Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pferdesport in Corona-Krise: Dostojewski siegt nicht
> Galopprennbahnen wollen in der Coronakrise ohne Preisverleihungen
> weitermachen. Auf positive Tests sind sie jedoch nicht vorbereitet.
Bild: Für wen laufen sie denn? Auch in Langenhagen, wie hier 2016, stehen Galo…
Der russische Schriftsteller Dostojewski steckte fast ein Jahrzehnt lang
tief in Schulden. In deutschen Casinos trieb er sich und seine Frau mit
seiner Spielsucht im 19. Jahrhundert in den Ruin.
Doch am Montagnachmittag wiederum hätte so mancher Zocker mit „Dostojewski“
reich werden können. Denn der dreijährige Hengst mit dem Namen des
Schriftstellers war gemeldet für das erste der insgesamt acht geplanten
Coronageisterrennen auf der Galopprennbahn in Dortmund.
Und die Galopper-Zeitschrift Sport Welt prognostizierte für „Dostojewskis“
Sieg in ihrer Donnerstagsausgabe die mit Abstand höchste Eventualquote. Mit
10 Euro Einsatz hätte man 100 Euro zurückbekommen. Verlockend.
Nur: Am Samstagvormittag musste der Dortmunder Rennbahnpräsident Andreas
Tiedtke den Renntag abblasen. Die Begründung: Die aktualisierte Fassung der
Coronaschutzverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen lasse sportliche
Veranstaltungen und damit die Durchführung des Rennens nicht zu.
„Während nun Zoobesuche für zahlende Zuschauer und Museen geöffnet werden�…
polterte Tiedtke anschließend in einer [1][Pressemitteilung], „bleibt es
für unsere Zucht, die Berufstätigen und den Rennvereinen bei den massiven
Einschränkungen unserer Grundrechte.“
## Mit Tierzuchtgesetz für die Leistungsprüfung
Doch warum hätte ausgerechnet der Galopprennsport die erste größere
Sportart in Deutschland sein sollen, die während der Coronapandemie wieder
loslegen darf? Michael Vesper, der Präsident des Dachverbands Deutscher
Galopp, hatte seit Mitte April stets mit dem Tierzuchtgesetz argumentiert.
Laut diesem sind Pferderennen sogenannte Leistungsprüfungen, mit denen die
Rennleistung der Pferde für die Vollblutzucht ermittelt werden sollen. Da
der Staat die Verantwortung dafür an seinen Verband delegiert hat, müssten
die Rennen durchgeführt werden, trug Vesper vor.
Diese Argumentation genügte den Behörden in NRW aber nicht. Denn:
Gleichzeitig seien Pferderennen ja auch eine sportliche Veranstaltung und
mit einer Wettkampfsituation verbunden.
Ein anderes Argument hatte Verbandspräsident Michael Vesper, zugleich
ehemaliger Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes
(DOSB) und NRW-Staatsminister a. D. (Grüne), vor einer Woche vorgelegt: ein
Konzept, mit dem Pferderennen ohne Zuschauer durchgeführt werden könnten.
„Beim Galopprennen gibt es keine Blutgrätsche und keine Berührungen“, gab
er sich hoffnungsfroh. „Wir können die behördlichen Vorgaben zu 100 Prozent
einhalten!“
Das [2][Konzept] sieht unter anderem vor: Jockeys mit Mundschutz, strenge
Zugangsbeschränkungen, keine Siegerehrungen und geschlossene Duschen. Und
natürlich: Überall soll 1,5 Meter Abstand gehalten werden – auch beim
Aufsteigen und Absatteln der Jockeys.
## Springreiten erlaubt, Galopprennen verboten
Was das Konzept nicht vorsieht: einen positiven Test auf das Coronavirus.
Vor Betreten des Rennbahngeländes soll schlicht durch Temperaturmessungen
oder eine kurze Befragung sichergestellt werden, dass keine sichtbare
Corona-Infektion vorliegt.
