# taz.de -- Mikrokredite in Kambodscha: „Das schafft Armut“ | |
> Mikrokredite sollen Menschen unterstützen, die keine Chance auf ein | |
> Darlehen haben. In Kambodscha bewirken sie oft nur Verschuldung. | |
Bild: Kambodschanische Banknoten in der Hand einer Mikro-Kreditnehmerin | |
BERLIN taz | „In meiner Gemeinde sind Schulden das größte Problem. Sie | |
wachsen und wachsen bis manche ihr Land verkaufen müssen“, [1][sagt | |
Community Organizer Om Somoul] in einem Video auf der Webseite von | |
Equitable Cambodia. | |
Die kambodschanische Nichtregierungsorganisation setzt sich für | |
Landrechte und gegen Landraub ein. Seit einigen Jahren kritisiert sie die | |
hohe Überschuldung von Einwohnern durch Mikrokredite. Dabei handelt es sich | |
am Anfang meist um kleine Darlehen von umgerechnet ein paar Hundert bis | |
Tausend Euro an Privatpersonen. | |
Die hohe Anzahl an verschuldeten Kreditnehmer:innen, die die | |
Rückzahlungen nicht leisten können, führe „in einer nicht akzeptablen Zahl | |
von Fällen zu der Notwendigkeit für die Schuldner:innen, Land verkaufen zu | |
müssen“, bestätigt nun eine [2][aktuelle Studie] der Universität | |
Duisburg-Essen mit Förderung durch das Bundesministerium für | |
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). | |
Neben Land verkaufen die Schuldner:innen auch andere Güter, die sie zum | |
Erwerb benötigen, wie Fahrzeuge. Einige reduzieren ihre Nahrungsmittel, „in | |
seltenen Fällen“ komme es zu Kinderarbeit oder forcierter Arbeitsmigration, | |
so die Studie. | |
## „50.000 Landtitel wurden in 5 Jahren privatisiert“ | |
Somoul beschreibt im Video, wie das passiert: Viele verschulden sich, um | |
ihre Rückzahlungen anderer Kredite zu begleichen. Pandemie, | |
Wirtschaftskrise und Arbeitsverlust haben Probleme verschärft, sagt die | |
Aktivistin aus der Provinz Pailin im Westen Kambodschas. „In den letzten 5 | |
Jahren wurden 50.000 Landtitel privatisiert. Die Situation war schon vor | |
Covid schlimm, aber die Pandemie hat es noch schwieriger gemacht“, sagt der | |
Geschäftsführer von Equitable Cambodia, Eang Vuthy, der taz. | |
Eigentlich sollten Mikrokredite Armut verringern. Sie sind Teil der | |
deutschen entwicklungspolitischen Strategie. Ziel ist es, Menschen, die | |
sonst keinen Zugang zu Krediten hätten, Mittel zur Verfügung zu stellen, um | |
Investitionen zu ermöglichen, etwa in ihren Landwirtschaftsbetrieb. | |
Heute sind viele Mikrofinanzinstitute jedoch eng mit ausländischen Banken, | |
Investmentfirmen und westlichen Entwicklungsagenturen verbunden, die | |
erhebliche Gewinne mit ihnen machen, schreibt die | |
Menschenrechtsorganisation FIAN in [3][einer Untersuchung] zur Problematik | |
im Februar. Demnach beliefen sich die Gewinne im Jahr 2017 auf 130 | |
Millionen US-Dollar. Und auch im Jahr 2020, als die Covid-19-Pandemie | |
ausbrach, waren es „nach Angaben der Nationalbank von Kambodscha sogar 453 | |
Millionen US-Dollar“. Die Berechnung umfasste 81 Kreditinstitute. Banken, | |
die ebenfalls im Mikrofinanzsektor tätig sind, werden nicht berücksichtigt. | |
## Bundesregierung kennt das Problem | |
Aus Deutschland kommt das Geld für den Finanzsektor unter anderem von der | |
staatlichen Deutschen Entwicklungs- und Investitionsgesellschaft (DEG) in | |
Höhe von rund 60 Millionen Euro. Es geht an zwei Geschäftsbanken, die | |
Kredite an kleine und mittlere Unternehmen vergeben. Zusätzlich gibt es | |
regionale Mikrofinanzprogramme der KfW Entwicklungsbank. „Die | |
Entwicklungsbanken und Mikrofinanzfonds haben ihre menschenrechtlichen | |
Sorgfaltspflichten in Kambodscha zweifelsohne missachtet“, sagt Mathias | |
Pfeifer, Referent bei FIAN. „Die Bundesregierung und andere Geber wissen | |
