# taz.de -- Michi Beck über HipHop und Schwabenhass: „Ich bin kein Berliner�… | |
> „Turntablerocker“-DJ und Fanta-Vier-Rapper Michi Beck über | |
> Erwachsenwerden im Clubleben, Schwabenhass und die HipHop-Szenen von | |
> Stuttgart und Berlin. | |
Bild: „Die Berliner hatten immer Baseball-Schläger dabei.“ | |
taz: Herr Beck, wann waren Sie das letzte Mal tanzen? | |
Michi Beck: Mal überlegen. Dieses Jahr noch nicht. Ich glaube, letzten | |
Dezember, als ich mit den Fantastischen Vier auf Tour war. Ich muss | |
zugeben: Ich gehe nicht mehr regelmäßig in Clubs. | |
Sie legen häufiger auf, als Sie selber tanzen? | |
Ja, mittlerweile. Spätestens seit der Geburt meiner Tochter vor vier | |
Jahren. Früher war das viel einfacher, in Berlin eben mal auszugehen, aber | |
da konnte ich am nächsten Tag auch noch ausschlafen. Das könnte ich | |
natürlich immer noch, wenn ich als DJ in anderen Städten unterwegs bin – | |
würde ich nicht an seniler Bettflucht leiden. Anfang vierzig sein und Kind | |
haben, das bremst die Motivation, sich ins Nachtleben zu stürzen, schon | |
ungemein. | |
Es scheint sowieso so zu sein, dass DJs selber Tanzmuffel sind. | |
Da haben Sie mich erwischt. Ich gebe es zu: Selbst als ich noch oft in | |
Clubs gegangen bin, hab ich dort oft nicht getanzt. Ich stehe eher an der | |
Bar und wippe. | |
Warum tanzen DJs nicht? | |
Ich weiß es nicht. Wenn ich auflege und hinterm DJ-Pult stehe, da tanze ich | |
ja. Das ist echt merkwürdig. Wahrscheinlich ist man anders konditioniert, | |
man ist vielleicht zu kritisch. Der DJ muss schon richtig gut sein, damit | |
ich tanze. Aber ich war noch nie jemand, der eine ganze Nacht durchtanzen | |
konnte. | |
Haben Sie die falschen Drogen genommen? | |
Eher zu wenig Drogen. | |
Mit 44 Jahren versuchen Sie und Ihr Partner Thomilla als Turntablerocker | |
immer noch, andere Menschen zum Tanzen zu bringen. Hält man das denn ohne | |
Drogen aus? | |
Der Beruf Disc-Jockey hat generell was Absurdes. Die Berufsjugendlichkeit | |
impliziert schon der Beruf. Aber man rutscht da so rein: Wir haben einfach | |
nicht aufgehört aufzulegen. Das ist das, was wir können, was uns Spaß | |
macht. Solange wir gefragt werden, gehen wir jedes zweite Wochenende los | |
und bringen die Leute zum Tanzen. | |
Warum nur jedes zweite? | |
Ich werde bald zum zweiten Mal Vater, ich will auch mal ein Wochenende zu | |
Hause sein. Thomilla hat keine Kinder, wenn es nach dem ginge, könnten wir | |
noch öfter auflegen. Mittlerweile gibt es aber immer mehr DJs, die Kinder | |
haben. Man ist da kein Exot mehr. Und was ich beobachtet habe: Die treten | |
dann alle etwas kürzer. Aber auch die Clubgänger werden ja immer älter, die | |
sind heutzutage längst nicht mehr alle Anfang zwanzig. | |
Ist das neue Turntablerocker-Album „Einszwei“ eine Club-Platte für diese | |
ältere Zielgruppe? | |
Wenn es so aufgefasst werden sollte, dann finde ich das gut. Denn natürlich | |
ist das ein Thema, natürlich reden Thomilla und ich darüber, wie lange wir | |
das noch machen können und wollen. Das wird wahrscheinlich nicht mehr | |
werden mit dem Auflegen, wenn ich bald zwei Kinder habe. Das alles schwingt | |
auch mit auf der Platte, logisch. Aber das war nicht unser Ziel. Wir sind | |
nicht ins Studio gegangen mit der Vorgabe, eine Club-Platte für Erwachsene | |
zu machen. Was soll das denn überhaupt sein, erwachsene Club-Musik? Tanzen | |
ist und bleibt Tanzen, mit 18 Jahren genauso wie mit 44. | |
Wenn man tanzt. | |
Ja, wenn man denn tanzt. (lacht) | |
