| # taz.de -- Studie zu sekundärer Viktimisierung: Schluss mit Täter-Opfer-Umke… | |
| > Opfer von rassistischer Gewalt fühlen sich von Polizei und Justiz oft | |
| > ungerecht behandelt. Forscher:innen führen nun eine erste Studie dazu | |
| > durch. | |
| Bild: Erinnerung an die Opfer rassistischer Gewalt in Hanau | |
| Leipzig taz | Welche Erfahrungen machen Betroffene von rechter, | |
| rassistischer, antisemitischer oder [1][sexualisierter Gewalt] mit Polizei | |
| und Justiz? Das wollen Forscher:innen vom Institut für Demokratie und | |
| Zivilgesellschaft (IDZ) mit einer großen Umfrage herausfinden, die noch bis | |
| zum 30. Juli läuft. Es ist die erste bundesweite Studie zu diesem Thema. | |
| „Mit der Studie untersuchen wir das Phänomen der sekundären Viktimisierung | |
| von Betroffenen im Rahmen von Ermittlungs- und Strafverfahren“, sagt Daniel | |
| Geschke vom IDZ, der die Studie leitet. Der sperrige Begriff „sekundäre | |
| Viktimisierung“ stammt aus den Sozialwissenschaften und bedeutet, dass ein | |
| Opfer einer Gewalttat erneut zum Opfer wird, indem Familie und | |
| Freund:innen oder aber Polizist:innen, Richter:innen oder | |
| Staatsanwält:innen unangemessen auf die Tat reagieren – dem Opfer zum | |
| Beispiel nicht glauben oder ihm eine Mitschuld an der Tat geben. | |
| „Das klassische Beispiel ist: Eine Frau wird im Park sexuell belästigt und | |
| wohlmeinende Angehörige fragen, warum sie überhaupt alleine durch den Park | |
| gegangen sei oder so ein kurzes Kleid getragen habe“, sagt Geschke. | |
| Durch solche Fragen gebe man der betroffenen Person das Gefühl, selbst | |
| Schuld an dem Übergriff zu sein. Das könne die negativen Auswirkungen der | |
| eigentlichen Gewalttat zusätzlich verstärken. | |
| ## Viele Betroffene fühlen sich nicht ernst genommen | |
| In der Studie jedoch geht es nicht um sekundäre Viktimisierung durch | |
| Angehörige, sondern durch Polizei und Justiz. Zu diesem Thema gibt es im | |
| deutschsprachigen Raum erst eine einzige Untersuchung. Sie stammt aus dem | |
| Jahr 2014, bezieht sich allerdings nur auf Thüringen und auf die | |
| Erfahrungen Betroffener rechter Gewalt mit der Polizei – nicht mit | |
| Gerichten oder der Staatsanwaltschaft. An dieser Studie, die der Jenaer | |
| Rechtsextremismusexperte Matthias Quent geleitet hat, hat auch Daniel | |
| Geschke – der Leiter der aktuellen Studie – mitgearbeitet. | |
| „Die Studie von 2014 hat gezeigt, dass sekundäre Viktimisierung durch die | |
| Polizei systematisch stattfindet, es sich also nicht nur um Einzelfälle | |
| handelt“, sagt Geschke. „Viele Betroffene rechter Gewalt fühlen sich von | |
| der Polizei nicht ernst genommen und sehen sich mit Vorurteilen seitens der | |
| Beamt:innen konfrontiert“, sagt Geschke. In den Ergebnissen der Studie | |
| heißt es, dass mehr als die Hälfte der 44 Befragten den Eindruck hatte, die | |
| Polizei sei nicht an der Aufklärung der politischen Motive der Tat | |
| interessiert. Nur in wenigen Fällen informierten die Beamt:innen die | |
| Gewaltopfer über alle ihnen zustehenden Ansprüche und Rechte. | |
| Die Studie weise aber auch Mängel auf, sagt Geschke. „Sie wurde nicht | |
