| # taz.de -- Präsidentschaftswahl in Tunesien: Mit starken Parolen gewinnen | |
| > Ein Ultrakonservativer und ein in U-Haft sitzender Medienmogul gehen in | |
| > die Stichwahl. Das zeigt: Die Tunesier sind von der Demokratie | |
| > enttäuscht. | |
| Bild: Der unabhängige Jura-Professor Kaïs Saïed küsst die tunesische Flagge | |
| Die Tunesier haben bei den [1][Präsidentschaftswahlen am vergangenen | |
| Sonntag] zwei Außenseiter in die Stichwahl geschickt. Der unabhängige | |
| Jura-Professor Kaïs Saïed und der wegen Verdacht auf Geldwäsche und | |
| Steuerhinterziehung in Untersuchungshaft sitzende Medienmogul Nabil Karoui | |
| haben die restlichen über 20 Kandidaten deutlich hinter sich gelassen. | |
| Darunter der Kandidat der islamistischen Ennahda-Partei, ein ehemaliger | |
| Übergangspräsident, ein Minister und der amtierende Ministerpräsident. Die | |
| Wähler und Wählerinnen im nordafrikanischen Geburtsland des Arabischen | |
| Frühlings haben damit die politische Klasse deutlich abgestraft. | |
| Nur acht Jahre nach dem Sturz der Diktatur unter Zine El Abidine Ben Ali | |
| sind viele von der Demokratie, die sie einst mit Begeisterung begrüßten, | |
| enttäuscht. Denn die soziale Lage ist nicht besser geworden, sondern hat | |
| sich vor allem für junge Menschen und im Landesinneren gar noch | |
| verschlimmert. Beide Kandidaten wissen das und wetterten im Wahlkampf gegen | |
| die herrschenden politischen Akteure. | |
| Doch ihr Wahlprogramm ist alles andere als dazu geeignet, die Probleme | |
| Tunesiens wirklich anzugehen. Statt nach vorn zu blicken, setzt der | |
| ultrakonservative Saïed auf Tradition. Er ist gegen die Gleichstellung der | |
| Frau beim Erbrecht, verteidigt die Todesstrafe sowie die Kriminalisierung | |
| von Homosexuellen. Und all das in einem Land, das bisher in der arabischen | |
| Welt für seine modernen Ansätze bekannt ist. | |
| ## Das Parlament abschaffen | |
| Was noch schlimmer wiegt: Saïed will das Parlament abschaffen. Es soll nur | |
| noch auf kommunaler Ebene gewählt werden. Diese Volksvertreter sollen dann | |
| ihre Repräsentanten bestimmen und in eine Kammer nach Tunis schicken. Das | |
| würde den entlegenen Regionen mehr Gehör verschaffen, behauptet Saïed und | |
| hat damit Erfolg. | |
| Medienzar Karoui, der einst der Partei Nidda Tounes um den im Sommer | |
| verstorbenen, bisherigen Präsidenten Béji Caïd Essebsi gehörte, ist | |
| ebenfalls durch starke Parolen bekannt. Er bezeichnet sich selbst gern als | |
| „Mutter Teresa“, wenn er sich von seinem eigenen Privatsender dabei filmen | |
| lässt, wie er in teuren Anzügen armen Familien Elektrokleingeräte schenkt. | |
| Seit Jahren wird gegen diesen Wohltäter wegen Steuerhinterziehung | |
| ermittelt. Jetzt, wo er in Haft ist, bezeichnet er sich als „politischen | |
| Gefangenen“. | |
| Karoui pflegt sein Image als erfolgreicher Geschäftsmann, der es vom | |
| Zahnpasta-Vertreter zum „tunesischen Berlusconi“ geschafft hat. Werde er | |
| zum Präsidenten gewählt, wolle er das Land wie ein Unternehmen führen, | |
| lautet seine Kernaussage. Ob eine solche wirtschaftsliberale und | |
| letztendlich wohl auch autoritäre Politik das Hauptproblem Tunesiens, | |
| nämlich die Sorgen und Nöte derer löst, denen Karoui so gern Almosen gibt, | |
| darf bezweifelt werden. | |
| 17 Sep 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Reiner Wandler | |
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