# taz.de -- Nackte Oberkörper: Zieht euch was an! | |
> Am Strand – okay. Aber im Supermarkt vor der Fleischtheke? Nackte | |
> männliche Oberkörper sind eine reine Machtdemonstration. | |
Bild: Das Können allein erzeugt noch keine Berechtigung, etwas auch zu tun | |
Es gibt zivilisatorische Errungenschaften, die sollten wir nicht einfach so | |
aufgeben. Völlig unverständlich ist es etwa, dass immer noch Menschen | |
mampfend durch die Gegend laufen, wo doch der Tisch oder tischartige Möbel | |
längst erfunden wurden, an denen man sich – am besten auch noch in | |
Gesellschaft – niederlassen kann, um sich in Ruhe zu stärken. | |
Genau diesem Problem haben wir uns schon vor Jahren am Beispiel des Wraps | |
gewidmet, also jenes massenhaft vor allem an Bahnhöfen oder anderen | |
Knotenpunkten unserer mobilen Gesellschaft ausliegenden Teigfladens mit | |
Füllung ([1][„Das obere Ende der Wickel“], taz vom 21. Januar 2012), den | |
sich die Gehetzten stopfend zuführen, und der, auch wenn er seine Vorbilder | |
scheinbar in vielen Esskulturen findet, was aber allein aus Marketingkalkül | |
behauptet wird, nur für diesen Zweck erfunden wurde. | |
Leider hatte unser Abgesang auf den Wrap damals keinen durchschlagenden | |
Erfolg, viel zu häufig wird er noch gekauft und verzehrt und | |
dementsprechend auch in großen Stückzahlen hergestellt. | |
Aber wir probieren es erneut und schreiben optimistisch gegen einen | |
weiteren Zivilisationsbruch an, der vor allem in den – hoffentlich bald | |
zurückliegenden – heißesten Wochen des Jahres zu beobachten ist: Männer, | |
die mit nacktem Oberkörper unterwegs sind, und zwar zum Teil weit außerhalb | |
des geschützten Raums ihrer Behausung, wo sie ja wirklich rumlaufen können, | |
wie sie wollen. | |
Es geht also um den Körper, allerdings wirklich nur ums Obenrum, denn fürs | |
Untenrum ist bekanntlich die Kollegin Margarete Stokowski in glänzender | |
Weise und unerreicht kompetent („Untenrum frei“, Reinbek bei Hamburg 2016). | |
## Obenrum frei am Strand? Noch nachvollziehbar | |
Und die alljährlich aufkommende Auseinandersetzung über die Frage, ob | |
Männer kurze Hose tragen dürfen/sollen oder nicht, verläuft ebenso | |
alljährlich dann auch wieder ungeklärt im sommerlichen Sande. Sie ist aber | |
auch viel weniger relevant, denn das nackte Obenrum steht für so ungleich | |
viel mehr; neben der Abkehr von einem mühsam errungenen zivilisatorischen | |
Fortschritt ja auch für eines der großen Themen unserer Zeit: die | |
Gleichberechtigung. | |
Wir alle haben es zuletzt sehr häufig miterleben müssen: Männer entledigen | |
sich ihrer Oberbekleidung, wenn sie sich in die Öffentlichkeit begeben. So | |
sieht man sie nicht nur im Kontext von Urlaub und Müßiggang etwa in | |
Strandnähe, was noch einigermaßen und mit viel gutem Willen nachvollziehbar | |
wäre, die Sache aber insgesamt nicht besser machen würde, sondern man | |
erlebt sie auch obenrum frei bei Verrichtung ihres Alltags. | |
Auf dem Weg zur Arbeit, beim Einkaufen, auf dem Rad, joggend, im Supermarkt | |
vor der Fleischtheke und nicht selten auch, wenn sie im Kreis von Freunden | |
und der Familie unterwegs sind. Da läuft dann ein Halbnackter umgeben von | |
den Seinen, sie sommerlich-leicht angezogen – aber eben: angezogen –, die | |
Kinder auch, weil sie sich so viel Rücksichtslosigkeit noch nicht trauen. | |
## Obenrum frei woanders? Schlicht unsolidarisch | |
Klar, es ist heiß, die Kleidung mag am Körper kleben, jeder möchte dagegen | |
etwas tun, aber nicht jede kann so agieren, wie es Männer können. Frauen, | |
die oben ohne außerhalb von Stränden und Badeseewiesen oder der | |
Nackertenwiese im Münchner Englischen Garten anzutreffen sind, könnten sich | |
viel weniger ungestört frei bewegen, sie würden begafft, Unholde würden ihr | |
Nacktsein als Einladung missverstehen, sie würden vor Gerichte gezerrt – | |
und dass, obwohl sie wahrscheinlich diejenige Gruppe von Menschen bilden, | |
die im Großen und Ganzen sich besser zu benehmen und den zivilisatorischen | |
Grundkonsens stärker zu beachten weiß. | |
Sich verhüllen, nicht sofort alles von sich preisgeben, den anderen ehren, | |
dem anderen gegenüber rücksichtsvoll auftreten, ihn nicht belästigen, und | |
mit Schönheit – die es ja auch gibt beim männlichen Körper – nicht protz… | |
sich vor Umwelteinflüssen schützen, das auch, aber das betrifft einen ja | |
nur selbst. Alles andere im Zusammenhang mit Nacktheit berührt den anderen, | |
und deshalb war es gut, dass der Mensch, nachdem er sein Fell abgelegt | |
hatte, sich gleich wieder etwas angezogen hat. | |
Männer, diese leider immer noch oft tumben Wesen, verlassen diesen Konsens, | |
sobald es mal unangenehm – zu warm – wird, und ziehen sich obenrum im | |
öffentlichen Raum aus, einfach weil sie es können. Und genau diese | |
Gesinnung, die reine Machtdemonstration ist, tragen sie vor sich her, und | |
dabei ist es ihnen offenbar egal, dass manch einen vom Hängebauchschwein | |
nur noch der aufrechte Gang unterscheidet, und andere ob ihrer | |
Körperbemalung von einer schmuddelig und schon lange nicht mehr frisch | |
beklebten Litfaßsäule allein die Tatsache, dass sie nicht nur immer an | |
einer Stelle stehen. Weitere körperliche Unschönheiten, die Männer auf | |
diese Weise präsentieren, lassen wir pietätvoll beiseite. | |
Ob sie es können oder nicht, ob sie meinen, es zu können oder nicht, sie | |
sollten es lassen. Weil das Können allein noch keine Berechtigung erzeugt, | |
etwas auch zu tun, und weil an heißen Tagen ein solidarischer Akt gegenüber | |
all denen, die ebenfalls gern luftiger unterwegs wären, es aber niemals | |
wagen dürften, ein feiner Zug wäre. | |
17 Aug 2018 | |
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## AUTOREN | |
Felix Zimmermann | |
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