| # taz.de -- Sport weißer reicher Männer: Ausgerechnet Golf | |
| > Unser Autor ist ein Linker und liebt das Spiel der Bonzen. Warum Golf den | |
| > schlechten Ruf als Snobsport nicht verdient hat. | |
| Bild: Auch Che Guevara und Fidel Castro zeigten sich auf dem Green | |
| Es gibt Dinge im Leben, die tut man, obwohl man sich dafür schämt. | |
| Insbesondere als Linker, der sich über richtig und falsch im Leben Gedanken | |
| macht, passiert einem das oft: Man fliegt doch mal mit dem Billigflieger | |
| von Berlin nach Köln, man kauft das T-Shirt bei H&M, man schaut sich | |
| „Germany’s Next Top Model“ oder sexistische Pornos an. Das ist okay. | |
| Es gibt aber auch Dinge, die sind und bleiben falsch, egal in welchem | |
| Leben. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Mein Ding ist Golf. | |
| Diesen Satz aufzuschreiben, fühlt sich an wie ein Coming-out: Ja, ich | |
| spiele das Spiel der Bonzen. Khakihosen, englischer Rasen, Überfluss. | |
| Golfspielen ist unter Linken ungefähr so beliebt wie hohe Mieten oder der | |
| ehemalige Berliner Innensenator Frank Henkel. Der besucht gerne den | |
| Golfclub Wannsee. Woher ich das weiß? Einfach mal den Namen eines | |
| unsympathischen Politikers „X + Golf“ bei Google eingeben. Fast immer ein | |
| Treffer. Kein Wunder, dass auch Donald Trump großer Golfer ist. Allein im | |
| Februar soll er für drei Golfwochenenden mit der Familie knapp 10 Millionen | |
| Dollar rausgehauen haben. | |
| Golf, ausgerechnet Golf, denke ich manchmal mit ähnlicher Abscheu wie ein | |
| sich selbst geißelnder Fremdgeher. Selbst in den wärmsten und ärmsten | |
| Regionen der Welt werden Golfplätze 24 Stunden lang bewässert, um den | |
| betuchten Spielern ein perfektes Grün zu verschaffen. Die Kosten eines | |
| Golfplatzes sind enorm hoch. Die Barrieren auch. Golf ist nicht Fußball. | |
| Man kann es nicht in einem Käfig in einem Neuköllner Hinterhof spielen. | |
| Golf ist der Sport der reichen weißen Männer. | |
| ## Kopfschütteln | |
| In meinem Bekanntenkreis ernte ich, wenn ich zugebe, dass ich Golf spiele, | |
| meist entgeisterte Blicke. Die Höflichen wechseln das Thema, die engen | |
| Freunde machen mir klar, dass sie mich als Menschen eigentlich nicht mehr | |
| ernstnehmen können. Wie kann jemand, der sich eine Welt ohne Herrschaft | |
| wünscht, ausgerechnet den Sport der Reichen und Mächtigen spielen? | |
| Und trotzdem: Alle paar Wochen parke ich meinen verrosteten VW-Bus zwischen | |
| den Edelschlitten auf dem Parkplatz des Golfclubs Pankow, zerre meine | |
| klobige Golftasche aus dem Kofferraum und stelle mir die nächsten vier | |
| Stunden Fragen, über die sich die meisten Menschen zu Recht lustig machen: | |
| Sollte ich den zweiten Schlag auf dem Par 4 mit dem 7er Eisen oder dem 3er | |
| Holz spielen? Ist das Fairway auf dem Sepp-Maier-Platz auch so schmal? (Die | |
| Antworten: Mit dem Eisen, du Anfänger. Und: nein.) Warum tue ich das? Wegen | |
| Nolan Kay Bushnell zum Beispiel. Der Erfinder des Atari-Computers hat eine | |
| Theorie über Videospiele entwickelt, die „Bushnells Law“ genannt wird: | |
| „Games should be easy to learn, but hard to master.“ Gute Spiele sollten | |
