# taz.de -- 33. Filmfestival Max Ophüls Preis: Macht und Verführung | |
> Horror in 3-D, ein Dokumentarfilm über Glühbirnen, Proleten auf dem | |
> Rummelplatz: Das Programm des Saarbrücker Festivals war vielfältig. | |
Bild: Preisträger Schauspieler Michael Fuith und Regisseur Markus Schleinzer a… | |
Bis zu einem gewissen Grad spiegelt die Auswahl der beim Filmfestival Max | |
Ophüls Preis in Saarbrücken gezeigten Filme immer auch wider, was sich im | |
vorangegangenen Kalenderjahr im deutschen Sprachraum auf dem Gebiet des | |
Nachwuchsfilms getan hat. 2011 scheint diesbezüglich ein guter Jahrgang | |
gewesen zu sein - ein derart grundsolides Wettbewerbsprogramm hat man | |
jedenfalls schon länger nicht mehr zu sehen bekommen. | |
Zudem war das Ganze auch thematisch ziemlich abwechslungsreich: ein paar | |
Coming-of-Age-Stories, ein bisschen Genrekino, mit "Crahskurs" von Anika | |
Wangard zudem ein Film über die Auswirkungen der Finanzkrise. Auch die | |
unvermeidliche schräge Komödie durfte nicht fehlen. "Puppe, Icke & Der | |
Dicke" von Felix Stienz war letztendlich jedoch haargenau so, wie der Titel | |
vermuten lässt: sympathisch, schrullig, ein wenig belanglos. | |
Völlig zu Recht den Max Ophüls Preis gewonnen hat "Michael" von Markus | |
Schleinzer, der in dieser Woche in den deutschen Kinos anläuft. Schleinzers | |
Film handelt von einem Pädophilen, Michael, der einen Jungen in seinem | |
Keller gefangen hält, um sich sexuell an ihm zu vergehen. In langen | |
Einstellungen dokumentiert Schleinzer, der bisher vor allem als Casting | |
Director unter anderem für Michael Haneke gearbeitet hat, den "Alltag" der | |
beiden: gemeinsames Abendessen (es gibt Leberkäse), gemeinsames Schmücken | |
des Weihnachtsbaumes, gemeinsame Ausflüge am Wochenende. Und er zeigt den | |
Täter im Büro, beim Telefonat mit seiner Mutter, beim Skifahren mit | |
Bekannten. | |
## Zwischen Weinkrampf und Aggression | |
Hauptfigur in diesem Film, derjenige, an dessen Seite sich die Zuschauer | |
bewegen, ist der Täter. Das Grauen aber entsteht über die Figur des Jungen. | |
Sein Verhalten changiert zwischen Weinkrampf und Aggression, zwischen dem | |
erkennbaren Wunsch nach Normalität und aktivem Widerstand gegenüber seinem | |
Peiniger. Der Missbrauch selbst bleibt szenisch ausgespart und überlagert | |
dennoch permanent alles andere. | |
"Michael" ist hervorragend inszeniert, die Hauptfigur von seinem Darsteller | |
Michael Fuith mit einer Vielzahl an charakterlichen Nuancen ausgestattet. | |
Wenn es etwas auszusetzen gibt an diesem Film, dann, dass man sich bei | |
einigen Szenen fragt, was sie einem eigentlich genau erzählen sollen. Zwar | |
beginnt man zwangsläufig, in jede noch so banale Alltagsepisode etwas | |
hineinzuinterpretieren, doch erfährt man nichts wirklich Neues über die | |
Figur. Nichts desto trotz ist "Michael" ein Film, der sich alles andere als | |
leicht abschütteln lässt. | |
Der mit einer lobenden Erwähnung der Jury bedachte Film "Mary & Johnny" von | |
Samuel Schwarz und Julian M. Grünthal, frei nach Ödön von Horváths "Kasimir | |
und Karoline", spielt in einer einzigen Nacht auf einem Zürcher Jahrmarkt. | |
Als wäre Johnny nicht schon frustriert genug, weil ihm gerade sein Job als | |
Verkäufer gekündigt worden ist, wirft sich auch noch seine Freundin Mary, | |
eine veritable Dorfdiscoschlampe, einem Typen an den Hals, der in seiner | |
schleimtriefenden Falschheit Hanekes "Funny Games" entsprungen sein könnte. | |
Was dieses bitterböse Prolodrama so unverschämt gut macht, ist, dass es auf | |
sehr unterhaltsame Weise die gleichzeitig banalen wie hochkomplexen | |
Mechanismen von Macht und Verführung offenlegt. | |
## Verbot der Glühbirne | |
Interessante Dokumentarfilme gab es auch zu sehen. Etwa "Bulb Fiction" von | |
Christoph Mayr, der sich mit den politischen und ökonomischen Hintergründen | |
des EU-weiten Verbots der Glühbirne zugunsten der Kompaktleuchtstofflampe | |
beschäftigt. Eine aberwitzige Geschichte um die Absurdität der europäischen | |
Gesetzgebung und die Instrumentarisierung ökologischen Gutmenschentums. | |
Regine Lettners "Call it a Balance in the Unbalance" porträtiert den | |
exzentrischen spanischen Modedesigner Miguel Adrover, der um die | |
Jahrtausendwende in New York gefeiert wurde, doch nach 9/11 nahezu von der | |
Bildfläche verschwand. Lettner hat Adrover über den Zeitraum von zwei | |
Jahren hinweg begleitet - ihr Film zeigt einen bei aller Kreativität etwas | |
ratlosen Mann. Gelungen ist auch "The Substance - Albert Hofmanns LSD" von | |
Martin Witz über den LSD-Entdecker und die Geschichte der | |
bewusstseinserweiternden Droge. | |
Ein Horrortrip im doppelten Wortsinn war "One Way Trip 3D", der in der | |
Reihe "Spektrum" gezeigt wurde - der erste 3-D-Film, der je auf dem | |
Festival zu sehen war. Eine Gruppe junger Menschen macht sich im Kleinbus | |
auf den Weg in die Berge. Man möchte zelten und psychedelische Pilze | |
verspeisen. Doch auf dem Höhepunkt des Rauschs wird einer der Teilnehmer | |
schwer verletzt. Panik bricht aus, die Gruppe verschanzt sich in einem | |
alten Haus, das Schicksal nimmt seinen Lauf. | |
Zwar revolutioniert Markus Welters Film das Horrorgenre nicht wirklich, | |
doch entwickelt "One Way Trip 3D" eine kindliche Freude daran, eine Figur | |
nach der anderen auf immer aberwitzigere Weise sterben zu lassen. | |
Zugegeben, der Schlusstwist ist ein wenig weit hergeholt, aber ansonsten | |
kann es dieser Film durchaus mit zigmal teureren US-amerikanischen | |
Produktionen aufnehmen. Erwähnung finden sollte noch der dicht inszenierte | |
mittellange Film "Eine lange Nacht" von Jan Haering mit einer großartigen | |
Alice Dwyer in der Rolle einer mordenden Motelangestellten. | |
22 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Andreas Resch | |
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Spielfilm | |
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