# taz.de -- Soziologe über britische Medienanstalt: „Unabhängigkeit der BBC… | |
> Die BBC gilt als Ikone der unparteiischen Berichterstattung. Doch der | |
> Soziologe Tom Mills sieht sie eng mit dem britischen Establishment | |
> verbunden. | |
Bild: „Die Regierung setzt die Führung ein und bestimmt den Haushalt der BBC… | |
taz: Gerade gibt es ziemlich viel Trubel in der BBC. [1][Der Sportmoderator | |
Gary Lineker] hat die Migrationspolitik der britischen Regierung | |
kritisiert. Daraufhin wurde er erst suspendiert, kurz darauf wurde die | |
Suspendierung wieder aufgehoben. Was ist da los bei der BBC, Herr Mills? | |
Tom Mills: Der Fall Lineker wirft ein Schlaglicht auf die grundlegenden | |
Probleme der BBC. Sie wendet zweierlei Maß an. Der Moderator Alan Sugar hat | |
sich auf Twitter wiederholt ausfällig über den Gewerkschaftsführer Mike | |
Lynch geäußert. Das war kein Problem. Die BBC legt Unparteilichkeit | |
offenbar so aus, dass es nicht erlaubt ist, die Regierung zu kritisieren. | |
Das ist nicht die Situation, in der wir in einer Demokratie sein wollen. | |
Zusätzlich kommt es immer wieder zu redaktionellen Patzern. So wurde der | |
Anwalt Alan Dershowitz zur Verurteilung von Ghislaine Maxwell wegen | |
Kinderhandel interviewt, dabei soll er selbst in den Fall verwickelt sein. | |
Die BBC musste sich danach dafür entschuldigen, ihre redaktionellen | |
Standards gebrochen zu haben. | |
Sie haben eine Studie über die Twitter-Nutzung von BBC-Journalisten | |
verfasst. Was waren die Ergebnisse? | |
Unsere Studie zeigte 2019 einen klaren Fokus auf Mitte-rechts. | |
BBC-Journalisten interagierten viel stärker mit konservativen Politikern | |
als mit solchen von Labour. Am meisten folgten sie prominenten Stimmen aus | |
der politischen Mitte, den Liberal Democrats und dem rechten Flügel von | |
Labour, der sich als Partei abspaltete. Das galt insbesondere für Kritiker | |
des damaligen Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn. Sogar als der linke Flügel | |
von Labour die Opposition anführte und somit mehr politische Relevanz | |
hatte, fand der kaum Beachtung. Diese Wertung findet sich auch in der | |
Berichterstattung wieder. | |
Warum ist Kritik an der Regierung eine rote Linie? | |
Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der BBC sind ein Mythos. Die | |
Regierung setzt die Führung ein und bestimmt den Haushalt. So kann es keine | |
Unabhängigkeit geben. Das zeigt ein anderer Skandal: Der Vorsitzende der | |
BBC, Richard Sharpe, soll dem ehemaligen Premier Boris Johnson zu einem | |
hohen sechsstelligen Kredit verholfen haben und dann mit dem Spitzenposten | |
bei der BBC belohnt worden sein. Der langjährige Banker ist Großspender der | |
Tories und gehört zum innersten Kreis vom Premierminister Sunak. Und der | |
soll nun der konservativen Regierung auf die Finger schauen. Das kann nicht | |
funktionieren. | |
Nun gibt es aber auch eine journalistische Berufsehre, die trotz | |
persönlicher Bekanntschaft zu Unparteilichkeit aufruft. | |
Es gibt eine umfassendere Definition von Unparteilichkeit, die nicht nur | |
eine parteipolitische Ausgewogenheit beinhaltet, sondern eine Darstellung | |
aller Perspektiven in der Gesellschaft. Nimmt man diese Definition, ist | |
klar, dass sie die BBC nicht erfüllt. Meinungsumfragen zeigen immer wieder, | |
dass eine Mehrheit im Vereinigten Königreich die Wiederverstaatlichung von | |
Elektrizitätsbetrieben und der Bahn befürwortet. Diese Sichtweise wird in | |
Westminster nicht geteilt und taucht auch nicht in den Debatten der BBC | |
auf. Die Mehrheit der Briten war gegen den Krieg im Irak, aber | |
Untersuchungen haben ergeben, dass die BBC stärker für den Krieg eintrat | |
als andere Medien. Auch die Reaktion auf die Finanzkrise nach 2008 ist gut | |