| leicht zu erlernen, aber schwer zu beherrschen sein. | |
| Das trifft auch auf Golf zu. Seit Jahren spielt meine Mutter Golf, und als | |
| langhaariger Teenager habe ich sie dafür verachtet. Immer wieder lag sie | |
| mir trotzdem in den Ohren, dass ich doch mal mitkommen sollte. Die frische | |
| Luft, die schöne Natur und so weiter! Außerdem: Wer nicht erst als Rentner | |
| anfange, könne noch richtig gut werden! | |
| ## Der perfekte Schlag macht süchtig | |
| Ich lehnte ab und warf ihr wahrscheinlich noch an den Kopf, dass Golf und | |
| Faschismus in etwa dasselbe sind. Irgendwann, als ich politisch nicht mehr | |
| ganz so verbohrt war, begleitete ich sie dann doch, „um den Feind besser | |
| kennenzulernen“. Auf der Driving Range, dem Übungsplatz, sprach meine | |
| Mutter ein paar einführende Worte. Ich griff mir den erstbesten Schläger | |
| und drosch auf den Ball ein. Fffliock. So ungefähr hört es sich an, wenn | |
| man den Golfball perfekt trifft. Es ist das Geräusch, nach dem sich jeder | |
| Golfer sehnt. Wenn Menschen ihre erste Erfahrung mit dem Spiel beschreiben, | |
| klingen sie oft wie ehemalige Junkies, die ihren ersten Schuss beschreiben. | |
| So auch bei mir. Endlich würde ich meiner Mutter beweisen, wie simpel ihr | |
| Rentnersport ist. Mein zweiter Schlag klang allerdings eher wie zwwrk und | |
| kam etwa eineinhalb Meter vor mir zum Stehen. Beim dritten Mal traf ich den | |
| Ball nicht. Da war es um mich geschehen. Ich konnte nicht mehr aufhören, | |
| ich hing an der Nadel auf der Suche nach dem goldenen ffliock. | |
| Genauso scheint es in Deutschland immer mehr Menschen zu gehen: Laut | |
| deutschem Golfverband (DGV) spielen heute so viele Leute in Deutschland | |
| Golf wie nie zu vor: Mehr als 640.000 waren es 2016. Das sind immerhin so | |
| viele wie aktive Schwimmer im Deutschen Schwimmverband. | |
| ## Auch Che war Golfer | |
| Wie jeder Junkie versuche ich, mir meine Sucht schönzureden. Golf so | |
| vehement abzulehnen, ist auch nicht wirklich fair. Bescheuerte | |
| Kleiderordnungen gibt es in fast jedem Sport, Jeans trägt man auch beim | |
| Fußball nicht. | |
| Außerdem haben schon Che Guevara und Fidel Castro Golf gespielt, davon gibt | |
| es berühmte Fotos – auch wenn die Legende geht, dass die beiden sich beim | |
| Spielen nur haben fotografieren lassen, um den US-amerikanischen | |
| Präsidenten Eisenhower zu provozieren: Schau mal, wir haben nicht nur die | |
| Insel vor deiner Nase übernommen, wir spielen auch deinen Lieblingssport. | |
| Aber auch andere linke Ikonen spielen Golf: Roger Waters von Pink Floyd, | |
| Alice Cooper. Verdammt, sogar Snoop Dog spielt Golf! | |
| ## Ach, die gute Luft | |
| In Großbritannien und Irland ist das Spiel absoluter Volkssport: Überall | |
| gibt es öffentliche Parkanlagen mit Golfplatz, wo vom Taxifahrer bis zur | |
| Vorstandsvorsitzenden jeder hingeht, um für wenig Geld eine Runde zu | |
| spielen. Aber auch in Deutschland gibt es bereits kleinere Plätze, auf | |
| denen man ohne Mitgliedschaft für einen Zehner den ganzen Tag spielen kann. | |
| Auch die Ausrüstung ist bezahlbar: Ein ordentliches Golfset gibt es bei | |
