# taz.de -- Regierungskritische Proteste in Syrien: Syrien will so nicht weiter… | |
> Vor allem im Süden Syriens dauern die Proteste gegen das Assad-Regime an. | |
> Die Unzufriedenheit ist jedoch im ganzen Land groß. | |
Bild: Seit über sechs Wochen wird gegen die Assad-Regierung in der südsyrisch… | |
AMMAN taz | Auch am vergangenen Freitag füllte sich der Karama-Platz in der | |
südsyrischen Stadt Suwaida mit bunt gestreiften drusischen Flaggen. | |
Aufnahmen von Medien und Aktivist*innen zeigen Hunderte, wenn nicht | |
Tausende Protestierende. [1][Seit über sechs Wochen gehen Männer und Frauen | |
auf die Straße]. Am kommenden Freitag sind auch Proteste geplant. | |
Manche fordern die Umsetzung der UN-Resolution 2254, die eine Waffenruhe | |
und demokratische Entwicklungen vorsieht. Andere halten syrische Flaggen, | |
darauf zu lesen: „Das syrische Volk ist eins“. Das Nachrichtenportal | |
Suwayda24 berichtet, dass in Nachbarstädten Statuen der Assad-Familie | |
zerstört und Büros der herrschenden Baath-Partei geschlossen wurden. | |
Eine junge Demonstrantin, Lujain Hamza, sagt: „Ich träume von einem | |
laizistischen Land mit einer demokratischen Regierung. Wir wollen es | |
wiederaufbauen und einen Rechtsstaat etablieren“. Respekt für Menschen- und | |
Frauenrechte und ein Ende der Unterdrückung seien ihr wichtig. „Anfangs | |
waren die Proteste eine Beanstandung der wirtschaftlichen Lage“, sagt ein | |
weiterer Demonstrant auf Nachfrage der taz. „Wir wissen aber, dass das | |
Regime nicht in der Lage ist, eine Besserung der Lebensumstände zu | |
gewährleisten. Daher kamen die Forderungen, dieses zu stürzen.“ Doch nicht | |
nur das. „Wir verlangen ebenso einen Kampf gegen die Korruption sowie einen | |
Stopp des Drogenhandels“, fügt der 59-Jährige hinzu. | |
## Stromausfälle, Armut und Drogenhandel | |
Der Süden Syriens hat sich in den letzten Jahren zum Schauplatz des Exports | |
von Drogen wie Captagon entwickelt. Immer wieder schießt das jordanische | |
Militär Drohnen ab, die illegale Substanzen über die Grenze fliegen. Vor | |
allem aber leidet Syrien unter massiven Stromausfällen, wachsender Armut | |
und steigenden Preisen. Als die Regierung um Präsident Baschar al-Assad im | |
August die Subventionen für Benzin kappte, kam es in mehreren Städten zu | |
Protesten – sogar in Gebieten unter Kontrolle des Regimes: in Suwaida, in | |
dem mehrheitlich Drus*innen leben, aber auch im sunnitischen Daraa, das | |
seit 2011 als „Wiege der Revolution“ bekannt ist; dann im Nordwesten in | |
Solidarität mit dem Süden. Sogar im mehrheitlich alawitischen Tartus gab es | |
laut Reuters alternative Protestformen wie Postkarten gegen die | |
Baath-Partei. | |
In den letzten Jahren haben kleinere Demonstrationen in Syrien immer wieder | |
stattgefunden, meist fernab internationaler Aufmerksamkeit. „Auch in | |
Regimegebieten haben sie nie vollständig aufgehört“, sagt Nahost-Experte | |
Carsten Wieland. Dass die Drus*innen so stark und massiv protestieren, | |
sei hingegen neu. „Die Unzufriedenheit mit Assad ist groß.“ Und zwar quer | |
durch alle Bevölkerungsgruppen. | |
## Die Proteste könnte das Regime unter Druck setzen | |
„Die Proteste in Suwaida sind sicherlich ein wichtiges Zeichen für viele | |
Menschen und könnten schon in den nächsten Monaten dazu führen, dass Assad | |
zunehmend Probleme bekommt. Aber ich sehe keinen unmittelbaren Sturz“, | |
urteilt Wieland. Die Stärke der Proteste sei symbolisch: gezeigt zu haben, | |
dass das Land so nicht weitermachen könne. Dass Assads Regierung, nicht die | |
Sanktionen, am Elend in der Bevölkerung schuld ist. Dies könnte das Regime | |
unter Druck setzen. Wahrscheinlich ist jedoch, dass der Frust nicht so | |
leicht nachlässt, ohne „unmittelbare Lösungen für die syrische Wirtschaft�… | |
sagt Armenak Tokmajyan, Konfliktforscher am Carnegie Middle East Center in | |
Beirut. | |
Momentan dauern die Demonstrationen jedoch vor allem im Süden an. Laut | |
Tokmajyan hat dies mit der schwächeren Präsenz der Regierung dort zu tun. | |
