# taz.de -- Proteste in Santiago de Chile: Präsident ruft Ausnahmezustand aus | |
> Begonnen hatten die Unruhen, nachdem Fahrscheine für die U-Bahn verteuert | |
> worden waren. Präsident Sebastián Piñera versucht nun, zu vermitteln. | |
Bild: Ein ausgebrannter Linienbus in Santiago de Chile | |
BUENOS AIRES taz | In der chilenischen Hauptstadt Santiago ist es in der | |
Nacht von Freitag auf Samstag zu schweren Unruhen gekommen. Präsident | |
Sebastián Piñera rief kurz nach Mitternacht den Ausnahmezustand für die | |
Hauptstadt und die umliegenden Bezirke aus. Vielerorts spielten sich | |
chaotische Szenen ab. | |
Die Proteste hatten vergangenen Montag begonnen, nachdem die Fahrpreise für | |
U-Bahn-Tickets von 800 auf 830 Peso verteuert wurden. Was umgerechnet eine | |
Anhebung des Fahrpreises um lediglich vier Cent auf 1,06 Euro bedeutet, | |
brachte das Fass jedoch zum Überlaufen. | |
An zahlreichen Kreuzungen der Stadt blockierten Protestierende den | |
Autoverkehr, errichteten Barrikaden und steckten sie in Brand. „Die | |
Situation ist völlig außer Kontrolle, eine Situation, die es in der | |
Demokratie nie gegeben hat“, erklärte Rodolfo Carter, Bürgermeister der | |
Vorstadt La Florida. Protestierende hatten bereits am Freitagnachmittag den | |
Betrieb der U-Bahn lahmgelegt, am Abend brannte es dann in 19 U-Bahnhöfen. | |
Mindestens zehn Linienbusse des Transantiago wurden angesteckt und brannten | |
aus. | |
Auch im Gebäude des Stromversorgers ENEL im Zentrum der Hauptstadt loderten | |
die Flammen. Bei den Räum- und Löschaktionen der Polizeikräfte kam es zu | |
heftigen gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Polizeieinheiten gingen mit | |
Schlagstöcken vor und verschossen Tränengasgranaten. Angaben über Verletzte | |
oder Festnahmen lagen bisher nicht vor. | |
Noch am Tag der Fahrpreiserhöhung begannen vor allem Schüler*innen und | |
Studierende aus Protest mit dem Überspringen der Drehkreuze an den Zugängen | |
zu den Bahnsteigen. In den sozialen Netzwerken wurde dazu aufgerufen, sich | |
den Protestaktionen anzuschließen. | |
„Sieht die Regierung nicht die Verzweiflung einer Familie, die den | |
Mindestlohn von 301.000 Pesos (380 Euro) verdient und monatlich 33.500 | |
Pesos (43 Euro) ausgibt, um zur Arbeit zu gehen?“, fragte die ehemalige | |
Präsidentschaftskandidatin der linken Frente Amplio, Beatriz Sánchez. | |
Dagegen kündigte Innenminister Andrés Chadwick ein hartes juristisches | |
Vorgehen und die Anwendung des staatlichen Sicherheitsgesetzes an, das | |
wesentlich höhere Strafen vorsieht. | |
Zugleich lehnte Transportministerin Gloria Hutt eine Rücknahme der | |
Fahrpreiserhöhung ab. „Das ist beschlossen und umgesetzt“, so Hutt. Dennoch | |
versuchte Präsident Sebastián Piñera noch in der Nacht, einen schlichtenden | |
Eindruck zu vermitteln. „In den nächsten Tagen werde ich zu einem | |
parteiübergreifenden Dialog aufrufen, um alles zu unternehmen, um die | |
Situation unserer Landsleute, die vom Preisanstieg der U-Bahn betroffen | |
sind, entschärfen zu können“, sagte Piñera. | |
Analysten sehen in den Protesten Parallelen zu den [1][Protesten der | |
Gelbwesten] in Frankreich. Sie seien der Ausdruck einer tiefen | |
gesellschaftlichen Unzufriedenheit bei einem großen Teil der Bevölkerung | |
mit den stagnierenden Einkommen und den stetig steigenden Tarifen für | |
Strom, Wasser sowie der öffentlichen Transportmittel. Der Preis der U-Bahn | |
von Santiago ist einer der höchsten in der Region und liegt über dem von | |
São Paulo, Buenos Aires und Mexiko-Stadt. Die U-Bahn, die täglich knapp | |
drei Millionen Fahrgäste befördert, wurde bis auf weiteres geschlossen. | |
19 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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