| bundesweit, sondern nur in Thüringen durchgeführt, außerdem war die | |
| Stichprobe klein.“ Viele Menschen hätten nicht teilnehmen können, weil der | |
| Fragebogen aufgrund fehlender Gelder nur auf Deutsch zur Verfügung stand. | |
| Mit ihrer bundesweiten Befragung knüpfen Geschke und sein Team an die | |
| Studie von 2014 an. Anders als damals liegt der Fragebogen auch auf | |
| Englisch, Französisch, Türkisch, Kurdisch, Vietnamesisch, Serbisch, | |
| Arabisch, Persisch und Tigrinya vor. Geschke hofft auf mehrere Hundert | |
| Teilnehmer:innen. Mitmachen kann jede*r, der oder die seit 2016 rechte, | |
| rassistische, antisemitische, sexualisierte oder andere | |
| vorurteilsmotivierte Gewalt erlebt hat und danach Kontakt mit Polizei oder | |
| Justiz hatte. | |
| ## Ausbildung der Polizei muss mehr sensibilisieren | |
| Franz Zobel von der Thüringer Opferberatungsstelle ezra betont, wie wichtig | |
| empirische Daten zu sekundärer Viktimisierung durch Polizei und Justiz | |
| seien. Zobel und seine Kolleg:innen erlebten immer wieder, dass | |
| Betroffene schlechte Erfahrungen mit Polizist:innen, Richter:innen, | |
| Staatsanwält:innen oder gegnerischen Anwält:innen machten. | |
| „Regelmäßig berichten uns Betroffene von diskriminierenden Fragen bei | |
| Vernehmungen und Gerichtsverhandlungen, von Täter-Opfer-Umkehr, von | |
| Bagatellisierungen durch Beamt:innen oder davon, dass sie eine | |
| Anzeigenaufnahme verweigern“, sagt Zobel. | |
| Die sekundäre Viktimisierung sei für die Opfer häufig sogar belastender als | |
| die eigentliche Tat, weil die Erwartung, Hilfe zu bekommen, nicht erfüllt | |
| werde. „Erst dann, wenn empirische Daten vorliegen, können die Behörden | |
| nicht mehr von Einzelfällen sprechen und sind dazu gezwungen, Maßnahmen zu | |
| ergreifen“, sagt Zobel. | |
| Er fordert, in der Aus- und Weiterbildung von Polizist:innen und | |
| Jurist:innen [2][verstärkt Empathie und Sensibilität] zu vermitteln und | |
| gezielt gegen Vorurteile vorzugehen. Darüber hinaus müsse [3][Fehlverhalten | |
| von Polizeibeamt:innen], Richter:innen, Staats- und | |
| Rechtsanwält:innen sanktioniert werden. Weil es für Betroffene | |
| besonders belastend sei, wenn das rechte, rassistische oder antisemitische | |
| Tatmotiv nicht anerkannt werde, schlägt Zobel vor, dass Beamt:innen | |
| immer in diese Richtung ermitteln müssen, sobald die Betroffenen ein | |
| politisches Tatmotiv vermuten. | |
| Die Beratungsstelle ezra, bei der Franz Zobel arbeitet, sowie der | |
| Bundesverband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer | |
| und antisemitischer Gewalt (VBRG) unterstützen das IDZ bei der Durchführung | |
| der Studie. Die Ergebnisse werden voraussichtlich Anfang 2023 | |
| veröffentlicht. „Unser Ziel ist es, die Gesellschaft für das Thema zu | |
| sensibilisieren und dafür zu sorgen, dass Betroffene vorurteilsmotivierter | |
| Gewalt genauso von Polizei und Justiz behandelt werden wie alle anderen | |
| auch: nämlich gerecht und vorurteilsfrei“, sagt Studienleiter Daniel | |
| Geschke. | |
| 5 Jul 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Rieke Wiemann | |
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