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# taz.de -- Reinhold Messner im Gespräch: „Ich lebe vor, wie es geht“
> 66 und kein bisschen leise. Reinhold Messner will die Berge retten. Denn
> „die Schwätzer aus den Städten verstehen die Alpen nicht“.
Bild: Reinhold Messner: „Grüne Umweltgruppen und selbst ernannte Heimatschü…
taz: Herr Messner, wie steht es aus Ihrer Sicht um die Berge?
Reinhold Messner: Der Niedergang der Gebirge ist heute überall sichtbar.
Nehmen Sie die Alpengletscher. Da kann man den Klimawandel sogar riechen!
Wo der Permafrost auftaut, da verrutscht, da schwitzt und stinkt die Erde.
Unser Problem ist vor allem der moderne Tourismus. Wir müssen ein neues
Gleichgewicht finden, um das Flair der Alpen zu erhalten.
Aber bewirtschaften soll man die Region durchaus?
Die Almen sind in tausenden von Jahren entstanden und Inbegriff unserer
Bergkultur. Die Schönheit der Berge ist die Summe aus der bearbeiteten
Kulturlandschaft sowie der Wildnis in über 2.400 Meter Höhe. Unten soll der
Bauer Wald und Feld gestalten. Weiter oben muss die Natur erhalten werden.
Da brauchen wir keinen erneuten Eingriff, keinen Steig, keine Hütte und
erst recht keine neue Seilbahn. Wer dennoch raufsteigt und runterfällt, ist
selber schuld.
Sie engagieren sich in Sachen Bergkultur. Anfang Juli wurde das letzte
Ihrer fünf Südtiroler Messner Mountain Museen eröffnet. Ist Ihr
Museumsprojekt nun abgeschlossen?
Ja, vielleicht war es das schwierigste all meiner Unterfangen. Die lokalen
Widerstände haben Kraft gekostet. An den fünf Standorten geht es um die
Auseinandersetzung von Mensch und Berg - vor allem hier in Firmian. Es gibt
vier weitere Schwerpunkte: Eis, Fels, die Heiligen Berge der Welt und -
aktuell im neuen Museum Ripa - die Bergvölker. Auch in den Alpen haben wir
eine eigenständige Kultur, über 6.000 Jahre alt, die sich in den Bergen und
Tälern völlig abgekoppelt von den Städten entwickelt hat.
Ist diese alpine Kultur ursprünglicher, natürlicher, besser als die urbane?
Nicht besser oder schlechter, aber anders und vor allem: selbstbestimmt.
Erst seit etwa 200 Jahren ist das anders. Vorher ging kein vernünftiger
Mensch ins Gebirge, wenn keine Beeren, kein Holz oder Kristall zu holen
waren. Da setzte man sich schließlich Lawinen, Steinschlag und anderen
Gefahren aus. Die Engländer haben uns dann als Gegenbewegung zur
Industrialisierung die Romantisierung der Alpen eingebrockt, dieses heile
„Heidi-Land“-Image.
Sie spielen auf den „Alpine Club“ einiger Gentlemen um den Showproduzenten
Albert Richard Smith an, der das Klettern zum Volkssport machte - in den
50er Jahren des 19. Jahrhunderts, mehr als 20 Jahre vor Johanna Spyris
„Heidi“?
Smith Show war seinerzeit ein Riesenerfolg. Da begann man, die Alpen als
Spektakel zu inszenieren, sie wurden zum „Playground of Europe“ erklärt.
Damit begann der alpine Massentourismus, wie eine Lawine. Noch vor zwei
Generationen aber hatte das Leben hier nichts von einem romantischen Idyll.
Meinen Großvater konnte der Hof seiner Eltern nicht ernähren - er musste
barfuß über die Pässe, die man höchstens mit einem Ochsenkarren passieren
konnte. Später hat er an der Dolomitenstraße mitgearbeitet.
Heute hat der Verkehr die Alpen radikal verändert: Parkplätze, Skilifte und
Straßen, wo man hinsieht. Sind Sie als Ikone des modernen Alpinismus da
nicht Teil des Problems?
Das ist möglich. Aber ich lebe heute vor, wie es geht. In Juval, wo ich im
Sommer wohne, waren von acht Bauernhöfen sieben leer. Die Burg habe ich für
60.000 Mark gekauft, weil sie niemand wollte. Da gab es zwei Wanderer pro
Jahr, wenns hoch kommt. Die Lokalzeitung hat getitelt: „Nur ein Irrer kauft
einen Haufen Steine.“ Jetzt leben wieder diverse Familien mit 28 Kindern
dort - und im Jahr kommen 50.000 Touristen vorbei. Ich habe ohne
Subventionen die kaputten Höfe wiederaufgebaut. Wir produzieren, veredeln
und verkaufen auf dem Hof - nicht an den Markt. Ein Modell, das auch in
Zukunft für junge Leute - anders als so manches Studium - funktionieren,
eine Familie ernähren wird.
Klingt nach dem guten alten Urlaub auf dem Bauernhof.
