# taz.de -- Neujahr in Belarus: Briefe an Väterchen Frost | |
> Die Mehrheit der Belarussen hat nur einen Wunsch: Dass der Präsident | |
> geht. Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 47. | |
Bild: Hauptsache, er ist weg: Ein Lukaschenko-Protest-Plakat in Minsk | |
Als wir Kinder waren, schrieben wir zu Neujahr Briefe an Väterchen Frost. | |
Darin erzählten wir davon, wie wir uns das Jahr über benommen hatten und | |
welche Geschenke wir erwarten. Wir glaubten daran, dass der gütige Alte | |
unsere Wünsche erfüllen werde. Natürlich lasen auch unsere Eltern diese | |
Briefe. Und sie versuchten, die Kinder in deren Glauben an ein Wunder nicht | |
zu enttäuschen. | |
Wir sind erwachsen geworden. Und schreiben weiter Briefe. Jedoch sind die | |
Adressaten jetzt andere, als Väterchen Frost. Dieser Tage hat die Post | |
besonders viel zu tun. Verschicken jetzt nicht alle e-mails? Von wegen. | |
Viele Briefe auf Papier und Postkarten gehen an ein und dieselbe Adresse. | |
Oh weh, die Adresse ist die des Untersuchungsgefängnisses. | |
Die ganz gewöhnlichen Belarussen wollen diejenigen unterstützen, die den | |
Jahreswechsel in Gefangenschaft verbringen. Mit Stand vom 29. Dezember gibt | |
es laut Menschenrechtlern in Belarus 169 politische Gefangene. Unter ihnen | |
sind auch [1][drei Journalisten], die eine Akkreditierung besaßen und nur | |
ihren beruflichen Verpflichtungen nachgekommen sind. | |
Zu ihnen und anderen des Aufruhr Verdächtigen kommen Briefe geflogen – mit | |
Worten der Unterstützung und Wünschen, dass sie das kommende Jahr in | |
Freiheit verbringen mögen, in einem neuen Land und ohne den alten | |
Präsidenten. | |
Nicht alle Briefe erreichen ihre Adressaten, die Belarussen jedoch | |
schreiben weiter: an Blogger, Businessleute, Aktivisten der Wahlstäbe der | |
Präsidentschaftskandidaten, Teilnehmer von Protestaktionen, die eingesperrt | |
sind. | |
Sie alle sind weit weg von ihren Verwandten und Nächsten, weil sie sich | |
nicht davor gefürchtet haben, ihre Rechte wahrzunehmen: Ihr Recht auf | |
Teilnahme an friedlichen Versammlungen, auf freie Meinungsäußerung sowie | |
auf Teilnahme am politischen Leben des Landes. Diese Art von Unterstützung | |
ist nicht weniger wichtig als warme Kleidung und Lebensmittel. | |
Die Belarussin Maria Bidulja hat bereits 96 Briefe an Wiktor Babariko | |
geschrieben – Präsidentschaftskandidat und einer der schärfsten Widersacher | |
von [2][Präsident Alexander Lukaschenko]. Seit dem 18. Juni sitzt er in | |
Haft. In ihren Briefen erzählt Maria von dem Alltag im Land, denn über | |
Politik schreibt man besser nicht. | |
Sie hat sogar einige Antworten erhalten: Diese Briefe sind voller Wärme und | |
Liebe. Wiktor glaubt, dass die Liebe alles besiegen könne. Damit man aus | |
dem Gefängnis eine Antwort erhält, müssen dem Brief ein frankierter | |
Umschlag und Papier beigelegt sein. | |
Ach übrigens: Auch erwachsene Belarussen schreiben noch an Väterchen Frost. | |
Ein Scherz lautet so: Sie bitten darum, einen allgemeinen Wunsch zu | |
erfüllen: Die Ablösung des Präsidenten. Und ein weiterer Witz: In Belarus | |
läuten die Neujahrsglocken nicht um null Uhr, sondern am 31. Dezember um | |
23.34 Uhr. 23.34 ist die Nummer der Vorschrift eines Gesetzes über | |
Rechtsverstöße in Form einer Störung der öffentlichen Ordnung oder der | |
Durchführung von Massenaktionen. | |
Und die Menschen schmücken immer noch ihre Häuser in weiß-rot-weiß. Und sie | |
treffen sich in der Neujahrsnacht zu einem Spaziergang mit Glühwein in | |
ihren Stadtbezirken – zusammen mit genauso optimistisch gestimmten Bürgern. | |
Auf ihren Spaziergang nehmen sie ihren Glauben und ihre Liebe mit. Eine | |
Liebe, die alles zu besiegen vermag. | |
Aus dem Russischen Barbara Oertel | |
1 Jan 2021 | |
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