| # taz.de -- Streiks in Iran: Im Namen des Regenbogengottes | |
| > Immer mehr Menschen in Iran legen ihre Arbeit nieder. Die Streikwelle und | |
| > eine befürchtete Hyperinflation könnten für das Regime gefährlich werden. | |
| Bild: Generalstreik in einer Raffinerie 1978: Die Streiks ebneten den Weg für … | |
| Berlin taz | „Im Namen des Regenbogengottes“: So beginnt ein [1][Video], | |
| das streikende Industriearbeiter des iranischen Stahlunternehmens Rastak | |
| Paya in der Stadt Yazd Anfang dieser Woche veröffentlicht haben. Der | |
| Regenbogengott ist eine Anspielung auf Kian Pirfalak, einen neunjährigen | |
| Jungen, der im vergangenen November bei einer Schießerei durch iranische | |
| Sicherheitskräfte im Auto seiner Eltern getötet worden war. Nach seiner | |
| Ermordung teilte seine Familie ein [2][Video], in dem der Neunjährige ein | |
| selbst gebasteltes Boot präsentiert. Er beginnt mit den Worten „im Namen | |
| des Regenbogengottes“. | |
| Seither ist der Regenbogengott in Iran zu einem Symbol der Protestbewegung | |
| geworden, die seit der Ermordung von Jina Mahsa Amini im September 2022 | |
| durch die iranische Sittenpolizei einen Sturz des Regimes fordert. Was die | |
| streikenden Industriearbeiter mit der Protestbewegung vereint, ist ihre | |
| Unzufriedenheit mit der Staatsführung. Angefeuert durch die prekäre | |
| wirtschaftliche Lage im Land, kommt es seit vergangenem Freitag erneut zu | |
| einer Streikwelle, unter anderem in den südlichen Provinzen Fars, Chuzestan | |
| und Buschehr, der Metropole Isfahan sowie den kurdischen Gebieten des | |
| Landes. | |
| In den vergangenen Monaten wurde immer wieder gestreikt, es sind die | |
| größten Streiks in der Geschichte der Islamischen Republik. Zahlreiche | |
| Arbeiter*innen legten letzte Woche ihre Arbeit nieder, um für deutlich | |
| höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu protestieren. Allein am | |
| Montag wurden mehr als [3][80 Betriebe] im ganzen Land bestreikt. Betroffen | |
| sind vor allem die Betriebe der Petrochemie, doch auch Kupfer- und | |
| Stahlarbeiter sowie Personal aus dem Gesundheitswesen traten in den Streik. | |
| Die Streikenden fordern eine Gehaltserhöhung um 79 Prozent, zehn | |
| arbeitsfreie Tage im Monat sowie mehr Sicherheit am Arbeitsplatz. Der | |
| Generalstreik bahnte sich schon Ende März an, als der Oberste Arbeitsrat, | |
| bestehend aus Vertretern der Regierung, der Arbeitgeber*innen und | |
| regimenahen Arbeitnehmer*innen, am 20. März für das neue iranische | |
| Kalenderjahr eine Gehaltserhöhung um 27 Prozent beschlossen hat. | |
| Arbeiteraktivist*innen protestierten und forderten eine | |
| Mindestlohnerhöhung, die an die Inflationsrate angepasst ist. | |
| Inflationsrate von 50 Prozent | |
| Diese beträgt laut offiziellen Zahlen rund 50 Prozent und soll noch weiter | |
| steigen. Einige Experten warnen sogar vor einer Hyperinflation. | |
| Gleichzeitig wurden die Preise für Waren und Dienstleistungen im ersten | |
| Monat dieses Jahres laut der iranischen Arbeitsnachrichtenagentur Ilna um | |
| 40 Prozent erhöht. | |
| Zuletzt wurde in Iran in diesem Ausmaß und dieser Häufigkeit in den 1970er | |
| Jahren gestreikt. Zehntausende Arbeiter*innen streikten während der | |
| iranischen Revolution 1978/79 und lähmten den Staat. Die Streiks ebneten | |
| den Weg für den Sturz des Schahs. Die zahlreichen Arbeitsniederlegungen | |
| könnten der iranischen Führung also gefährlich werden. | |
| Die iranische Wirtschaft ist zudem hauptsächlich von den Einnahmen aus dem | |
