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# taz.de -- Tod der Sängerin Helin Bölek: Hungerstreik als letztes Mittel
> Helin Bölek kämpfte gegen Repressalien und Auftrittsverbote – nun ist sie
> tot. Und was macht Deutschland? Kooperiert mit dem autoritären Regime.
Bild: Istanbul am 3. April: Trauernde tragen den Sarg der Sängerin Helin Bölek
Stellen Sie sich vor, Sie sind Sängerin, Sie leben für die Musik. Sie
spielen in einer Band. Die Musik, die Sie machen, ist politisch, aber das
ist so, weil Sie in einem Land leben, in dem Faschismus Staatsdoktrin (ein
Staat, eine Fahne, eine Sprache, eine Nation) ist. Weil ihre Musik
politisch ist, werden ihre Alben konfisziert. Mitglieder ihrer Band kommen
ins Gefängnis und werden gefoltert. Sie machen weiter, spielen Konzerte,
[1][die Konzerte werden verboten], Ihre Musikinstrumente bei Durchsuchungen
zerstört.
Ihre Band gibt es schon seit 1985, Sie stoßen später dazu. Die Repressionen
hören nicht auf, ihre Kollegen kommen wieder ins Gefängnis. Sie dürfen
nicht mehr singen. Sie treten in den Hungerstreik. Der Hungerstreik ist
keine Lösung, aber das letzte Mittel in einem autoritären Regime. Die
Forderungen des Hungerstreiks richten sich an die Erdoğan-Regierung:
Freilassung aller inhaftierten Bandmitglieder, Einstellung der Haftbefehle
und Gerichtsverfahren, Ende des Auftrittsverbots. Die Regierung reagiert
nicht auf die Forderungen.
Die alevitisch-kurdische Sängerin Helin Bölek der linken Musikgruppe Grup
Yorum ist nach 288 Tagen Hungerstreik gestorben. Ibrahim Gökçek, ebenfalls
Mitglied der Grup Yorum, ist seit Mai 2019 im Hungerstreik.
In Erdoğans sunnitischer Türkei ist kein Platz für Andersdenkende:
Sängerinnen wie Helin Bölek oder Hozan Canê, für Schriftsteller*innen
wie Asli Erdoğan, Künstler*innen wie Zehra Doğan, für Kurd*innen wie Dilan
Örs, die unter Hausarrest steht, obwohl sie deutsche Staatsbürgerin ist.
Politisch Inhaftierte (Selahattin Demirtaş, Figen Yüksekdağ, inklusive der
halben HDP) werden [2][nicht aus den überfüllten Gefängnissen entlassen] –
im Gegensatz zu 90.000 anderen – die frühzeitig raus oder in Hausarrest
dürfen.
## Gökçek streikt weiter
Während Menschen in der Türkei in einem autoritären Regime versuchen,
Kunstfreiheit, Meinungsfreiheit, Demokratie durchzusetzen, macht
Deutschland genau das Gegenteil und kooperiert mit dem autoritären Regime,
seinem Gebets- und Propagandaverein Ditib (zur Erinnerung: da Deutschland
nicht der hellste Stern am Himmel ist: Ditib untersteht Diyanet
(türkisch-staatliche Religionsbehörde) und Diyanet untersteht Erdoğan).
Stattdessen erreichte zum Beispiel Rheinland-Pfalz ein neues Etappenziel:
Unterzeichnung eines Grundlagenvertrags mit islamischen Verbänden, an
dessen Ende islamischer Religionsunterricht an Schulen und die Einrichtung
eines Lehrstuhls für islamische Theologie steht. [3][Vertragspartner sind
Ditib], die Ahmadiyya-Gemeinschaft (unmissverständliche Homophobie), die
Schura und der Verband der Islamischen Kulturzentren (Evolutionstheorie?
What’s that?).
Ibrahim Gökçek setzt seinen Hungerstreik weiter fort. Er wird wie Helin
Bölek sterben, wenn nicht sofort gehandelt wird. Währenddessen baut
Erdoğans Religionsbehörde ihr autoritäres Regime über die Ditib in
Deutschland weiter aus.
8 Apr 2020
## LINKS
[1] /Repressionen-gegen-Grup-Yorum/!5645272
[2] /Erdoans-Migrationspolitik/!5671191
[3] /Tuerkische-Angriffsplaene-auf-Rojava/!5628586
## AUTOREN
Ronya Othmann
Cemile Sahin
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