| # taz.de -- Oliver Stone über Kennedy-Doku: „Ein Film ist kein Fast Food“ | |
| > Regisseur Oliver Stone geht in seiner Doku „JFK Revisited“ erneut dem | |
| > Mord an John F. Kennedy nach. Ein Gespräch über Verschwörungserzählungen | |
| > und Joe Biden. | |
| Bild: Präsident John F. Kennedy und First Lady Jacqueline Kennedy in Dallas am… | |
| Als Gewinner von drei Oscars und fünf Golden Globes gehört Oliver Stone zu | |
| den berühmtesten Persönlichkeiten der Filmbranche: ein erfolgreicher | |
| Regisseur, der aber häufig für seine Filme kritisiert wird. In seiner | |
| Jugend verließ er die renommierte Yale University und zog freiwillig in den | |
| Vietnamkrieg, wo er glaubte, „amerikanische Ideale“ zu verteidigen. Zurück | |
| kehrte er mit einer entschlossenen Antikriegshaltung. | |
| Er wurde Regisseur, um ein breites Publikum zu erreichen. Wegen seiner | |
| radikalen Ansichten wird Stone oft den Verschwörungstheoretikern | |
| zugeordnet. Er selbst glaubt, dass dieser Begriff von der CIA geprägt | |
| wurde, um das Vertrauen in Kritiker zu erschüttern. Er ist überzeugt, dass | |
| Verschwörungen zur Geschichte gehören und einige – etwa die Ermordung | |
| Kennedys und die Vertuschung der Tathintergründe – um jeden Preis | |
| aufgeklärt werden müssen. Dazu drehte den Dokumentarfilm „JFK Revisited“. | |
| taz: Herr Stone, warum glauben Sie, dass es immer noch wichtig ist, zu der | |
| Ermordung von Präsident John F. Kennedy zu ermitteln? | |
| Oliver Stone: Kennedy war der letzte amerikanische Präsident, der die | |
| Geheimdienste stoppen und Veränderungen im Verteidigungssektor vornehmen | |
| wollte. In diese beiden Sektoren fließen immer noch 50 Prozent des | |
| US-Staatshaushalts, und das Geld wird hauptsächlich mit Kriegen verdient. | |
| Ob Russland, China oder Iran, es werden immer neue „Feinde“ erfunden, um | |
| Aufträge für die Militärindustrie zu sichern. Kennedy hatte andere Ideen: | |
| Er wollte das Embargo gegen Kuba beenden. | |
| Gemeinsam mit Vertretern der Sowjetunion arbeitete er an einem Abkommen, | |
| das ein Verbot von Atomwaffentests in der Atmosphäre, im Weltraum und unter | |
| Wasser vorsah. Seine Politik war viel zu gefährlich für einige Leute, die | |
| nicht aufhören konnten, sich die Taschen vollzustopfen. Nach dem Attentat | |
| übernahmen Geheimdienste und das Militär die Führung der US-Regierung in | |
| allen wichtigen Bereichen, seien es die Finanzen oder die nationale | |
| Sicherheit. | |
| Nehmen wir an, Kennedy wäre am Leben geblieben. Was wäre geschehen, wenn er | |
| nichts hätte verändern können? Es gab auch andere Meinungen über seine | |
| Präsidentschaft, zum Beispiel, dass er nicht entschlossen genug handelte. | |
| Im Gegensatz zu anderen amerikanischen Präsidenten nahm Kennedy als Soldat | |
| am Zweiten Weltkrieg teil. Er hatte deshalb einen anderen Blick auf die | |
| Dinge. Er war ein Gegner des Kolonialsystems, aber konnte die Truppen nicht | |
| so schnell abziehen, weil er unter enormem Druck stand. Er wollte die | |
| Wahlen im November 1964 abwarten, und bis dahin konnte er solche Fragen | |
| nicht in der Regierung zur Abstimmung bringen. | |
| Was hat sich seit Ihrem Spielfilm „JFK – Tatort Dallas“ (1991) zum selben | |
| Thema verändert? | |
| Damals war ich viel jünger und naiver. Ich war schockiert über die | |
| Reaktionen und darüber, dass viele die Kennedy-Affäre so schnell wie | |
| möglich vergessen wollten. Mir war nicht bewusst, dass meine Aussagen den | |
| Nerv einiger Regierungsstellen treffen würden und meiner Karriere in | |
| gewissem Maße geschadet haben. Ich wurde vor den Kongress geladen. Wegen | |
| des Aufsehens, das mein Film damals auslöste, wurde ein neues Gesetz | |
| verabschiedet. | |
| [1][Das Material über die Ermordung Kennedys, das ursprünglich bis 2029 | |
| unter Verschluss bleiben musste, wurde freigegeben], die Archive zugänglich | |
