| # taz.de -- Social Media und Essstörungen: „Druck auf alle Geschlechter“ | |
| > Eva Wunderer forscht zum Zusammenhang von Essstörungen und sozialen | |
| > Medien. Diese bedienen dabei auch jugendliche Grundbedürfnisse. | |
| Bild: Was ist hier noch „echt“? Vielfach gefiltertes Selbstbild | |
| taz: Frau Wunderer, kürzlich veröffentlichten Wissenschaftler*innen | |
| des University College London eine Review-Studie zum Zusammenhang von | |
| Social-Media-Nutzung und Essstörungen bei Jugendlichen. Sie forschen selbst | |
| zu dem Thema. Welchen Einfluss haben soziale Medien auf Essstörungen? | |
| Eva Wunderer: Vor allem junge Leute, die viel in sozialen Medien unterwegs | |
| sind, sind unzufriedener mit ihrem eigenen Körper. Sie neigen stärker zu | |
| essgestörtem Verhalten und zeigen auch mehr sonstige psychische Probleme. | |
| Die Review-Studie bestätigt damit, was ich in meiner eigenen Forschung auch | |
| festgestellt habe. Es zeigt sich, dass der Einfluss besonders stark ist, | |
| wenn der Selbstwert vorher schon niedrig war oder die betroffenen Personen | |
| bereits Anzeichen einer Essstörung zeigten. | |
| Interessant ist, dass das für alle Länder und für alle Geschlechter gilt. | |
| Es heißt ja oft, Essstörungen seien ein weibliches Thema. Wir wissen schon | |
| lange, dass das nicht so ist. Es gibt allerdings unterschiedliche | |
| Schwerpunkte: Männliche Jugendliche und junge Erwachsene neigen mehr | |
| in Richtung Muskulösität. Aber sie sind genauso von sozialen Medien | |
| beeinflusst und in der Folge genauso von Essstörungen bedroht. | |
| Essstörungen nehmen seit Jahren zu. Sind soziale Medien hierfür | |
| mitursächlich? | |
| Mitursächlich – unter Betonung des „mit“. Essstörungen sind sehr | |
| schwerwiegende und komplexe Erkrankungen. Soziale Medien allein machen | |
| keine Essstörungen, sonst hätten wir noch viel höhere Zahlen. Biologische | |
| Faktoren spielen auch eine Rolle. Es gibt ein erhöhtes genetisches Risiko, | |
| wenn familiär schon mehrere Essstörungen oder psychische Störungen da sind. | |
| Dann gibt es individuelle Faktoren: ein niedriger Selbstwert, der kann sich | |
| dann auch wieder so auswirken, dass man in sozialen Medien nach Bestätigung | |
| sucht. Auch bestimmte Denkmuster sind Risikofaktoren. | |
| Zum Beispiel, dass Betroffene sehr hohe Ansprüche an sich selbst stellen. | |
| Ich gehe immer gerne auf die psychischen Grundbedürfnisse ein. Wenn man | |
| vier psychische Grundbedürfnisse unterscheidet, dann sieht man, dass | |
| soziale Medien alle vier bedienen. Das ist zum einen Orientierung und | |
| Kontrolle: Junge Menschen bekommen sehr viel Orientierung oder | |
| vermeintliche Orientierung und suchen diese auf Social Media: Was gucken | |
| andere an? Wie sehen andere aus in meiner Altersgruppe? Dann | |
| Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung: Es kann den Selbstwert stark | |
| steigern, wenn ich ein Bild poste, das entsprechend gelikt wird. | |
| Andersherum kann es meinen Selbstwert senken, wenn das nicht passiert. | |
| Da kommen wir zum dritten Grundbedürfnis: Zugehörigkeit beziehungsweise | |
| Bindung. Die soziale Identität definiert sich stark darüber, zu einer | |
| bestimmten Gruppe zu gehören. Das vierte Grundbedürfnis ist Lustgewinn oder | |
| ganz einfach das Bedürfnis nach Spaß. Man kann sich ja sehr schnell in | |
| Social Media verlieren. Man bekommt immer wieder neue Ideen und bestenfalls | |
| positive Rückmeldung, was einen dann auf dieser Plattform hält. | |
| Man könnte meinen, dass Shows wie „[1][Germany’s Next Topmodel“] einen v… | |
| stärkeren Einfluss auf das Körperbild haben. Wo liegen die Unterschiede zu | |
| klassischen Medienformaten? | |
| Sich mit anderen zu vergleichen, das gab es doch auch schon im vordigitalen | |
| Zeitalter. Es spielt sicher eine Rolle, dass es da um Personen geht, die | |
| ich unmittelbar kenne. Bei Models ist die soziale Distanz größer. Da kann | |
| ich noch eher sagen, die machen das halt beruflich. Wenn aber jetzt meine | |
| Nachbarin oder mein Schulkamerad Fotos posten, die mich sehr beeindrucken, | |
| ist der soziale Vergleich näher und viel ausgeprägter. „Germany’s Next | |
| Topmodel“ ist schlimm. Das haben wir von Anfang an kritisiert, die wir uns | |
| mit Essstörungen beschäftigen. | |
| Aber das läuft halt einmal die Woche über einen gewissen Zeitraum. Das ist | |
| etwas anderes, als jeden Tag Millionen von neuen Inhalten zu haben. Was ich | |
| als Hauptunterschied sehe, sind zudem die Algorithmen, die mir genau das | |
| vorschlagen, was ich vorher gelikt und angeschaut habe und mich damit in | |
| dieser medialen Blase halten. Ein weiterer Unterschied ist, dass sich | |
| Modelformate im Fernsehen vor allem an Frauen richten. Soziale Medien bauen | |
| Druck auf alle Geschlechter auf. | |
| Das zieht sich auch durch alle Altersschichten. Zum einen die sehr starke | |
| Fokussierung auf den Körper und andererseits der Trend zur | |
| Selbstdarstellung und zur Selbstoptimierung. Auf Social Media wird ständig | |
| vermittelt: „Du solltest an dir arbeiten, es geht immer noch ein bisschen | |
| mehr.“ Das ist ein gesamtgesellschaftlicher Trend, der durch die sozialen | |
| Medien verstärkt wird. | |
| Gibt es Unterschiede zwischen den jeweiligen Plattformen? | |
| Generell kann man sagen: Je bildbasierter, desto negativer sind die | |
| Auswirkungen auf das Körperbild. Eine weiterer Punkt sind beispielsweise | |
| Challenges, die auf den Plattformen durchgeführt werden. Beispielsweise: | |
| Wie breit ist die Lücke zwischen meinen Oberschenkeln oder wie viel von | |
| meinem Körper passt hinter ein DIN-A4-Blatt? So was kann natürlich | |
| Essstörungen fördern. | |
| Aber es gibt doch in sozialen Medien auch gegenläufige Trends, hin zu | |
| diverseren Körperbildern und Body Positivity. Liegt darin eine Chance, | |
| gesundheitsschädliche Folgen zu überwinden? | |
| Da sehe ich auf jeden Fall ein großes Potenzial. Je diverser die | |
| Darstellungen, desto besser. Body Positivity geht in die richtige Richtung, | |
| da steht „Body“ aber immer noch im Fokus. Schön wäre es, davon wegzukomme… | |
| dass der Körper das vorherrschende Definitionsmerkmal ist, und zu zeigen, | |
| dass auch andere Dinge das Leben ausmachen, zum Beispiel soziale | |
| Beziehungen. Das wäre dann „Body Neutrality“. | |
| 24 May 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Döpke | |
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