# taz.de -- Oligarchen in der Ukraine: Tumult im Parlament | |
> Mit einem neuen Gesetz will Präsident Selenski den Einfluss von | |
> Oligarchen begrenzen. Kritiker warnen vor einem Machtzuwachs des | |
> Staatschefs. | |
Bild: Oppositionsprotest vor dem Parlament in Kiew am Donnerstag | |
BERLIN taz | In zweiter Lesung hat das ukrainische Parlament mit 279 von | |
226 erforderlichen Stimmen am Donnerstag [1][ein Gesetz zur Eindämmung des | |
Einflusses der Oligarchen] verabschiedet. Wer drei von vier Kriterien | |
erfüllt, wird in ein noch zu schaffendes Oligarchenregister eingetragen. | |
Die vier Kriterien sind Beteiligung am politischen Leben, Besitz eines | |
Massenmediums oder eine wichtige Funktion in diesem, Besitz eines | |
Unternehmens mit Monopolstellung und ein Eigentum von mindestens 75 | |
Millionen Euro. | |
Registrierte Oligarchen dürfen keine politischen Parteien, Demonstrationen | |
oder Meetings finanzieren, nicht an der Privatisierung großer | |
Wirtschaftsobjekte teilnehmen. Und sie müssen mit dem diskriminierenden | |
Label eines registrierten Oligarchen leben. | |
Das kann jeglichen politischen Ambitionen einen Strich durch die Rechnung | |
machen. Hohe Beamte, Direktoren staatlicher Betriebe und Abgeordnete müssen | |
Kontakte mit Oligarchen „oder deren Vertreter“ melden. Das gilt auch dann, | |
wenn sich diese nicht als Vertreter von [2][Oligarchen] zu erkennen gegeben | |
haben. Auch ein E-Mail Verkehr gilt als „Kontakt“. | |
Bei der Verabschiedung des Gesetzes kam es zu tumultartigen Szenen. | |
Vertreter von Oppositionsparteien warfen der Regierung eine Einschränkung | |
demokratischer Rechte vor. Insbesondere empörte die Opposition das „ad | |
hoc“-Abstimmungsverfahren. | |
## Abstimmung en bloc | |
So war über das Gesetz und über 1000 Änderungsvorschläge en bloc abgestimmt | |
worden, ohne dass das Gesetz den Abgeordneten in seiner schriftlichen | |
Endfassung vorgelegen hatte. Es sei das gute Recht eines jedes | |
Abgeordneten, so kritisierte der Deputierte Serhij Rachmanin von der | |
Oppositionspartei Golos, nicht nur Gesetzesänderungen einzubringen, sondern | |
auch über das Gesetz zu debattieren. | |
Irina Heraschtschenko von der Poroschenko-Partei „Europäische Solidarität“ | |
beschimpfte Versammlungsleiter Ruslan Stefantschuk wütend als „Lukaschenko“ | |
und brüllte ein „Stoppt die Diktatur“ in den Parlamentssaal. Bei der | |
„Europäischen Solidarität“ fühlte man sich bei dem Gesetz und dessen | |
schnellen Durchpeitschen an Ex-Präsident Viktor Janukowitsch erinnert, der | |
am 16. Januar 2014 auch in einem Eilverfahren die demokratischen Rechte von | |
Politik und Medien sowie die Versammlungsfreiheit eingeschränkt hatte. | |
Am Freitag kam dann das böse Erwachen, als die Abgeordneten erkannten, dass | |
einige Passagen des Gesetzes einander widersprechen und die Abstimmung in | |
der nächsten Woche wiederholen werden muss. | |
Ausgelöst hatte dieses Chaos ein Änderungsvorschlag von Parlamentssprecher | |
Rasumkow laut dem die Verantwortung für das Oligarchenregister bei der | |
Nationalen Agentur für Korruptionsprävention liegen soll. Beabsichtigt | |
hatte der von Präsident Selenski eingebrachte Gesetzentwurf jedoch, dass | |
diese Verantwortung beim Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat | |
liegt. So ist es auch in anderen Passagen festgehalten. | |
## Auf autoritären Abwegen | |
Beobachter gehen davon aus, dass die von Parlamentssprecher Dmitro Rasumkow | |
vorgenommene Änderung im Sinne von Präsident Selenski abgewandelt wird und | |
die Aufsicht über die Eintragungen in das Oligarchenregister dann auf den | |
Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat übergeht. Dessen Mitglieder | |
ernennt der Präsident. | |
Mit diesem neuen Gesetz, so Andrej Golowatschew von dem in der Ukraine | |
gesperrten Portal strana.news, baue Präsident Selenski seine Macht weiter | |
aus. Nun sei die Ukraine auf dem Weg zu einem autoritären Regime. | |
Tetjana Chutor, Leiterin des „Instituts für Gesetzesinitiativen“, beklagt | |
in der Ukrajinska Prawda die ungeheure Machtfülle, die der Nationale | |
Sicherheits- und Verteidigungsrat nun habe. Letztlich seien die | |
Bestimmungen so unklar formuliert, dass nicht nur Oligarchen, sondern auch | |
Geschäftsleute in dieses Register geraten können, fürchtet sie. Allein der | |
Begriff „Beteiligung am politischen Leben“ sei sehr weit auslegbar. Wer | |
also eine Lautsprecheranlage für eine Demonstration vermiete oder | |
Broschüren für eine politische Aktion drucke, erfülle schon das Kriterium | |
einer Beteiligung am politischen Leben. | |
Für Jewgen Sacharow von der Charkiwer Menschenrechtsgruppe ist das Gesetz | |
verfassungswidrig. „Dieses Gesetz wird zu neuen Verfolgungen politischer | |
Gegner, Chaos und Rechtlosigkeit führen“, so Sacharow auf dem Portal der | |
„Menschenrechtsgruppe Charkiw“. | |
24 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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