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# taz.de -- Korruption an der Grenze zu Gaza: Teures Entkommen
> Der Übergang in Rafah ist der einzige Ausweg aus dem Gazastreifen.
> Ägypten lässt kaum Menschen durch. Berichte von Schmierzahlungen häufen
> sich.
Bild: Normalerweise kein Durchkommen: vom Gazastreifen aus fotografierter Grenz…
Berlin taz | Immer weiter breiten sich die Zeltstädte vertriebener
Palästinenser in Rafah im Süden des Gazastreifens aus. Bis auf wenige Meter
sind sie mittlerweile an den mit Stacheldraht verstärkten Grenzzaun zu
Ägypten herangerückt. Doch auch in Rafah fallen Bomben: „Vergangene Woche
schlug direkt vor unserer Haustür eine Rakete ein und traf ein Auto mit
zwei Männern“, sagt die 22-jährige Deema aus Rafah am Telefon. „Ein Mädc…
aus der Nachbarschaft wurde beim Brotkaufen von Trümmern am Kopf getroffen
und ist auf der Straße verblutet.“
Wie Deema und ihre Familie wollen viele in Rafah vor dem Krieg und der
humanitären Katastrophe im Gazastreifen nach Ägypten fliehen. Die Regierung
in Kairo lehnt das ab und hat Berichten zufolge auf der ägyptischen Seite
des Zauns Sandwälle aufschütten und Soldaten in Stellung gehen lassen. Seit
Kriegsbeginn hat nur eine verschwindend geringe Zahl von Palästinensern das
Kriegsgebiet über den Grenzübergang Rafah verlassen können.
Die Not der Menschen nutzen ägyptische Beamte und Vermittler offenbar aus,
um Profit zu machen: Gehen darf nur, wer einen Platz auf der Liste der
Ausreiseberechtigten bekommt. „Uns wurde gesagt, dass wir 11.000 Dollar pro
Person zahlen müssen“, sagt Deema. Es seien nur wenige hundert Meter bis
Ägypten. Für ihre acht Geschwister und ihre Eltern aber würde es ein
Vermögen kosten.
Mehrere Palästinenser haben im Gespräch mit der taz von Forderungen nach
bis zu fünfstelligen Bestechungssummen berichtet. Immer häufiger tauchen
auch Crowdfunding-Aufrufe von verzweifelten Palästinensern online auf. Ein
Nutzer aus den USA schreibt auf der Plattform „gofundme“ unter einem Foto,
das seine Familie zeigen soll: „Ihr Haus wurde vollkommen zerstört, sie
konnten nur noch Kleider mitnehmen (…) Sie sollen 7.000 Dollar pro Person
bezahlen, um Gaza zu verlassen.“ Die Echtheit dieser Aufrufe lässt sich
nicht sicher überprüfen.
## Drei Kilometer laufen für Wasser
Das Ausmaß der humanitären Katastrophe in der Region um Rafah wird auf
Satellitenbildern deutlich: Abertausende weißer Punkte sind in den
vergangenen Wochen um die Stadt herum aufgetaucht. Geflüchtete aus dem
Norden haben Zelte und Verschläge aus Plastikplanen auf dem kargen
Sandboden errichtet, häufig ohne jede Versorgung mit Strom oder sanitären
Anlagen. Die Zahl der Menschen entlang der Grenze ist von etwa 300.000 auf
rund eineinhalb Millionen angewachsen – mehr als die Hälfte der Bevölkerung
des Gazastreifens harrt dicht gedrängt auf engstem Raum aus.
Die Kämpfe gehen indes weiter: Dem Hamas-geführten Gesundheitsministerium
zufolge wurden am vergangenen Wochenende binnen 24 Stunden 178 Menschen
getötet. Das wäre einer der tödlichsten Tage in Gaza seit Kriegsbeginn. Die
Hamas ist trotz der monatelangen Kämpfe alles andere als besiegt. Der
britische Sender BBC zitiert einen US-Geheimdienstbericht, wonach bisher
nur 20 bis 30 Prozent der Hamas-Kämpfer getötet wurden. Am Wochenende hatte
es zudem erneut Angriffe auf Soldaten im Norden des Gazastreifens gegeben,
den die israelische Armee zwischenzeitlich als unter Kontrolle erklärt
hatte.
