# taz.de -- Sprengung des Uni-Turms in Frankfurt: 30 Jahre Ausnahmezustand | |
> Im AfE-Turm wurden Politikformen, Drogen, Piratensender, Zeitschriften | |
> und Liebesbeziehungen ausprobiert. Nun wird zurücknormalisiert. Mit | |
> Sprengstoff. | |
Bild: Gesammelte Werke: Aufzug im AfE-Hochhaus. | |
An einem Samstag in den neunziger Jahren verfolgten mich Polizisten, CDUler | |
und Streifenwagen quer durch die Frankfurter Innenstadt. Ich hatte während | |
einer Unterschriftenaktion der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft | |
Unterschriftenlisten gestohlen. Am darauffolgenden Montag betrat ich unter | |
Applaus den AfE-Turm der Frankfurter Uni, jenes Gebäude, in dem die | |
Gesellschaftswissenschaften untergebracht waren, und wusste, das war der | |
Ort, an dem wir uns und den Rest der Welt neu erfinden konnten. | |
Ein Gefühl von grenzenloser Machbarkeit war uns gegeben. Die Grenzen dessen | |
und die Widersprüche, in die auch wir verstrickt waren, erkannten wir erst | |
viel später. Dass wir nur die letzte Generation in einem 30 Jahre währenden | |
historischen Ausnahmezustand waren, die Idee war uns nicht gekommen. | |
Am Turm hatte der hegemoniale Teil der Studierenden und Professoren | |
zwischen 1973, dem Jahr, in dem er in Betrieb genommen wurde, und 2001, dem | |
Jahr, in dem die Selbstverwaltung der Fachbereiche zugunsten einer | |
autoritären Präsidialuni abgeschafft wurde, einen gemeinsamen Fluchtpunkt. | |
Das war, grob gesagt: die Marx’sche Theorie. | |
Nichts konnte die Dominanz der Kritischen Theorie besser verkörpern als der | |
116 Meter hohe Turm. Dort waren wir nicht einfach Studenten, wir waren die | |
Turmis. Eine solidarische Gang. Leute, die das ärgerte, bezeichneten den | |
Turm als Schandfleck, gerade so als sei der Rest dieser Stadt mit schöner | |
Architektur gesegnet. | |
## „Im Kommunismus können Hunde fliegen“ | |
Der Turm ist sperrig, ästhetisch nah an der Moderne. Er war in seinem | |
maßlosen Funktionalismus aber auch Ausdruck der bald endenden Ära des | |
Fordismus und der Massenuniversität. | |
Auf orangefarbenem Linoleumboden vergaß man unter niedrigen Decken hoch | |
über Frankfurt, worauf die Institution Uni von ihrer Struktur her | |
eigentlich ausgerichtet ist: auf die Erzeugung von Einzelkämpfern. „The | |
tower is ours“, „Randale, Bambule, Frankfurter Schule“, „Im Kommunismus | |
können Hunde fliegen“ – zwischen unzähligen Graffitis (Ende des Jahres so… | |
eine Auswahl in Buchform erscheinen, hrsg. v. Albert Schmude) und | |
Heldengeschichten hat man unzählige Politikformen, Lesegruppen, Drogen, | |
Piratensender, Zeitschriften und Liebesbeziehungen ausprobiert. Alles | |
gehörte uns, die Professoren gaben Tipps für Besetzungen. Im Philosophicum | |
schräg gegenüber deutete man hingegen gerne mal mit dem Hinweis, Politik | |
sei nicht die Aufgabe der Philosophie, in Richtung Turm. | |
Der Anteil der Arbeiterkinder an der Uni hatte sich trotz 68 und trotz | |
Bildungsoffensive nicht wesentlich erhöht. Vielleicht hatte man nur die | |
Inhalte ausgetauscht, an einen emanzipativen Bildungsbegriff geglaubt, aber | |
vergessen, dass, trotz selbstverwalteter Strukturen, die Uni eine höchst | |
bürokratische Institution geblieben war. Immerhin war sie noch kein | |
akademisches Reisebüro wie die Konkurrenzuni nach Bologna. | |
Am Turm hat man mir beigebracht, dass es nicht um Meinungen geht, sondern | |
darum, die Widersprüche zu suchen. Soziologie heißt, sagte mir mein | |
Professor Heinz Steinert noch 2007 nach seiner Emeritierung in Wien, nicht | |
davonzulaufen, sondern dort hinzugehen, wo es mich ängstigt, wo es wehtut. | |
Wir wussten zu dem Zeitpunkt schon, dass das die Universität selbst war. | |
Gegenaufklärung war der Begriff, mit dem er die Zentralisierung und die | |
Entmachtungen an der Frankfurter Uni zusammenfasste. | |
Die Uni ist zwischenzeitlich umgezogen in das IG-Farben-Haus, das man so | |
nicht nennt, weil das an die NS-Verstrickungen erinnert. Auf dem neuen | |
Campus regeln private Dienstleistungsfirmen den Aufenthalt an ausgewiesenen | |
Orten, Josef Ackermann ist Ehrenprofessor und die Hörsäle tragen die Namen | |
globaler Finanzinstitutionen. In der sogenannten Wissensgesellschaft sucht | |
man offenbar die Koalition mit der herrschenden Klasse. So gesehen wird | |
zurücknormalisiert, was im Ausnahmezustand war. | |
Der Turm wird am Sonntag gesprengt. Das ist konsequent. Oder wie mir ein | |
Freund mit den Worten Johnny Thunders schrieb: „You Can’t Put Your Arms | |
Around a Memory.“ | |
1 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Tania Martini | |
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