Sie sind aber nicht nur DJ und Nichttänzer, sondern bekanntlich auch Rapper | |
bei den Fantastischen Vier – und damit Experte für diese Frage: Ist Berlin | |
eine Techno- oder eine HipHop-Stadt? | |
Ganz eindeutig eine Techno-Stadt. Historisch ist Berlin vor allem vom Punk | |
und New Wave der 80er Jahre geprägt, und die mündeten in Techno. Ich bin | |
dagegen in Süddeutschland aufgewachsen und von der Black Music geprägt, die | |
in den Clubs gespielt wurde, in die die US-Soldaten gingen. Das war das | |
einzige, was in Stuttgart damals cool war. In Stuttgart gab es keine | |
Musikszene, da mussten wir uns eine eigene Musikszene erfinden. Die Fanta | |
Vier hätte es in Berlin nie gegeben, denn wenn du in Berlin anders sein | |
wolltest, dann bist du eben in der Kreuzberger Hausbesetzer- oder | |
Punk-Szene gelandet, aber bestimmt nicht in einem GI-Club in Dahlem. | |
Da werden ein paar Berliner Gangster-Rapper aber ganz anderer Meinung sein. | |
O Scheiße, jetzt kriege ich bestimmt auf die Fresse. (Gelächter) Gut, dann | |
sagen wir es so: Berlin ist das L. A. von Deutschland und Stuttgart dafür | |
New York. (Großes Gelächter) Aber so falsch ist es nicht: Berlin kam – wie | |
Los Angeles – später auf die HipHop-Landkarte, dafür gleich mit | |
Gangster-Rap. Ich kann mich noch an die Jams erinnern, auf denen wir unsere | |
ersten Gehversuche mit Rap machten, da hieß es schon immer: Scheiße, die | |
Berliner kommen. Die hatten immer Baseball-Schläger dabei. | |
Und Ihre DJ-Erfahrungen mit der Techno-Stadt Berlin? | |
Mitte der Neunziger, als ich noch nicht in Berlin wohnte, habe ich mal im | |
E-Werk aufgelegt … | |
… dem legendären, 1997 geschlossenen Techno-Club … | |
… da habe ich unten im Keller HipHop aufgelegt – vor drei Leuten. Oben, auf | |
dem großen Floor, waren ungefähr 3.000. Spätestens da habe ich bemerkt, | |
dass Berlin keine HipHop-Stadt ist. | |
Haben Sie jemals im Berghain aufgelegt? | |
Nein, für die sind wir doch nur dumme Kommerzschweine. | |
Aber wenigstens als Gast waren Sie doch im berühmtesten Club der Welt? | |
Ja, aber nur drei, vier Mal – und nur durchgegangen, um in die Panoramabar | |
zu kommen. Wir sind eher ins Weekend oder ins Watergate gegangen. Das | |
Berghain war mir wohl zu radikal. | |
Aber Hand aufs Herz: Als DJ hätte man schon mal ganz gern im berühmtesten | |
Club der Welt aufgelegt, oder? | |
Ja, natürlich, schon weil es das verballertste und damit auch dankbarste | |
Publikum in Berghain und Panoramabar gibt. Ich stell mir das schon toll | |
vor, wenn man da auflegt und dann geht morgens in den Fenstern der | |
Panoramabar die Sonne auf. Aber das war von Anfang an klar, dass wir von | |
denen nicht gefragt werden würden. Und wir haben auch nie angefragt, ob wir | |
da spielen dürfen. Turntablerocker passen einfach nicht ins Berghain. | |
Das Berghain boomt weiter, andere Clubs verschwinden. Welchen verstorbenen | |
Club vermissen Sie persönlich? | |
Ehrlich gesagt: keinen. Weil es immer weitergeht. Klar ist es traurig, wenn | |
ein Laden zumacht, in den man gern gegangen ist. Aber noch trauriger ist | |
es, dass es nicht dasselbe ist, wenn der Laden an einem anderen Ort wieder | |
aufmacht. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass man selber älter | |
geworden ist und früher eh alles besser war. Meine Erfahrung ist | |
jedenfalls: Die Clubs, in die ich gegangen bin, haben meist genau dann | |
zugemacht, wenn ich wahrscheinlich nicht mehr hingegangen wäre. | |
Aber ist das Clubsterben nicht gefährlich für Berlin? | |
