# taz.de -- Proteste im Irak: Netzblockade gegen die Wut | |
> Seit Dienstag gehen Tausende IrakerInnen auf die Straße. Die Regierung | |
> schlägt den Protest gewaltsam nieder – und sperrt das Netz. | |
Bild: Protest am Mittwoch in Bagdad. Am Donnerstag folgte die Ausgangssperre | |
AMSTERDAM taz | Wie angespannt die Lage im Irak derzeit ist, zeigt eine | |
Grafik: Seit dem frühen Donnerstagmorgen waren 75 Prozent des Landes | |
[1][laut der Website Netblocks.org] komplett vom Internet abgeschnitten. | |
Nachrichten über WhatsApp und Messenger an Kontaktpersonen in Bagdad liefen | |
am Donnerstag ins Leere. | |
Tausende Menschen in verschiedenen irakischen Provinzen waren seit Dienstag | |
auf die Straße gegangen. Videos vom Freiheitsplatz in der Hauptstadt Bagdad | |
zeigen ein Meer an Protestierenden, viele schwenken die Nationalflagge. | |
Einige skandieren: „Das Volk will die Regierung stürzen“ – ein Slogan, d… | |
auch in den Protesten des Arabischen Frühlings 2011 in Ägypten, Jemen oder | |
Syrien zu hören war. | |
Auslöser der jüngsten Proteste war die Nachricht, dass die Regierung | |
General Abd al-Wahab al-Saadi entlassen habe. Al-Saadi war der Anführer der | |
Antiterroreinheit der irakischen Armee und galt vielen in der Bevölkerung | |
aufgrund seiner Rolle im Krieg gegen die Terrororganisation „Islamischer | |
Staat“ (IS) als Held. Außerdem hatte er innerhalb seiner Einheit der | |
Korruption den Kampf angesagt. Gründe für seine Entlassung nannte die | |
Regierung zunächst nicht. | |
Beobachter spekulieren jedoch, dass sich die sogenannte | |
[2][Volksmobilisierung (Haschd al-Schaabi)] für seinen Abgang starkgemacht | |
hat. Die Volksmobilisierung ist eine Dachorganisation vor allem | |
schiitischer Milizen im Irak, von denen viele dem Iran nahestehen. | |
## „Ich will ein Heimatland, das mich respektiert“ | |
Überraschend kommen die Proteste nicht. Nach den letzten großen | |
Demonstrationen im Sommer 2018 vor allem [3][in Basra] war es nur eine | |
Frage der Zeit, bis die nächste Protestwelle ausbrechen würde. Die Wut über | |
die schlechte Stromversorgung, die hohe Arbeitslosigkeit und die | |
grassierende Korruption ist im Irak auch in ruhigen Zeiten greifbar. Seit | |
dem Ende des Krieges gegen den IS ist die Enttäuschung über die unverschämt | |
korrupten Politiker noch größer. In einem Video ruft ein Demonstrant: „Ich | |
will keinen Strom, ich will ein Heimatland, das mich respektiert!“ | |
Der Nationale Sicherheitsrat betonte am Mittwoch nach einer eilig | |
einberufenen Sitzung, er bekräftige „das Recht auf Protest, freie | |
Meinungsäußerung und die legitimen Forderungen der Demonstranten“. | |
Gleichzeitig jedoch verurteilte er den Vandalismus, der die Proteste | |
begleite. Der irakische Ministerpräsident Adel Abd al-Mahdi versprach, Jobs | |
zu schaffen für arbeitslose Hochschulabgänger, und forderte das | |
Ölministerium auf, eine Fünfzig-Prozent-Quote für lokale Arbeiter bei | |
internationalen Firmen zu implementieren. | |
Ob das die Wut der Demonstranten besänftigt, ist allerdings fraglich. Trotz | |
der Äußerungen des Nationalen Sicherheitsrats schlugen die | |
Sicherheitskräfte die Proteste gewaltsam nieder – zunächst mit Tränengas, | |
dann aber auch mit scharfer Munition, als sich der Protestzug am Dienstag | |
Richtung Grüner Zone im Zentrum Bagdads bewegte, wo Regierungsgebäude und | |
Botschaften liegen. | |
19 Menschen kamen bei den Protesten ums Leben, mehr als 1.000 wurden | |
verletzt, wie die Hohe Menschenrechtskommission am Donnerstag mitteilte. | |
Unter den Toten waren demnach 18 Zivilisten sowie ein Mitglied der | |
Sicherheitskräfte. Seit Donnerstagmorgen herrscht nun in Bagdad eine | |
Ausgangssperre. Zu vereinzelten Zusammenstößen mit mehreren Toten kam es | |
dennoch. Von der Sperre ausgenommen sind Reisen zum Flughafen, die | |
Ambulanz, Angestellte beim Strom- und Wasserministerium und Pilger. | |
## Gespalten zwischen USA und Iran | |
Die brutale Antwort der Sicherheitskräfte, die offenbar den Versuch | |
darstellt, weitere Demonstrationen zu unterbinden, könnte zu einer | |
Radikalisierung und zunehmender Gewalt seitens der Protestierenden führen – | |
vor allem, weil es der Regierung bisher nicht gelungen ist, den Forderungen | |
mit wirklichen Reformen zu begegnen. | |
Für die Regierung kommen die Proteste zu einem heiklen Zeitpunkt. Der Irak | |
steht zwischen den beiden Großmächten USA und Iran, die beide versuchen, | |
das Land auf ihre Seite zu ziehen. Bereits die Vorgängerregierung Abd | |
al-Mahdis versuchte, eine Vermittlerrolle zwischen den beiden Ländern | |
einzunehmen. Dies ist mit der zunehmenden Spannung seit der Aufkündigung | |
des Atom-Abkommens mit dem Iran durch die USA im vergangenen Jahr zunehmend | |
schwierig geworden – aber auch, weil Abd al-Mahdi innenpolitisch kaum | |
Rückhalt hat. Die aktuellen Proteste untergraben die ohnehin schwache | |
Position Abd al-Mahdis weiter. | |
3 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://netblocks.org/reports/iraq-blocks-facebook-twitter-whatsapp-and-ins… | |
[2] /Drohnenangriffe-im-Irak/!5618065 | |
[3] /Junge-Generation-im-Irak-begehrt-auf/!5601919 | |
## AUTOREN | |
Meret Michel | |
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