untersucht: Die BBC hat Argumenten für Sparmaßnahmen und Defizitreduzierung | |
so viel Raum gegeben, dass sogar Ökonomen irgendwann Einspruch gegen diese | |
einseitige Darstellung erhoben haben. | |
Die Behauptung, dass Establishment und Medien unter einer Decke stecken, | |
ist eine Trope der Rechten. Wie unterscheidet sich Ihre Kritik davon? | |
Die Angst der Linken, Eliten zu benennen, ist albern. Es ist eine | |
gesellschaftliche Tatsache, dass es ein Establishment gibt, wo sich Geld | |
und Macht konzentrieren. Nur weil die Rechte darauf hinweist, macht es das | |
nicht unwahr. Die Linke ist zu zimperlich, wenn es darum geht, die BBC zu | |
kritisieren. So besetzt die Rechte allein dieses Feld, um die | |
demokratischen Medien auszuhöhlen. Sie denken, die BBC ist ein Werkzeug der | |
Öffentlichkeit, die liberalen Werte der Mittelschicht aus den Großstädten | |
aufzuzwingen. Dabei liegt die tatsächliche Macht in der Gesellschaft nicht | |
bei der liberalen Mittelschicht. Genau diese Kritik ist jedoch mit Schuld | |
daran, dass die BBC heute in einem so schlechten Zustand ist. Nach all den | |
Sparmaßnahmen ist sie nicht einmal mehr die staatstragende Organisation des | |
20. Jahrhunderts, die mit dem Argument des öffentlichen Interesses | |
verteidigt werden könnte, weil sie im Grunde ein kommerzialisierter | |
Nachrichtendienst ist. Die BBC ist kein öffentliches Bollwerk mehr gegen | |
den privaten Sektor. Wir müssen diese Organisation neu erfinden. Meine | |
Kritik zielt auf die Stärkung der grundlegenden Prinzipien der | |
demokratischen öffentlichen Medien. Die BBC soll eine pluralistische, | |
repräsentative Institution sein, die nicht mit dem Establishment | |
verschmolzen ist. | |
Wie könnte eine linke [2][Kritik an der BBC] in Abgrenzung zu der von | |
rechter Seite gelingen? | |
Ich versuche, eine soziologische und sozialistische Kritik der BBC und | |
ihrer Beziehung zu den Machtzentren in der Gesellschaft zu entwickeln. Wir | |
sollten uns zuerst klar machen, wie unsere Institutionen und unsere | |
Gesellschaft aussehen, bevor wir sie verändern können. Man muss klar sagen, | |
was es wert ist, gerettet zu werden. Die BBC macht vieles besser als die | |
privaten Medien. Die Presse in diesem Land ist absolut erbärmlich und hat | |
null professionelle Standards. Wir wissen seit der Untersuchung des | |
Telefonabhörskandals von der Sun, dass diese Unternehmen auch vor | |
Kriminalität nicht zurückschrecken. Im Vergleich zu diesen Institutionen, | |
die ganz explizit Maschinen oligarchischer Macht sind, ist die BBC | |
natürlich besser. Aber unsere Aufgabe als Linke ist es, eine Vision | |
anzubieten, die über Staatsgläubigkeit hinausgeht. Was oft passiert, ist | |
dass Liberale vom Ideal öffentlich-rechtlicher Medien schwärmen, wenn ich | |
versuche die tatsächliche Realität anzusprechen. | |
Was ist das Ideal und was ist die Realität? | |
Das Ideal ist eine Institution, die die Gesellschaft vollständig | |
repräsentiert, die unvoreingenommene Informationen über politische | |
Entscheidungen liefern kann und die Gesellschaft auch kulturell vollständig | |
repräsentiert. Die BBC soll das werden, was sie vorgibt zu sein: Eine | |
unabhängige, unparteiische Organisation. Aber die Liberalen setzen sich | |
nicht damit auseinander, was in der Realität verhindert, dass sich die BBC | |
so verhält. Man muss die symbiotische Beziehung von Journalismus und | |
Politik aufkündigen. Aber das ist ein Problem, das man nicht lösen kann, | |
ohne sich mit den allgemeineren Fragen der Machtverteilung in der | |
Gesellschaft zu befassen. Man kann das Medienproblem nicht lösen, ohne die | |
sozialen Probleme zu lösen. | |
16 Mar 2023 | |
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Caspar Shaller | |
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