# taz.de -- Miniermotten-Schäden in Berlin: Die Hoffnung welkt zuletzt | |
> Dieses Jahr sehen die Berliner Kastanien besonders traurig aus. Das liegt | |
> an besonderen Umweltbedigungen für die gefräßige Miniermotte. | |
Bild: Jämmerlich: Das Kastanienlaub war berlinweit schon Mitte September abgef… | |
Berlin taz | Der Herbst ist da – seit dem 1. September für die | |
Meteorologen, seit dem 22. auch laut Kalender. Trotzdem lassen sich die | |
meisten Berliner Bäume mit der jahreszeittypischen Farbwechsel noch Zeit. | |
Eine Ausnahme aber gibt es, und sie fällt dieses Jahr besonders schmerzlich | |
ins Auge: Die weißblühenden Rosskastanien haben ihr Laub schon größtenteils | |
abgeworfen, und was noch an den Bäumen hängt, ist völlig vertrocknet. | |
Besonders dramatisch sieht es dort aus, wo ganze Straßen von Kastanien | |
gesäumt sind. Auf dem Mittelstreifen der Levetzowstraße in Moabit etwa | |
scheint die Sonne durch Dutzende braune, halb kahle Baumkronen, während | |
Ahorne oder Linden noch dicht und grün danebenstehen. Ähnlich sieht es am | |
Landwehrkanal in Tiergarten oder in der Pankower Heinrich-Mann-Straße aus. | |
Die wenigen stacheligen Früchte, die in den Zweigen hängen, sind nicht | |
prall und grün, sondern kümmerlich und gelb. | |
Wer daran schuld ist, hat sich längst herumgesprochen: die | |
Rosskastanien-Miniermotte, ein winziger, kurzlebiger Schmetterling, dessen | |
Larven sich in die Blätter fressen und den Wassertransport in deren Adern | |
unterbrechen. [1][Seit Ende der neunziger Jahre breitet sich der Schädling | |
in Berlin aus] – eine Kastanie, die nicht befallen wäre, hat schon lange | |
niemand mehr zu Gesicht bekommen. Nur: Dieses Jahr scheinen die Schäden | |
besonders heftig zu sein. Wieso ist das so? Hat sich die Mottenpopulation | |
noch einmal vervielfacht? | |
Der Stadtnatur-Experte der Senatsverwaltung für Umwelt, Derk Ehlert, | |
bestätigt die Beobachtung: „Es sieht wirklich schlimm aus dieses Jahr.“ | |
Dass das an einem erhöhten Aufkommen von Cameraria ohridella liegt, kann er | |
aber ausschließen. Das Berliner Pflanzenschutzamt, das das Aufkommen der | |
Miniermotte routinemäßig untersucht, habe in seinen Fallen nicht mehr | |
Exemplare als sonst gefangen. Es habe auch keine zusätzliche Generation | |
gegeben. Die Miniermotten schaffen es unter Berliner Bedingungen, zwei- bis | |
dreimal pro Jahr den Zyklus vom Schlüpfen der Motten bis zur Eiablage zu | |
durchlaufen – daran hat sich nichts geändert. | |
## Drei Wochen früher als sonst | |
„Der Unterschied liegt darin, dass die Motten dieses Jahr früher angefangen | |
haben, sich zu vermehren“, erklärt Ehlert. „Dadurch, dass es schon Ende | |
März und Anfang April sehr warm war, konnten sie drei Wochen früher | |
loslegen als sonst.“ Entsprechend früher seien die Schäden aufgetreten und | |
hätten schon Ende August für ein vollständiges Schadbild gesorgt. Der | |
Kontrast zu anderen Baumarten ist dadurch diesmal besonders augenfällig. | |
Eine zusätzliche Mottengeneration könne es sowieso nur geben, wenn das | |
Nahrungsangebot größer sei, sagt Ehlert. Das kann aber nicht eintreten, | |
weil die Bäume schon mit der dritten Generation beginnen, ihre stark | |
geschädigten Blätter abzuwerfen. Mit ihnen fallen die Cameraria-Puppen zu | |
Boden, die dort überwintern, und aus denen im folgenden Frühjahr die ersten | |
Falter schlüpfen. Die Kastanien überleben den Befall, sind aber in ihrem | |
Wachstum eingeschränkt und dadurch auch anfälliger für andere äußere | |
Einflüsse wie Trockenheit und Pilze oder Bakterien. | |