| Ölexport abhängig, daher bedeuten Streiks immer erhebliche Verluste für | |
| die Unternehmen und die Wirtschaft. Allein die Revolutionsgarde der | |
| Islamischen Republik, die sowohl eine zweite Streitmacht als auch ein | |
| großes Wirtschaftsimperium darstellt, macht ein bis zwei Drittel des | |
| Bruttoinlandsprodukts des Landes aus. Iran verfügt über eines der größten | |
| Öl- und Erdgasvorkommen, doch Missmanagement und Korruption führten unter | |
| anderem dazu, dass es in zahlreichen Städten in Iran im letzten Winter kein | |
| Gas zum Heizen und Kochen gab. | |
| Immer häufiger gibt es Generalstreiks der Basare, von Lehrkräften und in | |
| zahlreichen anderen Branchen, vor allem aber in der Gas- und Ölindustrie. | |
| Allein im Jahr 2022 gab es laut der Menschenrechtsorganisation HRANA | |
| mindestens [4][1.289 Proteste und 225 Streiks] von Gewerkschaften. Die | |
| meisten forderten mehr Gehalt, bessere Arbeitsbedingungen oder übten Kritik | |
| am Missmanagement der Unternehmen. Nach Ausbruch der landesweiten Proteste | |
| nach der Ermordung von Jina Mahsa Amini kam es zudem zu noch mehr | |
| Arbeitsniederlegungen, da sich die Bewegungen miteinander solidarisierten. | |
| Für die Machthaber der Islamischen Republik stellen die Arbeiter:innen | |
| eine Bedrohung dar, weshalb unabhängige Gewerkschaften verboten sind und | |
| die Streikenden Repressionen fürchten müssen. Das iranische Exilmedium Iran | |
| International berichtet von Drohungen der Sicherheitskräfte gegen | |
| Arbeiter*innen. Immer wieder werden Streikende verfolgt und inhaftiert, | |
| wie beispielsweise die 38-jährige Narges Tusli aus Amol. | |
| Im Dezember beteiligte sich die Ladeninhaberin an den landesweiten Streiks | |
| der Basare. Daraufhin versiegelten Sicherheitskräfte ihren Laden und sie | |
| wurde am 24. Dezember 2022 verhaftet, berichtet die [5][kurdische | |
| Menschenrechtsorganisation Hengaw]. Wie Tusli geht es auch anderen | |
| Streikenden und Aktivist*innen. Allein im Jahr 2022 wurden laut der | |
| Menschenrechtsorganisation [6][HRANA] mindestens 309 | |
| Gewerkschaftler*innen inhaftiert. | |
| Die meisten Streikenden sind nicht unbefristet bei den Unternehmen oder den | |
| jeweils zuständigen Ministerien angestellt, sondern haben befristete | |
| Verträge. Sie riskieren mit ihrer Teilnahme an den Streiks daher oft ihre | |
| einzige Lebensgrundlage. | |
| Trotz der Repressionen ist politische Organisation im Verborgenen möglich. | |
| Im Februar 2023 schlossen sich 20 Gewerkschaften und zivile Organisationen | |
| in Iran zusammen und veröffentlichten eine Charta mit zwölf | |
| „Mindestforderungen als erste Handlungsaufträge“, die sie als „Grundlage | |
| für den Aufbau einer neuen, modernen und menschlichen Gesellschaft“ sehen. | |
| Sie fordern die Freilassung aller politischer Gefangenen, Abschaffung der | |
| Todesstrafe, Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit, aber auch | |
| Arbeitsplatzssicherheit, Gehaltserhöhungen und die Freiheit zur Gründung | |
| von Gewerkschaften sowie vieles mehr. | |
| 28 Apr 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://twitter.com/ICHRI/status/1650303815709597697 | |
| [2] https://www.instagram.com/p/CoOmL3QKjNA/ | |
| [3] https://www.iranintl.com/en/202304257727 | |
| [4] https://www.en-hrana.org/annual-analytical-and-statistical-report-on-human-… | |
| [5] https://twitter.com/Hengaw_English/status/1607100027314528256 | |
| [6] https://www.en-hrana.org/annual-analytical-and-statistical-report-on-human-… | |
| ## AUTOREN | |
| Daniela Sepehri | |
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