Trotzdem hatte die Region Hannover als zuständige Kommunalbehörde das
Konzept für das am 7. Mai geplante Rennen in der niedersächsischen
Hauptstadt abgesegnet. Die niedersächsische Landesregierung hat es jetzt
allerdings abgesagt.
Seltsam nur: An diesem Wochenende fand im niedersächsischen Luhmühlen mit
Genehmigung des gleichen niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums
bereits ein offizielles Profi-Springreitturnier statt. Nicht nur
Galopper-Präsident Vesper dürfte sich fragen: Warum die und wir nicht?
Am 10. Mai wiederum soll im brandenburgischen Hoppegarten ein Rennen über
die Bühne gehen – mit Einverständnis des dort ansässigen Gesundheitsamtes.
Das Land Brandenburg gesteht den Kommunen in seiner Eindämmungsverordnung
zudem das Recht zu, im Einzelfall Ausnahmegenehmigungen für
Sportveranstaltungen zu erteilen.
## Onlinewetten gehen immer noch
Wenn Bund und Länder nicht vorab einen gemeinsamen Beschluss für den Sport
fassen, könnte ein skurriles Szenario entstehen: In Hoppegarten darf am 10.
Mai galoppiert werden, zwei Tage zuvor beim geplanten Rennen in Köln jedoch
nicht.
Sollten Galopprennen tatsächlich noch vor der Fußballbundesliga wieder
stattfinden, dürfte zumindest ein Kalkül der Branche mit ihren rund 3.000
Vollzeitbeschäftigten aufgehen: Mit Onlinewetten auf Pferderennen lässt
sich in sportarmen Lockdown-Zeiten mehr Geld verdienen – auch wenn davon
nur ein geringer Teil an engagierte Rennbahnbetreiber wie Andreas Tiedtke
in Dortmund geht.
Ein positives Signal gab es am Wochenende doch noch: Mit einer
Soli-Wetten-Aktion einiger betuchter Galopprennsport-Freunde kommen bis
Saisonende mehr als eine Million Euro zusammen. Ein Teil davon geht an die
Rennbahnbetreiber. Der Ruin von Dostojewski steht ihnen also noch nicht
bevor.
5 May 2020
## LINKS
[1] https://www.deutscher-galopp.de/gr/galopprennbahnen/dortmund/meldung.php?in…
[2] https://www.deutscher-galopp.de/gr-wAssets/docs/konzept.pdf
## AUTOREN
Mathias von Lieben
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Sport trotz Corona
Pferdesport
Pferdesport
Schwerpunkt Brexit
Sportvereine
American Pie
Schwerpunkt taz Leipzig
Pferdesport
## ARTIKEL ZUM THEMA
Tierschutz bei Pferderennen: Im Galopp in den Tod
Auf der Rennbahn in Langenhagen bei Hannover musste ein verunglücktes Pferd
eingeschläfert werden. Tierschützer fordern Konsequenzen.
Pferdesport nach dem Brexit: Britische Oxertour
Durch den Brexit verstellt die Bürokratie Turnierpferden aus Großbritannien
den Einlass in die EU. Ein Gestüt denkt gar über die Auswanderung nach.
Lockerungen für Breitensport erwartet: Sport nur allein und draußen
Der Breitensport liegt brach, es wird viel improvisiert. Berliner Vereine
fordern eine Lockerung – oder zumindest Gewissheit, wie es weiter geht.
Pferderennsport in der Kritik: Abgang im Galopp
Der Tod eines Pferds bei der höchstdotierten US-Rennserie ruft großen
Protest hervor. Denn die Todesbilanz des Rennsports ist grausig.
Galoppsport in Leipzig: Tod auf der Rennbahn
Seit 1867 wettet man auf der Galopprennbahn Scheibenholz auf das schnellste
Pferd. Die Tiere riskieren für das Spektakel ihr Leben.
Ist das Derby Tierquälerei?: Galopp unter Schmerzen
Das „Deutsche Derby“ lockte Tausende ZuschauerInnen auf die Horner Rennbahn
in Hamburg. Tierschützer halten den Sport für Tierquälerei.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.