# taz.de -- Sperrstunde in Berlin: Gute Nacht, Nachtleben! | |
> Ab diesem Wochenende müssen Kneipen, Bars und Spätis um 23 Uhr schließen. | |
> Wie gehen Nachtschwärmer*innen und Wirt*innen damit um? | |
Bild: Und wohin jetzt? Gäste vor einer Kneipe auf der Simon-Dach-Straße in Fr… | |
BERLIN taz | Auf den ersten Blick sieht am Samstagabend alles aus wie immer | |
auf der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain. Es gibt weit und breit keinen | |
freien Fahrradständer mehr, die Kneipen und Bars sind gut gefüllt, davor | |
sitzen dick eingemummelte Menschen und nippen an ihren Gläsern. Es ist ein | |
Abend wie jeder andere, und doch ist alles ganz anders. | |
Es ist der erste Abend, an dem Berliner Kneipen, Bars und Spätis von 23 Uhr | |
bis 6 Uhr schließen müssen, am Freitagabend war um Mitternacht Schluss. | |
Aufgrund der steigenden Coronazahlen hatte der Senat dies am Dienstag | |
beschlossen. Halten sich die Gastronom*innen an die [1][neue Regelung]? Ist | |
sie in der nimmermüden Hauptstadt überhaupt durchsetzbar? Und wie reagieren | |
Gäste darauf, wenn sie um 11 die Kneipe verlassen müssen? | |
Es ist 20.09 Uhr, auf den Tischen vor der „Dachkammer“ brennen Kerzen in | |
orangefarbenen Gläsern, die Terrasse ist voll besetzt. Drinnen läuft „Sweet | |
Dreams“ von Eurythmics, die Kellnerin hinter der Theke singt mit, während | |
sie neun Schnapsgläser bis zum Rand mit Tequila füllt. Die Dachkammer – | |
alte Sofas, Blümchentapete, schummriges Licht – ist gut besucht. | |
An einem runden Tisch sitzen vier Männer Ende 20 und spielen Doppelkopf. | |
Sie kennen sich aus Schulzeiten aus Hannover. Ole, Markus und Fabian wohnen | |
immer noch dort und besuchen Daniel übers Wochenende in Berlin. Auf die | |
Frage, wie sie die Sperrstunde finden, antwortet Fabian: „Sehr sinnvoll.“ | |
Sein Kumpel Markus stimmt ihm zu: „Sobald man Corona akzeptiert, muss man | |
auch die Maßnahmen akzeptieren.“ | |
## Letzte Runde um 22.10 Uhr | |
Natürlich sei es schade, dass sie heute nicht bis spät in die Nacht durch | |
die Kneipen ziehen können. „Aber das sind Luxusprobleme. Wir trinken später | |
einfach in meiner WG-Küche weiter“, sagt Daniel. Und Fabian gibt zu: | |
„Eigentlich ist es Quatsch, dass wir bei den hohen Infektionszahlen | |
überhaupt in Kneipen unterwegs sind.“ Wieso er trotzdem ausgeht? Wegen der | |
Nähe zu Menschen, der gemütlichen Stimmung in den Bars, der Musik, sagt | |
Fabian. Dann geht der 27-Jährige zum Tresen und bestellt vier Berliner | |
Luft. | |
Um 22.10 Uhr kündigt die Kellnerin die letzte Runde an. Trotzdem kommen | |
immer noch alle paar Minuten neue Leute herein auf der Suche nach einem | |
freien Platz. Weil unten alles voll ist, weichen die meisten in den ersten | |
Stock aus, doch auch dort sind nun alle Tische besetzt. An einem sitzt | |
Marie, Modedesignerin, und schlürft mit einer Freundin Gin Tonic. Sie freut | |
sich über die Sperrstunde. „Die Regelung zwingt mich dazu, weniger zu | |
trinken und zu feiern“, sagt die 27-Jährige. | |
In den vergangenen Wochen war sie auf vielen Raves unterwegs, etwa im | |
