| # taz.de -- Streit mit Türkei um Nato-Beitritt: Schwedisches Puppentheater | |
| > Erst eine baumelnde Erdoğan-Puppe, jetzt ein verbrannter Koran: | |
| > Demonstrationen in Schweden sorgen für neuen Zoff zwischen Ankara und | |
| > Stockholm. | |
| Bild: Demo mit Folgen: Anti-Erdoğan-Kundgebung in Stockholm | |
| Stockholm taz | Die Puppe habe man billig gebraucht bekommen, Anzug und | |
| Hemd in einem Second-Hand-Laden gekauft, die Maske des türkischen | |
| Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Internet bestellt, erzählt Andreas, der | |
| seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung sehen möchte. Er gehört zu den | |
| [1][Rojava-Komitees], einem schwedischen Solidaritätsnetzwerk für | |
| Kurdistan, das für diese Erdoğan-Puppe, die vor eineinhalb Wochen kopfüber | |
| an einem Fahnenmast vor dem Stockholmer Rathaus baumelte, verantwortlich | |
| war. | |
| „Natürlich haben wir eine Reaktion auslösen wollen, demonstrieren, dass die | |
| Türkei keine Demokratie ist“, berichtet er. Die hysterischen Reaktionen aus | |
| Ankara seien ja auch der beste Beweis dafür. | |
| Die Türkei kündigte an, wegen der Aktion die Entscheidung zur | |
| Nato-Norderweiterung bis zum Sommer vertagen zu wollen, und zog eine | |
| Einladung an die Parlamentspräsidenten Schwedens und Finnlands zu einem für | |
| vergangene Woche geplanten Türkei-Besuch zurück. Justizminister Bekir | |
| Bozdağ twitterte, die Aktion in Schweden sei ein „Terrorangriff“ und | |
| Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu ereiferte sich: „Die Terroristen können … | |
| wie vor ihre Aktivitäten in Schweden fortsetzen.“ | |
| Für Fahrettin Altun, Informationsdirektor der türkischen Regierung, war die | |
| Puppe ein Beweis dafür, dass die Zusage Stockholms, „die notwendigen | |
| Schritte gegen den Terrorismus zu unternehmen“ – für Ankara eine | |
| Voraussetzung, um dem [2][Nato-Beitritt Schwedens zuzustimmen] –, nichts | |
| als leere Worte seien. | |
| ## Koranverbrennung als Meinungsfreiheit? | |
| Eine Erdoğan-Puppe tauchte am Samstag in Stockholm auch bei einer | |
| Demonstration mit mehreren hundert TeilnehmerInnen gegen den türkischen | |
| Präsidenten und die Nato-Mitgliedschaft Schwedens auf. Was diesmal aber | |
| neben der Türkei auch die Organisation für islamische Zusammenarbeit (OIC) | |
| auf den Plan rief, war eine andere Aktion, die der dänische | |
| [3][Rechtsextremist Rasmus Paludan] am selben Nachmittag vor der türkischen | |
| Botschaft in Stockholm veranstaltete: Er verbrannte einen Koran – mal | |
| wieder. | |
| Vor den [4][schwedischen Parlamentswahlen im September] hatte Paludan eine | |
| regelrechte Koran-Verbrennungstournee quer durchs Land unternommen. | |
| Gerichte erklärten das als durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Nach | |
| anfänglichen auch gewaltsamen Protesten verständigten sich die, die Paludan | |
| provozieren wollte, dann aber darauf, ihn einfach nicht mehr zu beachten. | |
| Paludans Auftritt am Samstag entwickelte sich deshalb zu einer Einmannshow, | |
| im Wesentlichen nur begleitet von Polizeibeamten und JournalistInnen. Auch | |
| ein Sprecher der AKP-nahen Union internationaler Demokraten (UID), die | |
| unweit der Paludan-Aktion eine Pro-Erdoğan-Demonstration veranstaltete, | |
| kommentierte: „Wir kümmern uns nicht um ihn, er ist Populist. Wir sind | |
| gekommen, um gegen die Erdoğan-Puppe zu demonstrieren.“ | |
| Doch in Schweden wird vor allem über die Reaktion der Regierung in | |
| Stockholm auf die Kritik aus der Türkei diskutiert. Anstatt nämlich Ankara | |
| darauf hinzuweisen, dass es in Schweden eben Meinungsfreiheit gibt und die | |
| auch für einen womöglich geschmacklosen Protest gegen Erdoğan gilt, | |
| bezeichnete Ministerpräsident Ulf Kristersson die Aktion als „Sabotage“ und | |
| „Gefahr für die schwedische Sicherheit“. Er und Außenminister Tobias | |
| Billström waren sich auch nicht zu schade, in den vergangenen Tagen Erdoğan | |
| öffentlich mehrmals als Präsidenten einer Demokratie zu würdigen. | |
| ## Weitere Spannungen vorprogrammiert | |
| Die überzogenen Reaktionen der türkischen und der schwedischen Regierung | |
| spornen die GegnerInnen eines schwedischen Nato-Beitritts zu neuen Aktionen | |
| an. Die sozialistische Wochenzeitung Flamman hat einen Wettbewerb um die | |
| „beste“ Satirezeichnung des türkischen Präsidenten ausgeschrieben. Dies s… | |
| ein Protest dagegen, wie die Regierung in Stockholm und Erdoğan „auf der | |
| Meinungsfreiheit und den Rechten der Kurden herumtrampeln“, begründet sie | |
| der [5][Flamman-Chefredakteur Leonidas Aretakis]. | |
| Andere schwedische Publikationen wollen die für Ende der Woche | |
| angekündigten Zeichnungen ebenfalls veröffentlichen. Schwedens | |
| Türkei-Botschafter darf sich darauf einstellen, zum dritten Mal binnen zwei | |
| Wochen zum Empfang einer Protestnote ins türkische Außenministerium | |
| einbestellt zu werden. | |
| 22 Jan 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.rojavakommitteerna.com/aktioner/erdogan-avga-nu/ | |
| [2] /Nato-Beitritt-von-Finnland-und-Schweden/!5864582 | |
| [3] /Ausschreitungen-in-Kopenhagen/!5585184 | |
| [4] /Parlamentswahl-in-Schweden/!5881200 | |
| [5] http://flamman.se/a/flamman-launches-satire-competition-to-protest-erdogan | |
| ## AUTOREN | |
| Reinhard Wolff | |
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