[1][Der Zivilbevölkerung fehlt es an Wasser, Strom und Nahrungsmitteln.] In
den wenigen noch funktionierenden Krankenhäusern müssen Ärzte zum Teil ohne
Betäubungsmittel operieren. Das UN-Welternährungsprogramm WFP sprach am
Dienstag erneut von einer drohenden Hungersnot. [2][Schon vor Weihnachten
warnte das WFP, dass 577.000 Menschen in der schlimmsten Notlage seien.]
„Wir müssen drei Kilometer laufen, um einen Eimer Wasser zu bekommen“,
erzählt Abu Mohammed al-Masri, der aus dem nördlichen Gazastreifen geflohen
ist und mit seiner Familie Schutz in einem Universitätsgebäude in Rafah
gefunden hat. Er lebe mit seiner zehnköpfigen Familie in einem
Klassenzimmer, zusammen mit vierzig anderen Menschen, erzählt der
Linguistikprofessor am Telefon, während im Hintergrund Kinder schreien.
„Ich habe versucht, Gaza zu verlassen, um meine Kinder zu beschützen, weil
wir nie wissen, wo oder wann die nächste Bombe fallen wird“, sagt al-Masri.
Für die Ausreise seiner gesamten Familie habe ein Vermittler 50.000 Dollar
von ihm verlangt. „Sie wollen Profit aus Menschen schlagen, die nichts mehr
haben.“
## Ägypten will von Bestechungen nichts wissen
Die Vermittler hätten es vor allem auf Familien mit kranken oder
verwundeten Mitgliedern abgesehen, sagt der ägyptische Journalist und
Sinai-Experte Mohannad Sabry. „Diese Menschen bezahlen jeden Preis, um Gaza
zu verlassen“, sagt der Journalist und Buchautor, der aus Angst vor den
ägyptischen Behörden seit 2015 im Exil in Großbritannien lebt. Die Schuld
sehe er aber nicht nur bei den Mittelsmännern oder den korrupten
Grenzbeamten: „Wir haben es hier mit staatlich ermöglichter, geförderter
Korruption zu tun“, sagt Sabry an die Adresse Kairos gerichtet.
Die Südgrenze des Gazastreifens sei vollständig unter der Kontrolle der
ägyptischen Armee und des Geheimdienstes. Zwischen 2014 und 2015 hätten
ägyptische Sicherheitsbehörden das Grenzgebiet großflächig geräumt,
tausende Menschen umgesiedelt und den Schmuggel durch Tunnel weitgehend
unterbunden. Seitdem führe der Weg nach Gaza ausschließlich [3][durch den
Grenzübergang Rafah].
Ausreisewillige müssten ihre Daten bei den palästinensischen Behörden
einreichen. Die ägyptischen Behörden würden sie nach einer
Sicherheitsüberprüfung durch Israel auf eine Ausreiseliste setzen. „Ob und
wann ein Name auf der Liste auftaucht, ist Glückssache“, sagt Sabry. Das
System sei vollkommen intransparent und die systematische Korruption seit
Langem bekannt. „2014 lagen die Preise bei etwa 250 Dollar, 2018 waren sie
auf etwa 600 Dollar gestiegen.“ Neu seien die horrenden Summen von derzeit
etwa 10.000 Dollar pro Person.
In Kairo weist man die Berichte zurück. Regierungssprecher Dia Raschwan
teilte mit, in Rafah würden ausschließlich die offiziellen Gebühren
erhoben. „Diese Vorwürfe basieren auf unbekannten und einzelnen Quellen
ohne Belege.“ Die zuständige israelische Behörde Cogat äußerte sich auf
Anfrage nicht zu den Berichten.
Deema reicht ihr Onkel als Beweis: „Er ist bereits vor einigen Wochen für
8.000 Dollar ausgereist und hat es nach Amman in Jordanien geschafft“, sagt
die 22-Jährige. Mit ihren Geschwistern habe sie versucht, ihren Vater zu
überzeugen. Doch selbst wenn die Familie das Geld zusammenbekommen könnte.
Der Landwirt wolle seine Felder bei Chan Junis nicht zurücklassen.
23 Jan 2024
## LINKS
[1] /Humanitaere-Not-in-Gaza/!5985259
[2] https://www.wfp.org/stories/gaza-brink-one-four-people-face-extreme-hunger
[3] /Lage-in-Gaza/!5966015
## AUTOREN
Felix Wellisch
## TAGS
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