Garten vom Sisyphos oder der Ipse. „Ich wollte mir den Sommer nicht von | |
Corona versauen lassen“, sagt Marie. Angst davor, sich mit dem Virus zu | |
infizieren, habe sie nicht. „Ich bin jung, Corona ist für mich nicht | |
gefährlich“, glaubt sie. Weil sie aber niemanden gefährden möchte, meide | |
sie den Kontakt zu älteren Menschen – ihre Eltern und Großeltern habe sie | |
schon seit Monaten nicht mehr getroffen. Ob sie glaubt, dass durch die | |
Sperrstunde die Infektionszahlen zurückgehen? „Definitiv. Sobald Alkohol | |
mit im Spiel ist, vergisst man Corona, raucht mit Freunden an einer | |
Zigarette oder teilt sich ein Bier“, sagt Marie. | |
Laute Sirenen um 23 Uhr | |
Alex, 26, ist anderer Meinung. Er sitzt auf einem kleinen Balkon, von dem | |
aus man auf die Simon-Dach-Straße blicken kann, und raucht. Er denkt nicht, | |
dass die neue Regelung etwas bringt. „Die Sperrstunde verschiebt das | |
Problem nur. Statt um 22 Uhr werden sich die Leute künftig schon um 19 Uhr | |
in Kneipen treffen. Oder sie feiern zu Hause mit Freunden oder auf | |
illegalen Raves.“ | |
Um Punkt 23 Uhr ertönen laute Sirenen. „Das ist unsere Rausschmeißmusik“, | |
erklärt die Kellnerin. Um 23.03 Uhr ist die Dachkammer komplett leer. Ein | |
paar Leute stehen noch rauchend davor, darunter Alex. „Vielleicht finde ich | |
ja doch noch einen Späti, der geöffnet hat“, sagt er und läuft die | |
Simon-Dach-Straße Richtung RAW-Gelände hinunter. | |
Am Sonntagmorgen ein kurzer Besuch im [2][Schwarzen Café] unweit vom | |
Savignyplatz. Die urige Kneipe mit den alten Holzdielen und Steinwänden ist | |
dafür bekannt, dass sie rund um die Uhr geöffnet hat. Gewöhnlich kann man | |
hier um drei Uhr nachts Crêpes mit Nutella bestellen oder Tortellini mit | |
Ricottafüllung. Doch auch der Kultstatus bringt keine Verschonung von der | |
Sperrstunde. | |
## 40 Prozent weniger Umsatz | |
Um 8.30 Uhr ist noch kein einziger Gast im Café. „Normalerweise bediene ich | |
um diese Uhrzeit locker fünf Tische“, sagt Inge Trimbur. Die 66-Jährige ist | |
gemeinsam mit ihrem Mann Mitinhaberin des Cafés. „All die Nachtschwärmer, | |
die sonst morgens auf einen Absacker oder ein Rührei vorbeikommen, fallen | |
wegen der Sperrstunde weg.“ | |
Seit der Senat am Dienstag die neue Regelung bekannt gegeben hat, hat | |
Trimbur keine Reservierungsanfragen mehr bekommen. „Am Samstag haben wir 40 | |
Prozent weniger Umsatz gemacht“, sagt sie. Daher hofft die Wirtin, dass die | |
Klage, die Gastronom*innen beim Verwaltungsgericht gegen die Sperrstunde | |
eingereicht haben, Erfolg hat. | |
Die Sperrstunde gilt bis zum 31. Oktober. „Wenn wir ab dem 1. November | |
wieder normal öffnen dürfen, dann schaffen wir es finanziell“, sagt | |
Trimbur. Wird die Sperrstunde jedoch verlängert, wisse sie nicht, wie lange | |
sie durchhalten können. „Dann hängt alles von den Zuschüssen ab, die wir | |
bekommen.“ | |
11 Oct 2020 | |
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## AUTOREN | |
Rieke Wiemann | |
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