Ich mache selber Urlaub auf dem Bauernhof - nachhaltiger geht es nicht. In
30 Jahren kommen die Kinder wieder, die einst mit großen Augen die Schweine
angeguckt haben und Trecker gefahren sind - mit dem eigenen Nachwuchs.
Die Lösung für die Probleme der Alpen muss von Einheimischen kommen?
Die Alpenbewohner mit ihrem Know-how sollten auch Entscheidungsträger sein.
Die Alpen müssen wir selber retten. Als Touristen sind Städter willkommen,
aber nicht als Palaverer. In allen Parlamenten Europas gibt es zu wenige
Menschen aus den Bergen.
Sie haben das fünf Jahre lang, bis 2004, als Südtiroler Abgeordneter der
Grünen im Europaparlament zu ändern versucht.
Das war eine lehrreiche Zeit als Hinterbänkler, die ich nicht wiederholen
möchte. Heute hat das Europäische Parlament mehr Macht. Wir konnten damals
nur Empfehlungen für den Ministerrat abgeben - und der hat über hundert von
unseren Vorschlägen abgelehnt. Immerhin sind die Dolomiten inzwischen
Weltnaturerbe, darauf habe ich hingearbeitet.
Sie haben heute mit den Grünen so Ihre Probleme …
Gerade grüne Umweltgruppen und selbst ernannte Heimatschützer sagen:
Alpwirtschaft trägt sich nicht mehr. Da werde ich wütend! Diese Leute sind
die Killer unserer Kultur in den Bergen. Die verstehen die Alpen nicht.
Folgen wir diesen Schwätzern aus den Städten, werden die Alpen untergehen
(laut). Wenn man den Bergbewohnern die Möglichkeit lässt, in den Bergen zu
arbeiten, dann sind sie auch in der Lage, die Alpen zu pflegen und eine
Wirtschaftsform zu finden, die funktioniert - ohne große Hotels und neue
Seilbahnen.
Gefällt Ihnen heute das Grödnertal, dessen Entwicklung ja Einheimische
geprägt haben? Zersiedelung, Bodenversiegelung, tausende von Hotelbetten,
Golfplätze, Straßenstau, Skizirkus und Schneekanonen?
Nein, ich glaube auch nicht, dass diese Art des Massentourismus trägt und
in 50 Jahren noch Erfolg haben wird. Die Schneekanonen sind so eine Sache.
Wo genug Wasser vorhanden ist und keine chemischen Zusätze verwendet
werden, ist es ökologisch besser, als nichts zu tun. Die dem Frost
ausgesetzte kahle Fläche leidet sonst mehr. Ohne Tourismus geht es nicht,
aber die Kunst liegt im Zusammenspiel und im Maßhalten, auch beim Verkehr.
Sie fahren selbst eine größere Limousine …
Ich habe mich stets für die Berge eingesetzt, bin aber trotzdem Auto
gefahren. Wenn bald die Elektromobile besser werden, werde nicht nur ich
umsteigen.
Was wären bis dahin probate Mittel für eine sanfte Mobilität in den Alpen?
Die Anreise mit der Bahn fördern, die Leute haben eh die Nase voll vom
Stau. Auch wenn die Deutsche Bahn teuer ist, funktioniert sie immerhin - in
Italien gibt es leider immer Probleme mit Trenitalia. Auch habe ich
vorgeschlagen, Dolomitenpässe zeitweise für Pkws zu sperren, etwa im Sommer
von 10 bis 16 Uhr. Wanderer, Biker und Radfahrer könnten in dieser Zeit die
Berge autofrei genießen.
Wer darf dann in den Bergen überhaupt noch Auto fahren?
Alle, die dort arbeiten. Das Salz für 500 Schafe kann der Bauer nicht zu
Fuß hochtragen. Und der Wirt, der Förster und die Bergwacht auch.
Manche Touristen kämen wohl am liebsten mit dem Hubschrauber …
In Grönland mag das funktionieren, wenn sich ein paar Millionäre 30-mal am
Tag auf einen Gipfel fliegen lassen. Wenigstens in Südtirol ist Heli-Skiing
verboten. Was aber wenig nützt, wenn es in Österreich und der Schweiz
erlaubt ist.
Sind Sie auf einmal Europaskeptiker?
Nein, immer noch Befürworter, Europa hat nur gemeinsam eine Chance gegen
China oder Russland. Es kommt ja immer häufiger vor, dass ein russischer
Skifahrer hier am Ende des Urlaubs fragt: „Was kostet der ganze Berg?“
Taugen die Alpen als role model für andere Bergregionen?
In den Alpen sind wir Vorreiter, weil hier zuerst die Chance bestand,
alpinen Tourismus auszuprobieren. Die Städte liegen hier näher bei den
alpinen Regionen. Im Himalaja sieht das anders aus. Es wird höchste Zeit,
dass wir uns unserer Verantwortung für die alpine Welt auch anderswo
bewusst werden.
12 Aug 2011
## AUTOREN
Stefan Rambow
## TAGS
Reiseland Italien
Schwerpunkt Stadtland
Bergsteigen
Musik
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