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# taz.de -- Russischer Atomkritiker: „Ruhiger hinter Stacheldraht“
> Deutscher Uranmüll ist unterwegs in die geschlossene Stadt Nowouralsk.
> Dort stört nicht der Abfall, es stören die Kritiker, sagt ein Blogger.
Bild: Die Bewohner von Nowouralsk sind de facto abhängig vom Rosatom-Konzern
taz: Herr Kasakow, was denken die Menschen in Nowouralsk darüber, dass
bald Uranmüll aus Deutschland eintreffen wird?
Viktor Kasakow: Der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung scheint das
gleichgültig zu sein. Möglicherweise ist diese Gleichgültigkeit auch nur
aufgesetzt und im Herzen denken die Menschen hier ganz anders. Mir
jedenfalls fällt es schwer zu glauben, dass einem Derartiges gleichgültig
sein kann.
Umweltschützer protestieren gegen die Transporte. Sind diese Proteste den
Menschen auch egal?
Nein, die Proteste interessieren die Leute. Alle, die hier beim
Elektrochemischen Werk (UEChK) arbeiten, das ja das abgereicherte Uran
aufnehmen soll, und ihre Familien, die ärgern sich über diese Proteste.
Warum?
Zum einen wird man in Städten, in denen Rosatom das Sagen hat, von
Kindesbeinen an zu einer ablehnenden Haltung gegen die grüne Bewegung
erzogen. Die geschlossene Stadt Nowouralsk ist komplett abhängig von
Rosatom. Und all die Grünen schaden mit ihren Forderungen dem Geldbeutel
derer, die hier leben. Warum soll denn Rosatom auf ein Geschäft verzichten,
das ein kontinuierliches Weiterlaufen der Zentrifugen garantiert, denkt
man. Sollte einmal das Material nicht mehr kommen, dann drehen sich die
Zentrifugen nicht mehr. Und wenn die Zentrifugen stillstehen, verlieren wir
unsere urananreichernde Fabrik. Doch von dieser ernährt sich unsere Stadt
fast ausschließlich.
Und was sagen die städtischen Behörden zu den Transporten?
Die Führung der Stadt und des Urananreicherungskombinats sind faktisch
identisch. Insgesamt sind sich die Behörden ziemlich sicher. Sie brauchen
keine Proteste, keine Kritik zu fürchten. Gerade ein einziges Mal haben
sich die städtischen Behörden öffentlich zu den erwarteten Transporten
geäußert. Das war am 24. Oktober. Da haben sie verlauten lassen, dass die
Angaben von Greenpeace, bei diesen Transporten handle es sich um Atommüll,
Desinformation seien. Vielmehr gehe es dabei um nützliche und unschädliche
Rohstoffe, haben sie gesagt. Und mit denen könne Rosatom arbeiten,
profitabel angereichertes Uran für die Atomwirtschaft anderer Länder
produzieren. Die Deutschen, so hieß es, haben anscheinend veraltete Technik
und seien so gezwungen, sich an uns zu wenden.
Und die Bevölkerung glaubt das?
Wer praktisch Leibeigener ist, übernimmt alles, was ihn seine Vorgesetzten
glauben machen wollen. Und der wird dann nicht das Gift hassen, sondern
die, die nicht wollen, dass dieses Gift zu uns kommt. Wenn hier Menschen
wegen der Atomtransporte auf die Straße gehen würden, dann nur mit
Transparenten wie: „Grünes Licht für deutschen Müll!“
Nowouralsk ist eine geschlossene Stadt. Die Menschen leben hinter
Stacheldraht. Was halten sie davon?
Sie werden es nicht glauben, aber die meisten Menschen hier sind mit dem
Status einer geschlossenen Stadt zufrieden.
Warum?
Ich denke auch oft darüber nach. Und mir fällt keine rationale Antwort ein.
Unser Land ist wirtschaftlich und politisch nicht frei. Wir hören ständig
Propaganda. Technisch und wirtschaftlich geht es bergab. Und das macht
nervös. Und das führt zu Konkurrenz und Missgunst unter den Städten. Man
überlegt, wer mehr Geld von Moskau bekommt, wer weniger. Und bei diesem
Vergleich kommen die geschlossenen Städte ganz gut weg. Hinter dem
Stacheldraht lebt man satter und ruhiger. Und man merkt dabei gar nicht,
dass das erniedrigend ist.
Was macht ein Journalist oder ein Umweltschützer, wenn er Nowouralsk
besuchen will?
Er muss sich eine Genehmigung holen. Die bekommt er entweder bei den
städtischen Behörden oder bei der Verwaltung des Elektrochemischen Werks.
Gegenfrage: Gibt es in der Europäischen Union auch geschlossene Städte –
von Gefängnissen mal abgesehen?
Sie vertreten mit Ihrer Ablehnung der Transporte aus Gronau eine absolute
Minderheitenmeinung in Ihrer Stadt. Haben Sie deswegen Probleme?
Nein. Ich werde wegen meiner Auffassung nicht verfolgt. Ich habe sogar
gewisse Kontakte zur örtlichen Vertretung der Atommüllbehörde. Allerdings
ist man dort nicht sehr mitteilsam. Ich habe jedoch aus einem anderen Grund
Schwierigkeiten mit den Behörden. Ich habe 2018 in der Stadt Flugblätter
verteilt mit dem Aufruf, Putins Wahlen zu boykottieren. Und da hat der
Geheimdienst FSB mir Extremismus vorgeworfen. Die Sache ist noch nicht
ausgestanden.
Und wie stehen Sie jetzt zur Atomenergie?
Ich habe mich 2014 intensiver mit der Frage des Atommülls
auseinandergesetzt. Und dabei bin ich zu der Auffassung gekommen, dass sich
das Problem des Atommülls prinzipiell nicht lösen lässt. Leicht ist mir
mein Gesinnungswandel nicht gefallen, habe ich doch fast 40 Jahre für die
Atomwirtschaft gearbeitet, mit dazu beigetragen, dass der Berg des
Atommülls weiter wächst.
21 Nov 2019
## AUTOREN
Bernhard Clasen
## TAGS
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Atommüll
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