# taz.de -- Interkultureller HipHop-Austausch: „Come on Schnitzel, don't be s… | |
> Jugendliche aus New York und Paris treffen in Berlin Gleichgesinnte aus | |
> der HipHop-Community. Die Musik ist oft künstlerischer Ausweg aus Gewalt, | |
> Drogen und Kriminalität. | |
Bild: „I met this girl / She said I’m from Berlin / I said: Du hast ein sch… | |
BERLIN taz | Eine andächtige Stille herrscht an diesem Mittwochabend im | |
Berliner „HipHop-Stützpunkt“. Das Haus in Prenzlauer Berg ist ein | |
regelmäßiger Treff für alle Kreativen der Szene, von MCs, DJs bis hin zu | |
Graffiti-KünstlerInnen. Aber heute gibt es hohen Besuch: Jugendliche aus | |
der South Bronx von New York sind anwesend – und die Bronx ist schließlich | |
die Wiege der HipHop-Kultur. | |
Auf einer kleinen Bühne steht der Berliner DJ Kite am Mischpult. Direkt vor | |
ihm haben sich die New Yorker Kids positioniert. Abwechselnd reichen sie | |
sich das Mikrofon – nun ist die 18-jährige Dizzy an der Reihe: „No one here | |
speaks English. But everyone loves hiiip hooop! If you love hip hop, say | |
hiiip hooop!“. Die Deutschen sitzen seit einer Stunde stumm in der | |
gegenüberliegenden Ecke des Raumes auf dem Sofa. Ein wenig verschüchtert | |
beobachten sie das Geschehen aus sicherer Distanz. | |
„Come on Schnitzel, don’t be shy!“, ruft da Kris. Der Spruch des | |
amerikanischen Pädagogen erntet Stereogelächter von beiden Kontinenten und | |
zeigt Wirkung: Zwei Jungs, heute extra aus Cottbus angereist, geben sich | |
schließlich einen Ruck, durchqueren den Raum und trauen sich ans Mikro. Es | |
folgt ein flotter Rap über ihre finanzielle Misere. | |
Kris Foreman lehrt an der in der South Bronx gegründeten Schule CUNY Prep, | |
die SchulabbrecherInnen aufnimmt und ihnen zum Abitur verhilft. Dank des | |
„High School Equivalency Diploma“ haben die Kids später Chancen auf eine | |
Universitätsbildung. In Zusammenarbeit mit dem Projekt HipHop Re:Education | |
organisiert die CUNY Prep nun auch dieses pädagogische Experiment. | |
## Freiraum für Kreativität | |
Projektdirektor Fabian Saucedo ist ebenfalls mit von der Partie und | |
erklärt: „Wir schaffen einen Freiraum für Kreativität. Damit die | |
Jugendlichen, die teilweise äußerst schwierige Lebensgeschichten mit sich | |
rumschleppen, durch ihre Leidenschaft für HipHop lernen, Probleme und | |
Wünsche auszusprechen, eine eigene Stimme und gesundes Selbstbewusstsein zu | |
gewinnen“. Sie sollen ihre Energie lieber in die Schule als in düstere | |
Straßengangs investieren. Damit kehrt der HipHop an seine Wurzeln zurück: | |
als künstlerischer Ausweg aus der allgegenwärtigen Gewalt, den Drogen und | |
der Kriminalität. | |
Nun sind sieben Jugendliche des Projekts für eine Woche nach Berlin | |
gereist, um hier Gleichgesinnte zu treffen: Hinter dem | |
„BerlinBronxConnection“ benannten Austauschprogramm steht der Berliner | |
Verein Gangway, der Straßensozialarbeit leistet und ebenfalls | |
HipHop-Workshops organisiert. | |
Schon dreimal durften junge BerlinerInnen New York entdecken. Nun ist zum | |
zweiten Mal eine Gruppe aus der Stadt, die nie schläft, in Berlin zu | |
Besuch. Und am Samstag landen auch noch sieben FranzösInnen vom „Maison du | |
HipHop“ aus Paris. Eine freudig erwartete Premiere! Aber zunächst müssen | |
sich die AmerikanerInnen und die Deutschen aneinander gewöhnen. | |
Man könnte meinen, BerlinBronxConnection-Projektinitiator Olad Aden habe | |
alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit die deutsche Hauptstadt auf die New | |
Yorker Gruppe ja keinen verschnarchten Eindruck hinterlässt: Der einwöchige | |
Marathon quillt über vor Besichtigungen sämtlicher Sehenswürdigkeiten der | |
Stadt, bietet Empfänge in der US-Botschaft und dem Roten Rathaus und | |
kulminiert in Auftritten an allen Abenden – jedes Mal in einer neuen | |
Location. | |
## „Es geht um Begegnungen“ | |
Die Projektverantwortlichen dazu: „HipHop ist zwar unser Medium, aber es | |
geht natürlich um die Begegnungen der Jugendlichen, um die Chance, ein | |
anderes Land zu sehen, eine andere Kultur zu erleben, neue Leute mit | |
anderen Lebensumständen kennenzulernen, mit denen sie sich vergleichen | |
können.“ Viele der Angereisten waren noch nie im Ausland, manche haben noch | |
nicht mal einen Fuß vor die Tore ihrer Stadt gesetzt. Die junge Dizzy zum | |
Beispiel fürchtete, es würde ihr in Berlin gar nicht gefallen: „Ich bin | |
ziemlich pingelig, was Essen angeht“. | |
Aber schon eine türkische Pizza später öffnen sich ihr die Augen: „Die | |
Leute hier sind viel höflicher und die HipHop-Szene scheint wirklich | |
zusammenzuhalten.“ In New York interessiere man sich nicht füreinander, es | |
sei auch alles kommerzieller. Kollege Chris (ein anderer als | |
Schnitzel-Kris) berichtet während der Radiosendung „Soundgarden“ bei Fritz, | |
wo er und Dizzy als Live-Gäste eingeladen sind, der HipHop im heutigen | |
Berlin sei wie in der Bronx in den 1980ern. | |
## Überall Graffiti | |
Nicht dass man hierzulande total zurückgeblieben wäre: „Man sieht hier | |
überall Graffiti. In ganz New York gibt es nur eine einzige Wand, an der | |
legal gesprayt werden darf.“ Eine erfreuliche Entdeckung: Zuvor konnte | |
Dizzy Deutschland nur mit Hitler und dem Zweiten Weltkrieg in Verbindung | |
bringen. | |
Der ebenfalls im Programm vorgesehene Besuch im ehemaligen | |
Konzentrationslager Sachsenhausen hat Dizzys Kenntnisse über die deutsche | |
NS-Vergangenheit dann noch einmal erweitert. Auch Albert, 19, ist „vom Ort, | |
der den Horror veranschaulicht“, und vom Umfang der Dokumentation | |
beeindruckt: „Die Deutschen konfrontieren sich ernsthaft mit ihrer | |
Geschichte. In den USA wurden Millionen von Menschen jahrhundertelang | |
versklavt. Aber in der Schule lernen wir nur: Sklaverei ist schlecht. | |
Rassismus ist schlecht. Und das war’s.“ | |
Sein Kumpel Hector, der sich schon lange mit dem Thema befasst, schließt | |
sich an: „Es gibt eine Unmenge von Dokumenten, teilweise von | |
afroamerikanischen Zeitzeugen, aber sie werden nur selten zugänglich | |
gemacht.“ | |
## „Die deutschen Mädchen sind sehr hübsch“ | |
Am nächsten Tag weiß Hector zu berichten: Die deutschen Mädchen sind sehr | |
hübsch, und obwohl er nie einen Mülleimer findet, wenn er ihn braucht, sei | |
alles so sauber und aufgeräumt. Auch beim Besuch im Jugendgefängnis | |
Plötzensee staunt er nicht schlecht über die ordentlich begrünte Parkanlage | |
im Hof – „besser als in den meisten New Yorker Jugendzentren“. | |
Aber dass das hier kein Paradies sei, braucht man ihm nicht zu erklären. | |
Die Gangway-Crew ist im Gefängnis mit KollegInnen vom Projekt „GittaSpitta | |
– Rap aus dem Arrest“ verabredet. Das Ex-Knacki-Duo Duman und Gigoflow | |
moderieren ihre Performance auf der Gefängnisbühne mit der leidigen | |
Erinnerung an, sie hätten die gesamte WM 2006 hinter Mauern verbringen | |
