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# taz.de -- Prozess um G20-Protest: Landgericht nicht hart genug
> Hamburger Richter haben die U-Haft in einem G20-Prozess ausgesetzt. Die
> Staatsanwaltschaft hält sie nun für befangen.
Bild: Sorgt für Streit vor Gericht: der G20-Protest in Hamburg
Hamburg taz | Nie in der „Nachkriegsgeschichte“ seien in Hamburg solch
schwere „Gewalt- und Sachbeschädigungshandlungen“ verübt worden wie
während der [1][Proteste gegen den G20-Gipfel] am Morgen des 7. Juli 2017.
Entlang der Elbchaussee und in der Großen Bergstraße habe ein „schwarz
uniformierter Mob“ gewütet. So begründet das Hanseatische Oberlandesgericht
(OLG), warum zwei mutmaßliche Teilnehmer des gewaltsamen Aufmarschs im
Stadtteil Altona in Untersuchungshaft bleiben müssen.
Das OLG hebt damit eine Entscheidung des Landgerichts auf. Dieses hatte
zwei der insgesamt fünf Angeklagten am 9. November unter strengen
Meldeauflagen freigelassen und den Vollzug der Untersuchungshaft
ausgesetzt. Die Richter der 17. Großen Strafkammer halten die 22 und 24
Jahre alten Männer aus Hessen zwar des schweren Landfriedensbruchs für
dringend verdächtig. Sie müssten sehr wohl mit einer Strafe rechnen.
Allerdings sei ihnen eine „Mittäterschaft“ im engeren Sinne wahrscheinlich
nicht nachzuweisen.
Wenige Stunden vor Beginn des G20-Gipfels waren am 7. Juli 2017 Dutzende
schwarz gekleidete und vermummte Personen durch den Stadtteil Altona
gezogen. Einige von ihnen hatten dabei 19 parkende Fahrzeuge in Brand
gesteckt, weitere Fahrzeuge demoliert, Scheiben Dutzender Gebäude
eingeworfen und Molotowcocktails gegen eine Ikea-Filiale geschleudert.
Ein Sachschaden von rund einer Million Euro sei durch den „schwarz
uniformierten Mob“ entstanden, betonen die obersten Hamburger Strafrichter.
Mehrere Augenzeugen des Geschehens hätten Traumata erlitten und seien
deswegen in psychischer Behandlung gewesen.
In den Videos, die das Geschehen dokumentieren, sei zwar zu sehen, wie vier
der Angeklagten im vorderen Teil der vermummten Gruppe laufen, begründete
das Landgericht die Haftverschonung. Einer von ihnen habe eine Mülltonne
auf die Straße gezogen, ansonsten sei nicht zu erkennen, dass die jungen
Männer selbst Gewalttaten verübt hätten.
## „Misstrauen gegen die Unparteilichkeit“
Insofern seien sie wahrscheinlich nicht als „Mittäter“, sondern nur als
„Gehilfen“ einzustufen, die die Gewalttäter „psychisch“ unterstützt h…
argumentierte das Landgericht. Dies würde die zu erwartende Strafe
abmildern. Einstweilen reiche es aus, der Fluchtgefahr mit strengen
Meldeauflagen bei der Polizei und Entzug des Reisepasses zu begegnen.
Gegen diese Entscheidung laufen OLG und Staatsanwaltschaft nun Sturm. Das
OLG setzte den Haftbefehl schon nach wenigen Stunden wieder in Vollzug. Die
17. Strafkammer des Landgerichts habe „die Dimension der Taten“ vollständig
aus den Augen verloren, heißt es zur Begründung. Nun setzt die
Staatsanwaltschaft noch eins drauf: Sie lehnt die drei Richter der 17.
Großen Strafkammer des Landgerichts ab und hat einen Befangenheitsantrag
eingereicht. „Es liegt ein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen
die Unparteilichkeit der abgelehnten Richter zu rechtfertigen“, heißt es in
dem Antrag, der der taz vorliegt.
Die Richter hätten sich bereits festgelegt, sie stünden auf der Seite der
Beschuldigten und seien nicht mehr offen für andere Argumente, führt der
zuständige Staatsanwalt aus. Der schwarze Mob sei planvoll vorgegangen,
sämtliche Teilnehmer des Aufmarschs müssten sich alle begangenen Taten
zurechnen lassen. Mit ihren den Tatbeitrag der Angeklagten relativierenden
Aussagen verhöhne die Landgerichtskammer die Opfer des Gewaltexzesses. Sie
spiele „Leid und Schrecken“ herunter.
## Ansonsten harte Urteile
Zudem wirft die Staatsanwaltschaft den Richtern ihr Verhalten bei der
mündlichen Verhandlung über den Haftbefehl am 2. November vor. Die Richter
hätten den Angeklagten dabei ein Strafmaß von „höchstens drei Jahren“ in
Aussicht gestellt. Das belege ihre Voreingenommenheit. Schließlich fordere
das Oberlandesgericht eine Strafe „im oberen Bereich“. Wegen schweren
Landfriedensbruchs können bis zu zehn Jahre Haft verhängt werden.
Richter sollen „Opfer verhöhnt“ und „die Dimension der Taten vollständig
aus dem Blick verloren“ haben – solch schneidende Kritik an der Hamburger
Rechtsprechung mit explizitem Bezug auf die „Nachkriegszeit“ kennt man von
offizieller Seite eigentlich nicht. Als das Landgericht etwa in den
sechziger Jahren die Mörder des Polizeibataillons 101, die während der
deutschen Besetzung Polens Zehntausende unschuldige Menschen erschossen
hatten, mit Haftstrafen von drei Jahren und weniger aburteilte, regte sich
keine Empörung. Ebenso wenig ist Kritik überliefert an der Weigerung,
Todesurteile aus der Nazizeit oder Verurteilungen wegen „Rassenschande“
aufzuheben. Hingenommen wurde auch, dass das Hamburger Landgericht die
Hauptverhandlung gegen den millionenfachen SS-Massenmörder Bruno
Streckenbach nicht eröffnete.
Durch harte Urteile zeichnen sich hingegen viele der Gerichtsprozesse nach
den Ausschreitungen beim G20-Gipfel aus. Der jetzige Bundesfinanzminister
und damalige Erste Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz, hatte damals
öffentlich „harte Strafen“ gefordert. Ein Gericht, das sich um
Differenzierung bemüht, scheint da keinen leichten Stand zu haben.
Eigentlich sollte die Hauptverhandlung gegen die insgesamt fünf Angeklagten
am 18. Dezember eröffnet werden. Jetzt muss zunächst eine andere Kammer des
Landgerichts über den Befangenheitsantrag entscheiden. Sollten die Richter
tatsächlich abgelehnt werden, müsste sich eine neue Kammer in die Akten
einarbeiten. In diesem Fall könnte sich der Prozessbeginn verschieben,
teilte ein Gerichtssprecher auf Anfrage mit.
7 Dec 2018
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## AUTOREN
Stefan Buchen
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