dem Club und der ganzen Stadt klargemacht hat, worin | |
das Besondere besteht. Es ist nicht nur, dass der gern benutzte Begriff | |
Ausbildungsverein hier mit zehn selbst gemachten Profis so radikal | |
umgesetzt wird wie sonst nirgends. | |
## „La Mösle“ und „La Masia“ | |
Der SC bildet in seiner Fußballschule am Möslestadion auch seine eigenen | |
Trainer aus. „La Mösle“ ist sicher nicht gleich „La Masia“, Barcelonas | |
legendäre Ausbildungszentrale, aber die Kompetenz, die man in der von | |
Jochen Saier geleiteten Fußballschule angesammelt hat und weitergibt, ist | |
beachtlich und vor allem: Sie wird wertgeschätzt. Freiburg vertraut seinem | |
eigenen Know-how – und wirtschaftet seriös. | |
Das symbolisiert Streich und das lebt Streich, der über ein Jahrzehnt | |
Leiter der Schule war und viele Jahre A-Jugend-Trainer. Das ist immer noch | |
ungewöhnlich in einer Branche, in der andere ihren Club im Jahrestakt einem | |
jeweils neuen Trainer und dessen Vorstellungen komplett ausliefern. Streich | |
hat Freiburg seinen Fußball zurückgegeben, der mit Robin Dutt doch etwas | |
Flugball-lastiger geworden war und auch Star-fixierter. Als erste | |
Amtshandlung verkaufte Streich den Topstürmer Papiss Cisse, bis dahin | |
Torgarantie des SC. | |
Man glaubte Streichs Argumentation damals nicht, aber er sollte recht | |
behalten, dass es auch ohne Cisse geht. So hat er der Freiburger Fußball | |
aus der Finke-Zeit weiterentwickelt: Streichs SC ist ein moderner, | |
flachhierarchischer Verbund von relativ unprätentiösen | |
Multifunktionsprofis, der nicht nur kollektiv mit schnellem Kurzpassspiel | |
angreift, sondern auch verteidigt, und das so stabil wie eigentlich noch | |
nie. Barcelona für Arme. | |
Es ist sicher ein interessanter Widerspruch, dass sich Streich selbst | |
permanent den medialen Übertreibungen der Bedeutung von Fußball widersetzt | |
und gleichzeitig zu der Trainergeneration der Klopps und Tuchels gehört, | |
die vermutlich 24 Stunden am Tag mit der Perfektionierung ihres Teams | |
beschäftigt sind. Dass solche Leute am Spielfeldrand den Druck loswerden | |
müssen, etwa gegenüber Schiedsrichtern, ist nicht „verrückt“, sondern | |
logisch. | |
## Der nächste Superlativ | |
Alles, was sie nicht beeinflussen können, entlastet sie nicht, sondern ist | |
schwer auszuhalten. Das könnte auch für die anstehenden Kaderveränderungen | |
gelten, auch wenn das rational gesehen genauso Teil des Freiburger Modells | |
ist wie der nächste Abstieg. Selbst ohne Pokalfinale und Europa League wird | |
die nächste Saison einen Superlativ bringen: Es ist die fünfte | |
hintereinander in der Bundesliga. Das schaffte der SC Freiburg noch nie. | |
Das interessiert manche indes längst nicht so wie die Frage, ob Streich | |
sich in der medialen Aufregungsmaschine Bundesliga nicht längst verändert | |
habe, wo er doch jetzt Beckenbauer duzen darf. „Ich war beim Augenoptiker, | |
weil ich mit dem Lesen Probleme kriege“, sagt er auf diese Frage mit seinem | |
ernsten, aber letztlich überaus sanften Blick. „Als ich schon wieder an der | |
Tür war, rief die Frau hinter mir her: ’Um Gottes willen, ich habe Sie gar | |
nicht erkannt, Herr Streich.‘ Sagte ich: ’Ich sie auch nicht.‘“ | |
Was soll uns das jetzt sagen? „Dass es null Bedeutung hat, wenn die Frau | |
mich nicht erkennt“, sagt Christian Streich. „Eine Bedeutung hätte es erst, | |
wenn ich sagen würde: Ja, sag mal, die erkennt mich ja gar nicht.“ Und? „Da | |
passe ich auf.“ | |
17 Apr 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.scfreiburg.com/ | |
[2] http://www.myvideo.de/watch/8489542/Trainer_Christian_Streich_ueber_seine_R… | |
[3] http://www.ardmediathek.de/das-erste/sportschau-live/livestream-stuttgart-g… | |
[4] http://www.badische-zeitung.de/sport/scfreiburg/kruse-bestaetigt-wechsel-na… | |
[5] http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/eintracht-frankfurt-die-sehnsucht-nac… | |
[6] http://www.spiegel.de/sport/fussball/freiburg-daniel-caligiuri-vor-wechsel-… | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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