müssen. Später treten dann auch ein paar Inhaftierte und schließlich die | |
New YorkerInnen auf. | |
## Rappen vor Knackis | |
Ein großes Bravour-Stück gelingt dabei der 19-jährigen Yolie, die vor ca. | |
30 bulligen, in roten Sweat-Shirts und weißen Jogginghosen uniformierten | |
Insassen ihr Gedicht „For The Love Of Art“ rezitiert. Das Ganze wiederholt | |
sie zwei Tage später mit Hintergrundmusik bei einem Auftritt im | |
Lichtenberger Jugendzentrum Steinhaus, merkt dabei aber nicht, dass ihr | |
Mikrofon nicht eingeschaltet ist. So wird mitten in ihrer Performance | |
abgebrochen. Als es wieder losgeht, sagt sie dem DJ lässig: „Lass diesmal | |
die Musik aus. Ich mach’s a cappella.“ | |
Inzwischen sind auch die FranzösInnen angekommen: Zwei hervorragende MCs, | |
zwei Sprayer, zwei Breakdancer, in Begleitung von Organisatorin Nathalie | |
Barraux. Der Verein Witness!Berlin hat sie nach Deutschland geholt. Das | |
übergeordnete Austauschprogramm wiederum heißt Street Embassy. Trotz der | |
vielen bemüht inspirierten Projektnamensgebungen muss man anerkennen: Die | |
Berliner haben über die Jahre ein beeindruckendes Netzwerk an talentierten | |
internationalen HipHop-KünstlerInnen und SozialarbeiterInnen auf die Beine | |
gestellt. | |
Am nächsten Morgen treffen sich alle wieder im Kreuzberger Impuls-Studio, | |
um gemeinsam drei Songs aufzunehmen. Der Berliner Beat-Master Vecz, der im | |
vorigen Jahr nach Paris durfte, hat hierfür schon ein paar Tracks | |
vorproduziert. Je nach Vorliebe werden die TeilnehmerInnen in Gruppen | |
aufgeteilt, dann wird konzentriert geschrieben und gewerkelt. | |
Die Völkerverständigung beginnt langsam erste Früchte zu tragen: Nina hat | |
sich von Mariam zwei Zeilen auf Französisch übersetzen lassen und Albert | |
hat eine liebevolle Zeile auf Deutsch in seinen Rap eingefügt. Der geht so: | |
„I met this girl / She said I’m from Berlin / I said: Du hast ein schönes | |
Lächeln“. Dann fragt der Amerikaner in die Runde: „How do you guys call | |
french fries?“ Prompt kommt die Antwort: „Frites“. | |
18 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Elise Graton | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Buch über Gangsta-Rap: Bourdieu erklärt Bushido | |
Der Gangster, seine Hood, das Ghetto, der soziale Brennpunkt: Die | |
Anthologie „Deutscher Gangsta-Rap“ betrachtet diese Phänomene | |
wissenschaftlich. | |
Nazi-HipHop: Gangsta unter brauner Flagge | |
Nazis haben den Rap für sich entdeckt. Leider kapieren nicht alle die | |
Motivation der rechtsradikalen Texte. Eine stärkere Medienpräsenz könnte | |
Abhilfe schaffen. | |
Flüchtlingsband geht auf Tour: Coming to dabadabadab | |
Flüchtlinge proben den Aufstand. „The Refugees“ wollen zeigen, welche | |
Talente in den Flüchtlingsheimen versauern, wenn sie nicht gleich | |
abgeschoben werden. | |
Popkultur: Zurück zur Musik mit neuem Chef | |
Das nächste Kapitel der Selbstmythologisierung: Das Musikmagazin „Spex“ | |
erhält eine neue Spitze. Torsten Groß wechselt vom “Rolling Stone“ über. | |
Michi Beck über HipHop und Schwabenhass: „Ich bin kein Berliner“ | |
„Turntablerocker“-DJ und Fanta-Vier-Rapper Michi Beck über Erwachsenwerden | |
im Clubleben, Schwabenhass und die HipHop-Szenen von Stuttgart und Berlin. | |
Gangstarapper Haftbefehl: Kleine Häftlinge | |
Gangstarapper Haftbefehl aus Offenbach öffnet den Blick auf HipHop-Nerds | |
und multikulturelle Authentizität. Ein Konzertbesuch. |