# taz.de -- Protest in Israel: Ausgebremste Hilfen | |
> Angehörige von Hamas-Geiseln blockieren die Straße zum Grenzübergang | |
> Kerem Schalom. Nicht nur dieser Protest setzt Israels Regierung zu. | |
Bild: Nur weg: Palästinenser im Gazastreifen fliehen am 25. Januar 2024 aus Ch… | |
JERUSALEM/BERLIN taz | Kein Lastwagen mit Hilfsgütern soll mehr nach Gaza | |
fahren dürfen, solange weiter Geiseln in der Gewalt der Hamas sind – das | |
fordert Danny Elgart. Sein Bruder und sein Schwager, entführt aus dem | |
Kibbuz Nir Oz im Süden Israels, werden seit dem 7. Oktober vermisst. Mit | |
weiteren Angehörigen von Hamas-Geiseln und in Gaza kämpfenden Soldaten | |
blockiert er am Donnerstagmorgen die Straße, die zum Grenzübergang Kerem | |
Schalom zwischen Israel und Gaza führt. | |
Bereits am Vortag begannen die Proteste, hunderte Menschen nahmen laut der | |
israelischen Zeitung The Times of Israel teil. Auch am Freitag – und an | |
allen folgenden Tagen – stünden er und seine Mitstreiter wieder bereit, | |
sagt Elgart. Bis die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu | |
reagiert. | |
„Die Hilfslieferungen sind nur für eine Seite – die Palästinenser“, erk… | |
er seine Beweggründe. Für die Geiseln gebe es keine vergleichbaren | |
Bemühungen, nicht einmal das Internationale Rote Kreuz habe sie besuchen | |
dürfen. „Wir geben der Hamas humanitäre Hilfe und machen sie stärker und | |
bekämpfen sie gleichzeitig“, sagt Elgart, „eine unglaubliche Dissonanz.“ | |
Hunderte Lastwagen habe man aufgehalten, behauptet Elgart. Tatsächlich | |
haben am Mittwoch nur 9 von 60 Lkws Gaza erreicht, der Rest kehrte – | |
aufgrund der Proteste – nach Ägypten zurück. Insgesamt haben laut den | |
israelischen Streitkräften bis Mitte Januar – aktuellere Zahlen liegen | |
nicht vor – mehr als 12.000 Lastwagen Gaza erreicht. | |
Die Lieferung humanitärer Hilfsgüter nach Gaza erfolgt über zwei | |
Grenzübergänge: Rafah, der Ägypten und Gaza verbindet, sowie Kerem Schalom, | |
der ganz im Süden von Gaza auf israelischer Grenzseite liegt. Alle | |
Hilfslieferungen der Vereinten Nationen müssen durch Kerem Schalom, die | |
Lastwagen werden dort von israelischen Sicherheitskräften inspiziert. | |
Während Hilfsorganisationen Israel vorwerfen, so den Prozess zu | |
verlangsamen und wichtige Hilfen zu blockieren, besteht das Land aus | |
Sicherheitsgründen auf die Inspektionen, um etwa Waffen- und | |
Menschenschmuggel zu unterbinden. | |
## Warnungen vor Einbruch der „zivilen Ordnung“ | |
Etwa 2,2 Millionen Menschen leben in Gaza, etwa 80 Prozent von ihnen | |
mussten im Verlauf des Krieges in den Süden fliehen. [1][Die humanitären | |
Bedingungen dort gelten als katastrophal]. Viele Menschen leben in Zelten | |
oder behelfsmäßig gezimmerten Hütten. Nach Berichten von | |
Hilfsorganisationen sind auch die sanitären Bedingungen ein großes Problem, | |
hunderte Menschen sollen sich eine Toilette teilen müssen. | |
Dass die Lage für die Menschen im Gazastreifen katastrophal ist, weiß auch | |
die Bundesregierung. Außenministerin Annalena Baerbock [2][konnte sich | |
Anfang Januar am Grenzübergang Rafah selbst einen Überblick verschaffen], | |
hatte Hilfsgüter dabei und versprach weitere Hilfen. Das Auswärtige Amt | |
setzt sich zudem für weitere Zugänge zum Gazastreifen ein, um die stockende | |