Gibt es wirklich ein Clubsterben? Das eine stirbt, um Platz zu machen für | |
Neues. Das ist ein Wandel. Die junge Club-Szene ist einfach weitergezogen, | |
die ist jetzt in Kreuzberg oder noch weiter draußen. Die Jungen bauen sich | |
was Eigenes auf. Diese Entwicklung geht immer weiter, während es noch genug | |
etablierte Clubs gibt für die internationalen Rave-Touristen. Berlin hat | |
genug Platz für beides. | |
Wird Berlin in zehn Jahren noch die Welt-Party-Metropole sein? | |
Ich glaube schon, das Berlin die Party-Hauptstadt Deutschlands bleibt. Ob | |
die Stadt auch für den Rest der Welt ihre Anziehungskraft behalten wird? | |
Das Potenzial ist sicherlich da, aber das hängt von zu vielen Faktoren ab, | |
das kann man nicht sagen. Aber was man sagen kann: Die Party wird dann | |
wahrscheinlich nicht mehr in Prenzlauer Berg stattfinden. | |
Wo denn, in Lichtenberg? | |
Warum nicht? Und vielleicht hat es Lichtenberg ja auch mal verdient. | |
Für diese Entwicklung in Prenzlauer Berg wird vor allem eine bestimmte | |
Gruppe verantwortlich gemacht. Ist Ihnen schon die Parole „Schwaben raus!“ | |
begegnet? | |
Klar, ständig. Auf Häuserwänden als Graffiti und Aufkleber. Inzwischen | |
wohne ich zwar am Rand von Prenzlauer Berg, Richtung Friedrichshain. Aber | |
früher habe ich direkt im Epizentrum dieses Konflikts gelebt, im | |
Kollwitzkiez. | |
Fühlen Sie sich angesprochen von solchen Graffiti? | |
Natürlich fühlt man sich da angesprochen als Schwabe. Das ist beleidigend | |
und tut weh. Aber mir ist schon klar, dass damit nicht nur die Schwaben | |
gemeint sind. Die Schwaben sind nur am auffälligsten, weil sie sich am | |
wenigsten verstecken können, weil sie ihr schwäbisches Timbre auch nach | |
Jahren nicht loswerden. Schon in den Achtzigern war Kreuzberg die größte | |
schwäbische Exklave außerhalb von Baden-Württemberg, da gab es schon | |
Schwabenhass. Anscheinend neigt der Schwabe zum Masochismus, denn er ist | |
schon immer gern hergekommen. | |
Nur um sich beschimpfen zu lassen. | |
Ich weiß auch nicht, ob die, die da schimpfen, tatsächlich alle Ostberliner | |
sind, die aus dem Bezirk verdrängt wurden. Oder ob da nicht auch der ein | |
oder andere Punk aus Wolfsburg dabei ist, der „Schwaben raus“ an die Wand | |
schmiert. Aber der sogenannte Schwabenhass richtet sich ja auch gar nicht | |
ausdrücklich gegen Schwaben. Der Schwabe ist nur zu einem Symbol für die | |
Gentrifizierung geworden. | |
Ob Schwabe oder nicht, Sie würden ins Schema passen: Bald zwei Kinder, | |
genug Geld für eine Eigentumswohnung. | |
Ja, ich weiß, ich bin schuld. | |
Und Sie fahren einen Lexus. Wird der regelmäßig zerkratzt? | |
Gar nicht mal so häufig, wenn man bedenkt, dass ich immer noch mit | |
Stuttgarter Kennzeichen herumfahre. Aber ich bessere die Kratzer schon | |
lange nicht mehr aus, das wäre sinnlos. | |
Können Sie die Leute verstehen, die Ihr Auto zerkratzen? | |
Nein, das ist doch nur Neid. Sozialneid gibt es in jeder Stadt, auch in | |
Stuttgart. Aber hier ist Sozialneid anscheinend schick geworden. Natürlich | |
ist Gentrifizierung in großem Stil ein schwieriges Thema. Aber eigentlich | |
gibt es Gentrifizierung in jeder Stadt, auch in Stuttgart und in anderen | |
westdeutschen Städten haben sich zentral gelegene Viertel sehr verändert. | |
Ich glaube aber, jeder ist seines Glückes Schmied. Ich stamme auch nicht | |
aus einer reichen Familie, mein Bruder hat heute noch nicht viel Geld. Und | |
es tut mir auch leid, dass es nicht bei jedem gut laufen kann, aber das ist | |