seit mindestens 2017 um die gravierende Überschuldung in Kambodscha. Sie | |
haben aber so gut wie nichts unternommen, um das Problem anzugehen, und | |
pumpen bis heute Millionen von Euro in den Sektor“. | |
Bereits 2017 hatte das BMZ eine Studie in Auftrag gegeben, die eine | |
ernsthafte Gefährdung für einkommensschwache Kreditnehmer durch | |
Überschuldung und damit einhergehenden Verlust von Landtiteln feststellte. | |
In der Konsequenz deckelte die kambodschanische Nationalbank 2017 die | |
Zinsobergrenze auf 18 Prozent. | |
Das BMZ habe seit 2018 keine Neuzusagen im Mikrofinanzsektor in Kambodscha | |
mehr vorgenommen und unterstütze keine neuen multilateralen Engagements in | |
diesem Bereich, sagte ein Sprecher gegenüber der taz. Die aktuelle Studie | |
werde als Grundlage für den weiteren Dialog mit dem kambodschanischen | |
Partner dienen. „Im Oktober werden in Phnom Penh Regierungskonsultationen | |
zur bilateralen Entwicklungszusammenarbeit durchgeführt. Die Situation des | |
Mikrofinanzsektors im Land wird dabei auf der Tagesordnung stehen“ und | |
„Reformansätze“ sollen besprochen werden. | |
## Landtitel sollten nicht an Kreditvergabe gekoppelt sein | |
Die aktuelle Studie empfiehlt unter anderem einen Schuldenerlass für arme | |
Kreditnehmer:innen und die Entkoppelung von Landtiteln von der | |
Kreditvergabe sowie sorgfältigere Vergabeverfahren. | |
Die Regierung in Kambodscha wies die Kritik der NGOs in einer | |
Pressemitteilung vom Dienstag zurück. Vuthy überrascht das nicht. „Unsere | |
Regierung ignoriert das Problem. Wir werden nicht zu Gesprächen mit den | |
Kreditinstituten geladen und wurden sogar unter Druck gesetzt, unsere | |
Befunde zu ändern“, empört er sich. | |
Zu den Privatinvestoren gehören ethische Banken wie Oikocredit, Triodos | |
Bank, Invest in Visions, Vision Microfinance, die Bank im Bistum Essen und | |
die GLS Bank. Viele von ihnen haben Gespräche zur Problematik mit | |
kambodschanischen Mikrofinanzinstituten gesucht und sind laut Sprecher der | |
Banken auch im Austausch untereinander. Sie beteuern die Problematik zu | |
sehen, aber konnten sie in Bezug auf ihre Partner nicht bestätigen. | |
Somul bringt die Stimmung der überschuldeten Kreditnehmer:innen in | |
Kambodscha auf den Punkt: „Die Politik der Banken ist es, die Armut zu | |
verringern, aber wenn wir sie um Hilfe bitten und sie nicht einverstanden | |
sind, verringert das nicht die Armut, sondern schafft Armut.“ | |
21 Sep 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=w3_JK7zNhpQ&t=4s | |
[2] https://www.uni-due.de/imperia/md/content/inef/bliss_2022_mikro_finanzierun… | |
[3] https://www.fian.de/wp-content/uploads/2022/02/FIAN-Ueberschuldungsstudie-S… | |
## AUTOREN | |
Leila van Rinsum | |
## TAGS | |
Mikrokredit | |
Entwicklungspolitik | |
Verschuldung | |
Mikrokredite | |
Kambodscha | |
Mikrokredit | |
Mikrokredite | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Verschuldung durch Mikrokredite: „Entschädigung ist unser Ziel“ | |
Der Investor Oikocredit investiert in Mikrofinanzinstitute in Kambodscha, | |
die Armut verschärfen. NGOs reichen OECD-Beschwerde ein. | |
Gefährliche Müllentsorgung in Kambodscha: Marken-Pulli im Brennofen verfeuert | |
In Kambodscha landen Reste aus Textilfabriken in Ziegelöfen. Greenpeace hat | |
Beweise gesammelt und kritisiert die Unternehmen Nike, Reebok, Next und | |
andere. | |
Mikrokredite für Frauen: Hilfe oder Henkerstrick? | |
Mikrokredite bieten Frauen einen Weg aus Abhängigkeit und Armut, heißt es. | |
In Bolivien aber gilt das längst nicht für alle. | |
Finanzierung von Projekten für Arme: Ohne Zinsen keine Mikrokredite | |
Mit niedrigen Kreditsummen hilft Oikocredit Menschen im globalen Süden. | |
Doch das Geschäft wird wegen der Niedrigzinsen schwierig. |