| gemacht und eine vierjährige Untersuchung lieferte viele neue | |
| Informationen. Doch die amerikanischen Medien haben darüber nicht | |
| berichtet, und alle Dokumente wurden wieder vergessen. Selbst zum [2][50. | |
| Jahrestag der Ermordung Kennedys im Jahr 2013] erwähnte keiner der | |
| amerikanischen Sender neue Fakten und alternative Versionen. Meine | |
| Interviews mit ihnen wurden gekürzt und stattdessen auf den Bericht der | |
| Warren-Kommission verwiesen, als hätte es seitdem keine anderen offiziellen | |
| Ermittlungen zu dem Mord gegeben. | |
| Es ärgert mich, dass die Leute immer noch an diese Cinderella-Geschichte | |
| glauben, die von der Warren-Kommission erzählt wird. Heute, da jeder im | |
| Besitz eines Smartphones ist, könnte so etwas nicht passieren, die | |
| Öffentlichkeit hätte sofort Zugang zu Informationen. Aber damals waren wir | |
| naiv, und die Medien haben uns mit falschen Berichten gefüttert, weil sie | |
| ja auch darauf programmiert waren. Sie trugen wesentlich dazu bei, dass die | |
| Warren-Kommission zugleich mit ihrem 800-seitigen Bericht verabschiedet | |
| wurde. Diese Version wurde einfach akzeptiert, ohne dass jemand überhaupt | |
| den Bericht gelesen hatte. | |
| Wer liest heute diese Berichte, und wie sind Sie an diese Informationen | |
| gekommen? | |
| Es gibt eine Gruppe von Forschern, die seit drei Generationen daran | |
| arbeiten. Sie begannen mit eigenen Ermittlungen am Tag nach dem Attentat, | |
| weil sie der Regierung misstrauten. Damit verdienten sie kein Geld, es ging | |
| ihnen einzig um die Wahrheit. Über Jahre hinweg teilten sie ihre neuen | |
| Entdeckungen. Ich blieb mit vielen in Kontakt, beispielsweise mit Robert | |
| Groden, der als erster unabhängiger Fotoforscher Zugang zum berühmten | |
| Zapruder-Film bekam [die privaten Aufnahmen von Abraham Zapruder, der am | |
| Tag des Attentats in Dallas gefilmt hat; d. R.]. | |
| Ein halbes Jahrhundert lang hat Groden behauptet, dass Kennedy von mehr als | |
| nur einem Schützen ermordet worden sein muss. Ein anderes Mitglied dieser | |
| Gruppe ist der Militärhistoriker und pensionierte Armeegeheimdienstmann | |
| John Newman, der mehrere Bestseller über JKF und den Vietnamkrieg, Harvey | |
| Lee Oswald und die CIA schrieb. Der Gerichtsmediziner Dr. Cyril Wecht | |
| arbeitete an vielen hochkarätigen Fällen wie den Ermordungen von John F. | |
| und Robert F. Kennedy sowie Martin Luther King. Als er im Kennedy-Fall den | |
| Zugang zu den Asservaten bekam, stellte er fest, dass einige wichtige | |
| Gegenstände verschwunden waren. | |
| Der Schriftsteller Jimmy DiEugenio hat Tausende von Akten über Kennedys | |
| Ermordung gelesen und sprach über seine Entdeckungen, als ich und Rob [der | |
| Produzent Rob Wilson, d. R.] zu Dr. Wechts Forschungskonferenz gingen. Er | |
| hat das Buch „The JFK Assassination: The Evidence Today“ herausgebracht, | |
| und wir begannen, die neuen Erkenntnisse zu diskutieren. Jimmy schrieb auch | |
| das Drehbuch zum Film, und Rob pushte mich, weil er glaubte, dass die Leute | |
| die Wahrheit erfahren sollten. | |
| Sie sagen, die Medien waren damals sehr regierungsfreundlich und leicht zu | |
| manipulieren. Wie viel Freiheit haben wir heute? Technisch gesehen gibt es | |
| heute viel mehr Sender und auch Sendungen sowie einen leichteren Zugang zu | |
| Informationen. | |
| Aus freigegebenen Dokumenten haben wir erfahren, dass viele Medien wie CBS | |
| oder NBC und auch die New York Times die Warren-Kommission unterstützt | |
| haben. Die Tochter von John J. McCloy, einem Mitglied der | |
| Warren-Kommission, arbeitete mit CBS zusammen. Es war ein riesiges | |
| Machtnetz, und jeder darin war geschützt. Das Vorhandensein von mehr Medien | |
| bedeutet nicht unbedingt mehr Freiheit. Heute gehen viele Menschen auf | |
| Youtube oder sprechen über ihre Überzeugungen in den sozialen Medien, was | |
