# taz.de -- Neues Kabinett im Libanon: Fachleute sollen regieren | |
> Mit Massendemos haben die Libanes*innen ihre Regierung gestürzt. Nun hat | |
> das Land ein neues Kabinett. Doch der Protest geht weiter. | |
Bild: Ein Regierungsgegner bleibt standhaft, während er von einem Wasserwerfer… | |
BEIRUT taz | Seit drei Monaten gehen die Menschen im Libanon gegen | |
Vetternwirtschaft auf die Straße, im Oktober kündigte die Regierung ihren | |
Rücktritt an – nun hat das Land ein neues Kabinett. Am Mittwoch trat die | |
neue Regierung erstmals zusammen. | |
Professor Hassan Diab war Mitte Dezember mit der Regierungsbildung | |
beauftragt worden. Er berief 14 Männer und 6 Frauen, die Fachleute auf | |
ihrem Gebiet und weitestgehend unbekannt sind. Als seine Stellvertreterin | |
und erste Frau im Ressort Verteidigung ernannte er Zeina Akar Adra zur | |
Ministerin. | |
Dennoch haben viele Protestierende kein Vertrauen in das neue Kabinett. | |
Schnell füllte sich nach der Verkündung am Dienstagabend die Straße vor dem | |
Parlamentsgebäude in Beirut. Auch Roy Boukhary war dabei, der ein Schild | |
hochhielt mit der Aufschrift „Kein Vertrauen in die Regierung“. | |
Er sagt: „Die Regierung erfüllt nicht meine Erwartungen. Sie zieht eine | |
Maske auf, als ob sie uns unterstützte, aber in Wahrheit ist sie die rechte | |
Hand der politischen Elite.“ Der 26-Jährige arbeitet für eine Hotline des | |
Gesundheitsministeriums. Er hat einen Masterabschluss in | |
Rechtswissenschaft, konnte bislang aber keine Arbeit in dem Bereich finden. | |
## Parlament muss Kabinett noch bestätigen | |
Der Libanon steckt in der schwersten Politik- und Wirtschaftskrise seit dem | |
Ende des Bürgerkriegs vor dreißig Jahren. Die Staatsschulden betragen über | |
150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das libanesische Pfund hat auf dem | |
Schwarzmarkt stark an Wert eingebüßt. Viele Menschen haben ihre Jobs | |
verloren. | |
Jana Yousef, 22, würde gerne Kriminologie studieren und protestiert gegen | |
fehlende Bildungschancen. „Ich bin gezwungen, dieses Land zu verlassen, | |
weil wir kein gutes Bildungssystem haben.“ Yousef ist mit Hassan Diab nicht | |
zufrieden, weil er als Bildungsminister von 2011 bis 2014 nichts | |
Bedeutendes geleistet habe. „Er repräsentiert uns nicht. Die Leute, die ihn | |
in diese Position gebracht haben, sind die Leute, gegen die wir kämpfen.“ | |
Seit Beginn des Aufstands im Oktober fordern die Protestierenden eine von | |
den politischen Parteien unabhängige Regierung, die eine Neuwahl des | |
Parlaments vorbereitet. Dieses muss Diabs Kabinett noch in einem | |
Vertrauensvotum bestätigen. | |
Das Vertrauen der Straße genießt die neue Regierung jedenfalls nicht. Am | |
Dienstagabend versuchten Protestierende, den Stacheldrahtzaun und | |
Metallgitter zu durchbrechen, die das Parlament abschirmen. Einige hielten | |
sich mit der Hand ein Auge zu, um auf die Polizeigewalt aufmerksam zu | |
machen. Am Wochenende war es zu Ausschreitungen gekommen, bei denen die | |
Polizei mit Gummigeschossen direkt auf Protestierende zielte. | |
## Hisbollah und ihre Verbündeten | |
Über die sozialen Medien verbreitete sich der Hashtag „Regierung des | |
Versagens“. Besonders in den sunnitischen Regionen blockierten Menschen die | |
Straßen mit brennenden Reifen. Die neue Regierung wird als politisch | |
einseitig eingestuft. Diab wird von der schiitischen Hisbollah und ihren | |
Verbündeten gestützt, die der Führung im Nachbarland Syrien nahestehen. | |
Diese Allianz habe nun die Kabinettsposten besetzt, während sich ihre | |
Gegenspieler um den bisherigen sunnitischen Ministerpräsidenten Saad | |
al-Hariri nicht beteiligt hätten. | |
In einer Rede am Dienstagabend wehrte sich Diab gegen die Vorwürfe. Er | |
beteuerte, sein Kabinett bestehe aus parteilosen Spezialist*innen. Unter | |
ihnen sind einige Akteur*innen aus der zweiten Reihe. Der neue | |
Finanzminister Ghazi Wazni ist ein ehemaliger Berater des | |
Haushaltsausschusses des Parlaments sowie Berater des Parlamentssprechers. | |
Energieminister Raymond Ghajar war seit 1995 Berater des Ministeriums. Der | |
neue Wirtschaftsminister, Raoul Nehme, ist Geschäftsführer der Bank Med, an | |
der wiederum die Familie Hariris die größten Anteile hält. | |
22 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Julia Neumann | |
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