Nour Radwan, Direktor des Nachrichtenportals Suwayda24, bestätigt: „Es gibt | |
ein bisschen mehr Freiheit in Suwaida.“ Unterschiedliche Milizen befinden | |
sich im Gebiet. Für Radwan könnte eventuell hier eine neue politische | |
Bewegung beginnen. „Die Menschen hier reden nicht von wirtschaftlichen | |
Lösungen, sondern von politischen. Und zwar für ganz Syrien.“ | |
Bereits im August trat eine neue Gruppe, [2][die Bewegung 10. August], auf | |
die Bühne – junge syrische Aktivist*innen, die soziale Gerechtigkeit und | |
demokratische Entwicklungen anstreben, dabei Extremismus und Gewalt | |
ablehnen. Meistens sind sie online aktiv. Doch Vertrauen sei hart zu | |
gewinnen. „Wenn jemand in Syrien dazu ermuntert, über Assad zu reden, denkt | |
jeder, dass die Person vom Geheimdienst ist“, sagt Radwan. | |
## Bisher keine Gewalt gegen Demonstrant*innen | |
Bislang ging Assad eher mild mit den Protesten um. Zum einen genießt das | |
Regime weniger Unterstützung als vor zwölf Jahren. Zum anderen will es | |
wahrscheinlich vermeiden, eine Revolte hervorzurufen. Und aus Sicht von | |
Damaskus seien die Aufstände noch „räumlich begrenzt“, so Wieland. Das | |
Risiko sei eher, dass die Anführer später nach und nach „liquidiert“ | |
werden. Auch für Tokmajyan ist es „unwahrscheinlich“, dass die Regierung | |
Gewalt gegen die Demonstrant*innen in Suwaida anwendet. Doch genauso | |
unwahrscheinlich sei, dass Assad große Zugeständnisse macht. Denn sonst | |
könnten weitere Gebiete aufstehen. | |
International gab es bislang, bis auf vereinzelte Stellungnahmen westlicher | |
Regierungen, wenig Unterstützung für die Demonstrierenden. Die Folgen der | |
Revolution 2011, der Bürgerkrieg mit mehr als 300.000 Toten und 14 | |
Millionen Vertriebenen wirken indes heute noch nach. „Die einzige | |
Möglichkeit, die Protestierenden zu unterstützen, wäre durch einen | |
humanitären Korridor durch Jordanien. Aber Amman ist nicht daran | |
interessiert, die Beziehungen zu Assad zu eskalieren“, sagt Wieland. Denn | |
das haschemitische Königreich ist auf die Kooperation Assads angewiesen, um | |
den Drogenhandel an seiner Grenze zu stoppen. [3][Erst dieses Jahr ist | |
Syrien in die Arabische Liga wieder] aufgenommen worden. Doch die | |
arabischen Länder seien laut Wieland von Assad „zunehmend frustriert“ – | |
wegen des Drogenhandels und weil er sich als Sieger betrachtet, doch die | |
Probleme des Landes nicht in den Griff bekommt. | |
10 Oct 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Demonstrationen-in-Syrien/!5955062 | |
[2] /Unruhen-in-Syrien/!5956395 | |
[3] /Syrien-wieder-Teil-der-Arabischen-Liga/!5930262 | |
## AUTOREN | |
Serena Bilanceri | |
## TAGS | |
Baschar al-Assad | |
Syrien | |
Syrien | |
Klimakonferenz in Dubai | |
Schwerpunkt Neues Deutschland | |
Schwerpunkt Nahost-Konflikt | |
Jordanien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Arzt über Drogenkrise in Syrien: „Die erste Dosis ist kostenlos“ | |
Meth und Captagon bieten vielen Menschen in Syrien eine Flucht aus dem | |
Alltag. Die Folgen sind gravierend, warnt der Arzt Feras Fares. | |
Rätsel um Baschar al-Assad: Kriegsverbrecher auf Klima-COP? | |
Die Emirate haben Syriens Machthaber auf die COP28 eingeladen. Dabei gibt | |
es einen Haftbefehl aus Frankreich gegen ihn – wegen Kriegsverbrechen. | |
Kritik an Korrespondentin: Das Problem Einseitigkeit | |
Das „nd“ beendet die Zusammenarbeit mit Autorin Karin Leukefeld. Interne | |
Kritik an ihrer Syrien-Berichterstattung gab es schon seit längerer Zeit. | |
Reaktionen auf Angriff gegen Israel: Flaggen für Palästina | |
Die arabische Welt reagiert gespalten auf den Angriff der Hamas auf Israel. | |
Propalästinensische Demos finden in Jordanien, Iran und im Libanon statt. | |
Presse- und Meinungsfreiheit im Netz: Auf Satire steht in Jordanien Knast | |
Durch ein neues Gesetz können Äußerungen, die den sozialen Frieden | |
gefährden sollen, schärfer bestraft werden. Journalist*innen sind | |
besorgt. |