halt so. Ich hatte Glück und verdiene gut mit der Musik, aber ich sehe | |
nicht ein, deshalb gleich in den Grunewald ziehen zu müssen. | |
Müssen Sie ja nicht, Prenzlauer Berg ist mittlerweile doch extrem | |
kindgerecht. | |
Stimmt nicht. Prenzlauer Berg ist total beschissen mit Kindern. Nirgendwo | |
auf der Welt bist du wegen Kindern so geächtet. Du wirst schräg angeguckt, | |
es fehlt nicht mehr viel, und du wirst angespuckt. Wenn du mit dem | |
Kinderwagen kommst, wird dir garantiert kein Platz gemacht. Der einzige | |
Vorteil ist, dass du viele Gleichgesinnte triffst und nicht allein auf dem | |
Spielplatz rumsitzen musst. Aber dafür gibt es so viele Gleichgesinnte, | |
dass du am Kollwitzplatz an der Schaukel eine Stunde lang anstehen musst, | |
bis das Kind drankommt. Das Klischee stimmt nicht: Prenzlauer Berg ist gar | |
nicht so toll für Kinder. Deshalb sind wir auch da weggezogen. Und jedem, | |
der überlegt, aus Stuttgart oder Heidelberg hierherzuziehen, um eine schöne | |
Zeit mit seinem Kind zu haben, würde ich eher davon abraten. | |
Könnten Sie sich auch vorstellen, Ihre Kinder in Stuttgart großzuziehen? | |
Ja, kann ich problemlos. Ich bin kein Berliner und ich werde wohl nie | |
richtig einer werden. Ich weiß nicht, ob ich hier alt werden könnte. Ich | |
bin aus beruflichen Gründen hergezogen. Wir sind mit unserer Plattenfirma | |
Four Music damals nach Berlin gekommen, weil man ein Label dieser Größe in | |
Stuttgart nicht führen kann. Und ich bin hier auch gut empfangen worden, | |
habe mittlerweile viel mehr Freunde als in Stuttgart. Aber dass ich bis an | |
mein Lebensende in Berlin bleiben werde, das glaube ich nicht. | |
Warum nicht? | |
Es ist mir zu anstrengend hier. Hier wird mir zu viel Hype gemacht um | |
alles. Es ist mir zu kalt im Winter. Wenn ich alt werde, würde ich mir, | |
glaube ich, einen menschlich und geografisch wärmeren Ort zum Leben | |
wünschen. Und außerdem nervt es mich, solche Diskussionen über Schwabenhass | |
führen zu müssen. Ich habe immer abgelehnt zu dem Thema Interviews zu | |
geben, aber irgendwann muss man sich dem wohl mal stellen. | |
Werden solche Diskussionen in Stuttgart nicht geführt? | |
Doch, in Stuttgart macht man sich ja sogar noch mehr ins Hemd wegen dem | |
Schwabenhass als hier. Wenn ich mal nach Hause komme, legt mir meine Mutter | |
die Artikel aus der Stuttgarter Zeitung raus. Das ist jedes Mal ein dicker | |
Stapel. Meine Mutter kriegt langsam Angst um mich und ihre Enkelkinder. | |
25 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
## TAGS | |
Schwaben | |
Berlin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Mein Wahlkampftagebuch (2): Das Spätzla-Klischee | |
Ressentiments gegen Schwaben sind reaktionär. In manchen Fällen sind sie | |
eine knallharte Umwandlung von Neid auf Erfolg und gutes Leben. | |
Stadtsoziologe Holm über Berlin: „Schwabenhass ist ein Phantom“ | |
Der Stadtsoziologe Andrej Holm über ein Thema, das sich verselbstständigt | |
hat. Es überlappe dabei die Diskussion über steigende Mieten und | |
Verlustgefühle. | |
Das Debütalbum von Pandarapper Cro: Runternudeln | |
Klingt wie das kostspielige Demotape eines gelangweilten Abiturienten: | |
„Raop“ von Cro ist ein HipHop-Album für Leute, die von HipHop nichts | |
verstehen. | |
Interkultureller HipHop-Austausch: „Come on Schnitzel, don't be shy!“ | |
Jugendliche aus New York und Paris treffen in Berlin Gleichgesinnte aus der | |
HipHop-Community. Die Musik ist oft künstlerischer Ausweg aus Gewalt, | |
Drogen und Kriminalität. |