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# taz.de -- Neuer Regierungschef in Irland: Durchwurschteln bis zur Wahl
> Irland bekommt nach Leo Varadkars überraschendem Rücktritt einen neuen
> Premier. Die Regierung dürfte sich bis zur Wahl im neuen Jahr indes
> halten.
Bild: War erst seit 2022 wieder im Amt und wird sein Amt niederlegen: Leo Varad…
Dublin taz | Warum tritt er eigentlich zurück? Die [1][Ankündigung des
irischen Premierministers Leo Varadkar am Mittwochmittag], dass er sein Amt
niederlegen werde, hat viele überrascht. Selbst seine Minister und
Koalitionspartner wurden erst in letzter Minute informiert. Er ziehe sich
aus persönlichen und aus politischen Gründen zurück, sagte Varadkar, Sohn
einer Irin und eines Inders.
Sein Parteifreund Simon Harris gilt als Favorit auf die Nachfolge. Mehrere
Abgeordnete von Varadkars konservativer Fine Gael im irischen sowie im
Europaparlament sprachen sich am Donnerstag für den 37-Jährigen als neuen
Parteichef und damit künftigen Premierminister aus. Der amtierende Minister
für Hochschulen, Wissenschaft und Forschung hat seine Kandidatur bisher
aber nicht offiziell bekannt gegeben.
Die politischen Gründe für Varadkars Rücktritt liegen auf der Hand. Fine
Gael („Stamm der Gälen“) hat schon seit einiger Zeit Probleme. Der erhoffte
Aufschwung, nachdem Varadkar Ende 2022 erneut Taoiseach – so heißt der
Premier auf Irisch – wurde, ist nicht eingetreten. Die Umfragen sind schon
seit langem schlecht. Der Partei fehlt es nach drei Regierungsperioden an
Richtung und Dynamik.
Die Regierung hat das Wohnungsproblem nicht in den Griff bekommen. 68
Prozent der unter 35-Jährigen in Irland wohnen noch bei ihren Eltern, weil
die Mieten unkontrolliert steigen. Viele haben den Verdacht, dass das den
großen Parteien durchaus recht ist: Fast ein Drittel aller Abgeordneter
besitzt Immobilien, während die Obdachlosigkeit Rekordniveau erreicht hat.
Darüber hinaus verlassen die Ratten das sinkende Schiff: Ein Drittel der
Fine-Gael-Abgeordneten will bei den nächsten Wahlen nicht mehr antreten.
Was aber sind die persönlichen Gründe für den Rücktritt? Varadkar sagte,
dass die Arbeit in der Regierung „die erfüllteste Zeit“ seines Lebens
gewesen sei. Er sagte aber auch, dass er vielleicht zu schnell in der
Partei aufgestiegen und zu früh Premierminister geworden sei. Und er hatte
früher schon erklärt, dass er mit 50 nicht mehr in der Politik sein wolle.
Jetzt ist er 45.
Vor dem Referendum als schwul geoutet
Varadkar, der am Dubliner Trinity College Medizin studiert und danach als
Arzt am Krankenhaus von Blanchardstown in Dublin gearbeitet hat, wurde 2017
zum jüngsten Taoiseach der irischen Geschichte gewählt. Er war zudem der
erste offen schwule Premierminister. Er hatte sich im Januar 2015 an seinem
36. Geburtstag geoutet, damit man ihm vor dem erfolgreichen Referendum über
die gleichgeschlechtliche Ehe keine „versteckte Agenda“ unterstellen
konnte.
Nach der Parlamentswahl 2020 musste Fine Gael eine Koalition mit dem
Erzrivalen Fianna Fáil eingehen. Beide Parteien unterscheiden sich kaum in
ihrer konservativen Ausrichtung; die Rivalität hat vielmehr historische
Gründe: Die einen waren nach dem Unabhängigkeitskrieg 1922 für die Teilung
der Insel, die anderen dagegen. Beide Parteien haben Irland seitdem
abwechselnd regiert, zum Schluss mit Hilfe kleinerer Parteien. Eine große
Koalition hatte man fast hundert Jahre vermieden, bis es 2020 dann nicht
mehr anders ging. Man musste zudem noch die Grünen mit ins Boot holen.
Die Koalitionsvereinbarung von 2020 sah vor, dass Micheál Martin von Fianna
Fáil Taoiseach wurde, während Varadkar die Rolle des Stellvertreters
übernahm. In der Mitte der Legislaturperiode tauschte man die Rollen
vereinbarungsgemäß und Varadkar wurde 2022 erneut Premierminister.
Wie geht es weiter? Varadkar ist mit sofortiger Wirkung als
Parteivorsitzender zurückgetreten, führt aber die Amtsgeschäfte bis zur
Wahl seines Nachfolgers beim Parteitag am 6. April weiter.
Oppositionspolitiker von Sinn Féin, der sozialdemokratischen Partei sowie
der linken People Before Profit haben Neuwahlen gefordert, aber das werden
die Koalitionsparteien verhindern: Nicht nur Fine Gael steht bei Umfragen
schlecht da, sondern auch Fianna Fáil und die Grünen. Sinn Féin, der
ehemalige politische Flügel der inzwischen aufgelösten
[2][Irisch-Republikanischen Armee (IRA)], liegt mit großem Abstand vorne.
Letzter möglicher Termin für Parlamentswahl ist der 22. März 2025. Bis
dahin wird die Regierung versuchen, sich durchzuwurschteln.
20 Mar 2024
## LINKS
[1] /Irlands-Premier-tritt-zurueck/!5999488
[2] /Nachruf-Rose-Dugdale/!5999438
## AUTOREN
Ralf Sotscheck
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Irland
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