| für noch mehr Verwirrung sorgt und den Regierungen zugutekommt. Denn wenn | |
| die Leute verwirrt sind, ist es einfacher, ihre Agenda durchzusetzen. | |
| Warum drehen Sie jetzt öfter Dokumentarfilme? Haben Sie das Gefühl, im | |
| wirklichen Leben gibt es heute mehr Drama? | |
| [3][Mein letzter Spielfilm war „Snowden“], und ich hatte große | |
| Schwierigkeiten, ihn zu drehen. Der Film wurde nicht von meinem Land | |
| finanziert, sondern von Frankreich und Deutschland. Auch „JFK Revisited“ | |
| bekam kein Geld von den USA, sondern wurde von Europäern gefördert. Ich bin | |
| kein Teil Hollywoods mehr, es sei denn, ich werde einen anderen Spielfilm | |
| machen. Die Vertriebsmethoden haben sich stark verändert. Plattformen wie | |
| Netflix verwenden alle KI und Algorithmen, um dem Massengeschmack zu | |
| entsprechen. Sie folgen blind dem, was ihnen erzählt wird, zum Beispiel, | |
| dass dieses oder jenes Thema keine Rolle mehr spielt. Das sollte man | |
| niemals tun − man sollte den Film sein Publikum finden lassen. Ein Film ist | |
| kein Fast Food. | |
| Ich würde den Entstehungsprozess eher mit der Zubereitung einer Suppe | |
| vergleichen, bei der man die Zutaten langsam ins Wasser gibt und sie kochen | |
| lässt. Wenn es allein nach Erfolgs-Algorithmen ginge, hätte ich „Platoon“ | |
| nie drehen können, weil es ein deprimierendes Thema war, mit viel Gewalt | |
| und nur für bestimmte Zielgruppen geeignet. Am Ende war der Film ein | |
| Riesenerfolg. Ich habe nie Filme wegen des Geldes gemacht, sondern nur, | |
| weil ich sie drehen wollte. In diesem Sinne hatte ich großes Glück, mehr | |
| Glück als diejenigen, die ihre Lebenszeit und Werte verkaufen, um zu | |
| überleben. | |
| Was halten Sie von Joe Biden und seiner Regierung? | |
| Ein Vorteil von Biden ist, dass wir Trump losgeworden sind. Der jetzige | |
| Präsident ist ruhig und bedacht, Gott segne ihn! Die Amerikaner haben den | |
| Trump-Lärm satt und vor allem seine angeberische, aber dennoch | |
| desinteressierte Art, über Atomwaffen und Bombenabwürfe zu sprechen. Ich | |
| habe Trump nicht gewählt, aber ich konnte mich aus ähnlichen Gründen auch | |
| nicht für Hillary Clinton entscheiden. Sie war auch sehr radikal, meiner | |
| Ansicht nach zu sehr Kriegstreiberin. Ich finde es jedoch falsch zu sagen, | |
| dass Trump der schlechteste US-Präsident war. Bush war der schlimmste in | |
| Bezug auf den Schaden, den er der Welt zugefügt hat, daran besteht kein | |
| Zweifel. Trump konnte einfach in den vier Jahren seiner Präsidentschaft | |
| nichts lösen, er hat alles nur noch mehr durcheinandergebracht. | |
| 18 Nov 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Die-Schuesse-auf-John-F-Kennedy/!5054612 | |
| [2] /Kommentar-50-Jahre-Kennedy-Mord/!5054431 | |
| [3] /Oliver-Stones-Politthriller-Snowden/!5338863 | |
| ## AUTOREN | |
| Tatiana Rosenstein | |
| ## TAGS | |
| Dokumentarfilm | |
| John F. Kennedy | |
| Mord | |
| Verschwörung | |
| John F. Kennedy | |
| Edward Snowden | |
| John F. Kennedy | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| BBC-Dokumentation: Solides Katastrophen-Einmaleins | |
| Eine neue BBC-Doku-Reihe erklärt „Katastrophen, die Geschichte schrieben“ | |
| in 10 großen Fehlern. Das funktioniert gut, wirkt aber gekünstelt. | |
| Oliver Stones Politthriller „Snowden“: Vom Whistleblower verweht | |
| Oliver Stone blüht in seinem Film in der Rolle als Edward Snowdens Anwalt | |
| auf. Doch erzählerisch erstarrt „Snowden“ in alten Formen. | |
| Kommentar 50 Jahre Kennedy-Mord: Was heißt hier Verschwörungstheorie? | |
| Selten wurde ein Mordfall so gründlich vertuscht und verbogen wie der an | |
| John F. Kennedy 1963. Wer steckt dahinter? | |
| Die Schüsse auf John F. Kennedy: Zweifel an der offiziellen Version | |
| Zum 50. Todestag von John F. Kennedy haben Verschwörungstheorien um den | |
| Präsidentenmord in Dallas wieder Hochkonjunktur. |