# taz.de -- Regisseur über Historienfilm „Angelo“: „Mein Held ist keine … | |
> Fremdsein im Würgegriff der Aufklärung: In „Angelo“ erzählt Regisseur | |
> Markus Schleinzer die Geschichte eines versklavten Nigerianers im Europa | |
> des 18. Jahrhunderts. | |
Bild: „Diese Bruchstellen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart sollte… | |
taz: Herr Schleinzer, in einer der ersten Szenen Ihres Films wird der noch | |
kindliche Angelo von einer Komtesse begutachtet. Die Szene spielt in einer | |
lagerähnlichen modernen Halle, mit der man die erste Unterkunft vieler | |
Geflüchteter assoziiert. Was hatten Sie mit diesem Ort im Sinn? | |
Markus Schleinzer: Ich dachte, die Geschichte in ihrer Historizität zu | |
belassen, schmälert sie. „Angelo“ nähert sich dem historischen Kontext an, | |
und die ersten Minuten könnten auch eine moderne Theateradaption sein. | |
Es ist ein Schauspiel, dem ich beiwohne, keine „Es war einmal“-Erzählung. | |
Diese Halle ist ein Transitraum, der für vieles steht. Die Halle selbst ist | |
ja nicht gut oder böse. Sie ist einfach ein ganz neutraler Betonbau. Was | |
darin passiert, damals wie heute, ist, dass wir beschließen, ob dieser Ort | |
gut oder böse ist. Diese Bruchstellen zwischen der Vergangenheit und der | |
Gegenwart sollten spürbar sein. Immer wieder gibt es in dem Film solche | |
Versatzstücke. Einmal sieht man auch ein grünes Exit-Schild. Wir wollten es | |
nicht verschwinden lassen. | |
Im Mittelpunkt [1][Ihres Regiedebüts „Michael“] stand ein Pädophiler, der | |
einen Jungen im Keller seines Hauses gefangen hält. „Angelo“ erzählt die | |
Geschichte eines zwangseuropäisierten Afrikaners. Sehen Sie eine Verbindung | |
zwischen beiden Titelfiguren? | |
Ganz klar. Ein Thema, das mich auch jenseits des Filmemachens in meinem | |
Alltag als Mensch und Mitmensch beschäftigt, sind die Anderen in der | |
Gesellschaft. Die Art und Weise, wie wir auf die anderen – eben auch auf | |
einen Pädophilen – schauen, wie wir mit ihnen umgehen. Wie und wann wir | |
beschließen, wer die Anderen überhaupt sind, ob man sie rein positiv oder | |
negativ besetzt. Der Umgang mit dem Anderen ist für mich auf extreme Weise | |
ein Seismograf für die Frage, wo wir als Gesellschaft stehen. Wir brauchen | |
die Anderen, um zu wissen, wer wir sind. | |
Aus welcher Perspektive rekonstruieren Sie die Geschichte des Angelo | |
Soliman? | |
In „Angelo“ bleibe ich auf der Seite meiner Kultur. Mit meiner Herkunft und | |
dem, was ich repräsentiere, hätte ich es despektierlich gefunden, zu | |
behaupten, dass ich sein Leid nachfühlen könnte. Mein Held ist keine | |
Handpuppe, in die ich hineinkriechen kann. Mir ist es wichtig, dass | |
zwischen meinen Figuren und mir stets eine diskrete und auch demütige | |
Distanz bleibt. Ich habe erst unlängst einen Spruch gelesen, den ich sehr | |
gerne zitiere: Es ist vielleicht besser, nicht auf die Dinge zu schauen, | |
sondern auf das, was zwischen ihnen ist. Es gibt heute kein Denkmal für | |
Angelo Soliman in Wien. Es gibt aber eine ständig nach Urin stinkende | |
Unterführung zwischen zwei Gassen, die seinen Namen trägt. | |
Die Figur des „Angelo“ wirft uns also auf uns selbst zurück? | |
In „Angelo“ geht es um einen sehr weißen, sehr westlichen Blick. Da geht es | |
ja darum, wie herrlich, wie gut wir sind. Der Film spielt in einer Zeit, | |
bevor Begrifflichkeiten wie Rassismus überhaupt verstanden wurden. Oder | |
bevor man um die Existenz dieser Begrifflichkeit und um die Auswirkung, mit | |
diesem Blick auf Menschen zu schauen, überhaupt wusste. In „Angelo“ | |
begegnet dem schwarzen Mann eine Gesellschaft, die es primär gut mit ihm | |
meint. In ihrem zentralistischen Denken ist sie davon überzeugt, dass sie | |
quasi eine Weltelite ist. Und dass es nur das Herrlichste sein kann, das | |
eigene Wissen, die eigene Weltanschauung, Kultur und Religion | |
weiterzugeben. Was für ein unglaubliches Glück dieser einzelne Mensch, der | |
in jungen Jahren für ein kulturelles Experiment gekauft wurde, doch hatte! | |
Ich glaube, dass es dieses Denken ist, das, von der Aufklärung ausgehend, | |
Europa – jedenfalls einen bestimmten Teil davon – nach wie vor in seinem | |
Würgegriff hat. | |
Was sieht der österreichische Kaiser in Angelo? | |
Einen Spiegel. Seine Haltung ist: Ah, das ist ja mein Gegenüber. Das ist | |
aber ein Missverständnis. Joseph II. war mit seinen bahnbrechenden Ideen | |
seiner Zeit weit voraus. Er fühlte sich als Einzelkämpfer und diesen sieht | |
er auch in Angelo. Ein großes Missverständnis einsamer Menschen besteht | |
darin, zu glauben, dass ihnen andere einsame Menschen nahe sein können. Das | |
ist in diesem Fall natürlich ein totaler Missbrauch. | |
Die Figur des Angelo hat auch etwas Narzisstisches. Es scheint, als hätte | |
er den exotischen Blick auf sich verinnerlicht. | |
Ich glaube, dass das die Form von Assimilierung war, die man ihm damals | |
angedeihen lassen konnte. Mit der Figur des „Angelo“ wollte ich keinen | |
reinen Helden kreieren, weil ich in dieser Geschichte nicht an eine Lösung | |
glaube. Deshalb hatte ich keine Lust, das Publikum durch eine märchenhafte | |
Figur, die aufbegehrt, zu erlösen. | |
Ihr Film ist sehr stilisiert, man könnte von einer unkonventionellen | |
Opulenz sprechen. Welches visuelle Konzept verfolgten Sie | |
Wir haben bei diesem Film sehr eklektisch gearbeitet. Die Kostüme kommen | |
eigentlich aus drei Jahrhunderten. Es beginnt in der Gotik, geht über das | |
Rokoko und endet in der Gründerzeit. Wir haben aus unterschiedlichen | |
Zeitebenen unterschiedlichste Versatzstücke zusammengetragen und versucht, | |
dadurch ein neues, einheitliches Universum zu bilden. Die Sets mögen | |
abstrakt sein, aber es war auch wichtig, dass die Orte und Räume etwas | |
Süffiges haben, dass es sich schön ansieht. Denn für mich gibt es nichts | |
Unerträglicheres als das verborgene Elend in der Schönheit. | |
27 Nov 2019 | |
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## AUTOREN | |
Anke Leweke | |
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