Rund 23.000 weißblühende Rosskastanien stehen in Berlin an Straßen, in | |
Grünanlagen oder auf städtischen Friedhöfen, hinzu kommt eine nicht | |
erfasste Anzahl von Bäumen auf privaten Grundstücken, in den Forsten sowie | |
in Parks oder Friedhöfen, die nicht vom Land Berlin betrieben werden. Der | |
Anteil an der Gesamtheit der Stadtbäume ist klein – von denen, die gezählt | |
werden, beträgt er weniger als 3 Prozent –, aber immerhin handelt es sich | |
um einen beliebten und auffälligen Schmuckbaum, der längst zu Berlin | |
gehört. | |
Tatsächlich gibt es Rosskastanien in Mitteleuropa erst seit dem 16. | |
Jahrhundert, vorher wuchsen sie ausschließlich in kleinen | |
Verbreitungsgebieten im Balkan. Dort, am Ohridsee auf der Grenze zwischen | |
Nordmazedonien und Albanien, wurde in den 1980er Jahren auch erstmals ein | |
Massenbefall durch Cameraria ohridella dokumentiert – der Ort ist im | |
wissenschaftlichen Namen der Art verewigt. Es dürfte mit den Veränderungen | |
des Klimas zu tun haben, dass der Schädling sich seit den Neunzigern rasant | |
in Europa ausbreitet: Denn Wärme tut den Motten gut. | |
Die Senatsumweltverwaltung, das Berlin Pflanzenschutzamt und andere Stellen | |
[2][empfehlen seit Jahren, zur Eindämmung des Miniermottenbefalls das | |
abgefallene Laub unter den Bäumen zu entfernen], um den | |
Fortpflanzungszyklus der Insekten zumindest stellenweise zu unterbrechen. | |
Das funktioniere auch, sagt Derk Ehlert, besonders gut sehe man es an | |
Bäumen an isolierten Standorten, etwa in Hinterhöfen: „Wenn dort das Laub | |
gründlich beseitigt wird, können wir bei diesen Exemplaren einen mittleren | |
Schadzustand beobachten, wenn die anderen Kastanien schon zu 80 Prozent | |
geschädigt sind.“ | |
## Praktisch nicht auszurotten | |
Aber nur rein theoretisch, quasi „unter Laborbedingungen“ so Ehlert, ließe | |
sich das Schlüpfen der ersten Generation weitgehend verhindern. Dazu müsste | |
man aber stadtweit nicht nur das Altlaub entfernen, sondern auch den Boden | |
rund um die Bäume austauschen – und selbst dann könnten einzelne Larven in | |
den Knospen oder der Rinde überwintern. Das das nicht funktioniert, liegt | |
auf der Hand. Mehr als Krisenmanagement ist also nicht drin. | |
Aktuell empfiehlt das Pflanzenschutzamt die Neupflanzung „nur in | |
Ausnahmefällen“, und viele Bezirke setzen mittlerweile nur noch auf die | |
rotblühende Rosskastanie, die von der Miniermotte in Ruhe gelassen wird. | |
Ehlert will aber keinesfalls auf die prächtigen weißblühenden Kastanien | |
verzichten: „Das ist eine ganz tolle Kulturpflanze.“ | |
Tatsächlich gibt es auch Hoffnung. Denn es ist nicht so, dass die | |
Miniermotte keinerlei natürliche Feinde hätte, wie oft behauptet wird. | |
Ehlert zufolge werden die gefräßigen Miniaturschmetterlinge durchaus von | |
anderen Tieren verspeist, zum Beispiel von einigen Wildbienenarten oder | |
Blau- und Kohlmeisen. Lasse man mehr Natur in der Stadt zu und verbiete den | |
Einsatz von Bioziden, hätten diese Arten bessere Chancen und könnten die | |
Motten dezimieren. | |
Es gibt auch noch kleinere Lebewesen als die Miniermotte, die ihr auf Dauer | |
das Leben schwer machen können, Parasiten wie Schlupfwespen etwa. Aber auch | |
die müssen sich erst auf neue Wirtstiere einstellen, die – in evolutionären | |
Zeiträumen gedacht – erst vor einem Wimpernschlag ein neues | |
Verbreitungsgebiet erobert haben. Für Berlin verloren ist die weißblühende | |
Rosskastanie also noch nicht. | |
29 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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