| Ebay-Kleinanzeigen für den Preis eines Paars guter Laufschuhe. | |
| Und dann das Argument, mit dem meine Mutter mich immer locken wollte: die | |
| frische Luft, die Entspannung. Als Teenager konnte man mich damit nicht | |
| kriegen, aber als Erwachsener mit einem Beruf und einem Kind sehe ich das | |
| plötzlich anders. Eine Partie Golf kann vier bis fünf Stunden dauern. Man | |
| spaziert, sucht seinen Ball, konzentriert sich für einen Moment nur auf | |
| eine Sache – den perfekten Schlag. Und das auf einer meist sehr schön | |
| gelegenen Anlage, die, zumindest in Deutschland, die Umwelt auch beleben | |
| kann, wenn der Platz an einem Ort gebaut wird, wo vorher nur Ackerland war. | |
| Mir sind beim Spielen im Umland von Berlin schon mehrere Gänse, Füchse und | |
| sogar Biber über den Weg gelaufen. All die Manager, die Golf spielen, tun | |
| es nicht nur, weil man dabei prima über die Verlegung von Arbeitsplätzen | |
| nach Tschechien sprechen kann, sondern auch weil Golf die pure | |
| Entschleunigung ist. Nach jeder Runde fühlt man sich durchgespült wie nach | |
| einem Tag am Meer. 18 Löcher Golf spielen ist das Gegenteil von kurz mal | |
| eine Runde Fitnessstudio in den Feierabend reinquetschen. Es ist | |
| Zeitverschwendung statt Selbstoptimierung. | |
| Warum muss ich mich also für mein Hobby schämen? Leben wir nicht in | |
| postmodernen Zeiten, in denen man auch mal A sagen darf und B tun? Wie | |
| viele Gewerkschaftsprotokolle werden auf Macbooks verfasst, wie viele | |
| Nike-Turnschuhe marschieren auf der Antifa-Demo? König Fußball ist der | |
| korrupteste Sport auf der ganzen Welt, die WM in Qatar wird auf dem Rücken | |
| von Sklaven ausgetragen, und ich muss mich von meinen kickenden Freunden | |
| für das vergeudete Wasser auf irgendwelchen Golfplätzen in der Sahara | |
| rechtfertigen? Nein. Damit ist jetzt Schluss! Ich spiele Golf, und das ist | |
| auch gut so. | |
| 18 Apr 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Lindh | |
| ## TAGS | |
| Golf | |
| Trendsport | |
| Schwerpunkt Fidel Castro | |
| Kolumne Eingelocht | |
| Test | |
| Fahrrad | |
| Kapitalozän | |
| Gleichberechtigung | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Klimabilanz im Sport: Golfen, eine Ökoschweinerei? | |
| Einst sah sich der Golfsport schweren Vorwürfen ausgesetzt. Dabei wird in | |
| deutschen Vorgärten und Maisfeldern weitaus mehr gegiftet. | |
| „Escape Games“ im Test: Und wo geht’s hier raus? | |
| „Live Exit Games“ sind gerade sehr angesagt. Was ist dran an dem Hype? | |
| Rad fahren in Tokio: Kamikaze unterwegs | |
| Eine widersprüchliche Sache: Der japanische Komfortradler schwankt zwischen | |
| Todesverachtung und Bequemlichkeit. | |
| Kolumne Kapitalozän: Das schwarze Loch der Euphemismen | |
| Freunde, die Welt ist doch gar nicht so kompliziert. Man muss nur ein paar | |
| Begriffe übersetzen, dann ist vieles just a history repeating. | |
| Gleichberechtigung der Geschlechter: Das Rennen ihres Lebens | |
| Kathrine Switzer läuft am Montag den Boston-Marathon. 1967, vor genau 50 | |
| Jahren, hat sie das schon einmal getan. Damals war es ein Skandal. |