# taz.de -- Parlamentswahlen in Russland: Keine Alternativen für die Duma | |
> In Russland öffnen die Wahllokale, während Google und Apple die App des | |
> Nawalny-Teams löschen. Viele wollen ohnehin nicht abstimmen. | |
Bild: Ein Wahlhelfer in Tarbatay sammelt Stimmen ein | |
MOSKAU taz | Nastia hätte gerne auf elektronischem Weg für die Duma, das | |
russische Parlament, abgestimmt. Autos und Eigentumswohnungen werden bei | |
dieser Art der Stimmenabgabe verlost. Nur widerwillig ließ die 20-Jährige | |
von dem Vorhaben ab. Ihre Mutter hatte sie ins Gebet genommen: Woher wolle | |
sie denn wissen, was mit ihrer elektronischen Stimme geschehe? | |
Nastia wird ihre Mutter nun am 19. September ins Wahllokal begleiten. Ab | |
Freitag läuft die Dumawahl, drei Tage bis Sonntagabend. „Wir gehen abends | |
zur Wahl, kurz vor Schließung der Lokale soll angeblich nicht mehr so viel | |
gemauschelt werden“, meint die Mutter. | |
Zwischen zweieinhalb und fünf Millionen Wähler sollen je nach Quelle einen | |
Antrag für das elektronische Abstimmen gestellt haben – im Rahmen eines | |
Probelaufs in sechs russischen Regionen. Ab 2024 könnte der Wahlmodus | |
endgültig auf das elektronische Wählen umgestellt werden – mit | |
weitreichenden Möglichkeiten, in den Vorgang einzugreifen, warnt die NGO | |
Golos (Die Stimme), die die Abstimmungen überwacht. Inzwischen wurde auch | |
Golos auf die [1][Liste der „ausländischen Spione“] gesetzt. Das erschwere | |
ihre Arbeit, meint Golos-Mitarbeiter Stanislaw Andreitschuk. Schon die | |
Dreitagefrist erhöhe die Chancen zur Manipulation. Das Interesse an den | |
Wahlen ist so niedrig wie seit 17 Jahren nicht mehr. | |
TV-Debatten wurden wegen geringen Interesses auf Sendeplätze am späten | |
Abend oder frühen Morgen verbannt. Auch die Wahlbeteiligung könnte niedrig | |
ausfallen. Das muss sich jedoch nicht auf die Siegchancen der Kremlpartei | |
Einiges Russland (ER) auswirken. Je weniger kritische Wähler teilnehmen, | |
desto sicherer ist der Ausgang. Mit knapp 27 Prozent Zuspruch in Umfragen | |
für die Kremlpartei ist „die Unterstützung der ER zwar schlecht, aber das | |
spielt keine Rolle“, meint Alexej Muchin, Leiter des Kreml-Thinktanks | |
Zentrum für politische Information. | |
Das ursprüngliche Ziel einer Zweidrittelmehrheit für ER, die | |
Verfassungsänderungen ermöglichen würde, scheint nicht mehr außer | |
Reichweite zu sein. Davon gehen zumindest kremlnahe Beobachter aus. ER | |
müsste dafür mindestens 301 Mandate erhalten. | |
## Nötigung zur Abstimmung | |
Die Erfolgsaussicht erklärt sich unterdessen auch durch den Druck der | |
Kremlpartei auf Angestellte in Staatsbetrieben. 14 Prozent von ihnen seien | |
bereits zum Wählen aufgefordert worden, so das regierungsnahe Allrussische | |
Meinungsforschungszentrum (VTsIOM). Die Nötigung dürfte noch zunehmen. | |
Besonders in der Kaukasus- und Wolgaregion wurden in den Vorjahren | |
Staatsangestellte erfolgreich unter Druck gesetzt, für die Kremlpartei zu | |
stimmen. Auch in diesem Jahr steht der Sieg der Kremlpartei bereits fest. | |
Neben der langen Wahldauer erleichtert auch der Abbau der Kameras in den | |
Wahllokalen den Betrug. Im März 2012 hatte Wladimir Putin die Überwachung | |
der Präsidentenwahl durch Kameras zugelassen, nachdem bei den | |
vorangegangenen Dumawahlen im Dezember 2011 massive Unregelmäßigkeiten | |
aufgetreten waren. | |
Auch an der bevorzugten Behandlung von Kandidaten der Kremlpartei in | |
Fernsehprogrammen durch doppelte Sendezeit für sie habe sich seit den | |
letzten Wahlen nichts geändert, meint Grigorij Melkonjanz von Golos. | |
Deutlich habe sich auch gezeigt, dass immer weniger Kandidaten anderer | |
Parteien bereit seien, an den Wahlen teilzunehmen. „Viele lassen sich nicht | |
mehr aufstellen, da sie wissen, was für ein Gegenwind einsetzt“, so | |
Melkonjanz. | |
## Keine Wahlbeobachtung | |
Auch Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit | |
(OSZE) wird es in diesem Jahr nicht geben. Die OSZE wollte fünfhundert | |
Beobachter schicken, Moskau gestattete wegen der Coronapandemie indes nur | |
fünfzig, worauf sich die OSZE nicht einließ. | |
[2][Massive Repressalien, mit denen der Kreml dieses Jahr gegen die | |
Opposition vorging], führten überdies dazu, dass Anhänger Alexei Nawalnys | |
emigrierten oder sich zurückzogen. Strukturen von [3][Nawalnys Netzwerk] | |
wurden nach seiner Verhaftung zerstört. | |
So auch [4][eine App, die Nawalnys Stab entwickelt] hatte, um die Wähler am | |
Wochenende zum „smarten Wählen“ zu bewegen. Dort sollten Alternativen zu | |
den Kandidaten der Kremlpartei abrufbar sein. Der Kreml versuchte, das | |
durch Druck auf Google und die russische Suchmaschine Yandex zu verhindern | |
– und war erfolgreich: Am Freitag haben Google und Apple die App zum | |
Protest-Wählen aus ihrem System entfernt. Nawalnys Anhänger werben nun | |
dafür, die Wahlberechtigten über Telegram und Youtube dennoch zu erreichen. | |
17 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Unabhaengige-Medien-in-Russland/!5791308 | |
[2] /Ein-Jahr-nach-Nawalnys-Vergiftung/!5789995 | |
[3] /Urteil-gegen-Nawalnys-Organisationen/!5778266 | |
[4] https://votesmart.appspot.com/ | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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