Versorgung der Menschen vor Ort zu beschleunigen. Allerdings verlaufen auch | |
hier die Verhandlungen schleppend. | |
Entwicklungsexperten und Hilfsorganisationen warnen seit Wochen vor dem | |
Einbruch der „zivilen Ordnung“. Sie rechnen mit Plünderungen und | |
gewaltsamen Übergriffen, wenn Nahrungsmittel, Trinkwasser und medizinische | |
Versorgung weiterhin so knapp bemessen sind und die israelischen | |
Bombardierungen anhalten. Große Hoffnung liegt nun auf einer | |
UN-Beobachtermission, die sich ein dezidiertes Bild von der Lage vor Ort | |
machen soll. | |
Mit jedem Tag, den der Krieg andauert und an dem die israelischen Geiseln | |
in Gaza festgehalten werden, wächst der Druck auf Israels Regierung. Am | |
Mittwochabend blockierte eine von Frauen geleitete Demonstration den Ayalon | |
Highway, Tel Avivs größte Autobahn, gen Süden. Der Auslöser: Seit Tagen | |
berichten Medien über Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, | |
vermittelt durch die USA, Katar und Ägypten. Für die Rückkehr der | |
verbliebenen mehr als 130 Geiseln fordert die Hamas, dass alle | |
palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen freikommen, | |
sowie einen permanenten Waffenstillstand und den Abzug der israelischen | |
Truppen aus Gaza. Für Israel kommt das nicht infrage. | |
Derweil gewinnen Israels Streitkräfte über immer mehr Teile Gazas die | |
Kontrolle. Am Donnerstag erklärten sie, man sei nun in das Herz der Stadt | |
Chan Junis im südlichen Gazastreifen vorgerückt. Dort habe man unter | |
anderem ein Kommandozentrum der Terrorgruppe Palästinensischer Islamischer | |
Dschihad eingenommen sowie eines der Hamas. | |
## Gaza: zwölf Tote in UN-Einrichtung | |
Die Bodenoffensive in Chan Junis wird weiterhin von Luftangriffen | |
begleitet. Am Mittwoch schlugen zwei Sprengkörper in einem Bildungszentrum | |
des UN-Hilfswerks für palästinensische Geflüchtete (UNRWA) ein, das als | |
Zufluchtsort für 30.000 Menschen diente. Die Zahl der Toten wurde am | |
Donnerstagmittag von den UN mit 12 angegeben, 75 weitere Menschen wurden | |
teils schwer verletzt. | |
Die UNRWA bezichtigte Israel des Angriffs, das wiederum die Hamas für | |
schuldig hält. Philippe Lazzarini, Generalkommissar des Hilfswerks, | |
schrieb auf der Plattform X (vormals Twitter): Das Gelände sei klar als zur | |
UN gehörend markiert gewesen. Und: „Wieder einmal eine eklatante | |
Missachtung grundlegender Regeln des Krieges.“ Israels Militär erklärte, | |
den Fall untersuchen zu wollen. Der Vorfall löste international kritische | |
Reaktionen aus. | |
Die anhaltend hohe zivile Opferzahl auf palästinensischer Seite lässt die | |
Unterstützung Israel durch die westliche Staatengemeinschaft wackeln. Zudem | |
sind am Freitag die Blicke wieder nach Den Haag gerichtet: Der | |
Internationale Strafgerichtshof will dann eine erste Entscheidung zu | |
Südafrikas Völkermord-Klage gegen Israel verkünden. Genauer: über den | |
Eilantrag eines sofortigen Waffenstillstands entscheiden. Über die | |
Hauptsache des Verfahrens wird aber nicht entschieden – dieses könnte sich | |
über viele Jahre hinziehen. | |
25 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Humanitaere-Lage-im-Gazastreifen/!5977756 | |
[2] /Diplomatie-im-Gaza-Krieg/!5982480 | |
## AUTOREN | |
Lisa Schneider | |
Tanja Tricarico | |
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